Darts-WM: Warten auf den “deutschen Star” – Sport | ABC-Z
Den deutschen Fans ergeht es bei der Darts-Weltmeisterschaft ähnlich wie bei der parallel stattfindenden Vierschanzentournee. Sie warten seit Jahren, trotz immerzu leidenschaftlicher Unterstützung, auf einen Gesamterfolg eines Deutschen. Immerhin haben die Skisprungfreunde in der Vergangenheit Triumphe der heimischen Athleten bei der Tournee bejubelt. Im Darts hingegen hat noch kein Deutscher das prestigeträchtigste Turnier im Spielkalender gewonnen. Seit der erstmaligen Austragung 1978 wartet Germany auf einen Pfeilwurfchampion. Und an dieser Bilanz wird sich auch in diesem Jahr nichts ändern – am Montag ist Ricardo Pietreczko als letzter verbliebener Deutscher bei der WM ausgeschieden.
Nach drei überzeugenden Siegen zum Auftakt war Pietreczko gegen den Engländer Nathan Aspinall chancenlos. Über seinen Auftritt witzelte der 30-Jährige, dass er wohl der schlechteste Spieler in einem Achtelfinale überhaupt gewesen sei. Es sei „einfach nicht gelaufen“, er habe zu keiner Zeit zu seinem Spiel gefunden. Als einen möglichen Grund gab er an, dass es ihm nach dem Einlaufen schwergefallen sei, emotional abzuschalten. Denn das Einlauflied seines Gegners – „Mr. Brightside“ von der US-Band The Killers – sei das Lieblingslied seiner Freundin. Sie saß wie immer zur Unterstützung im Publikum.
Kurz nach dem Start verlor Pietreczko stattliche zehn Legs nacheinander. Seine Unterlegenheit versuchte er zu überspielen, indem er eigene Würfe veralberte und den Gegner beklatschte. Dadurch konnte man den Eindruck erhalten, der gebürtiger Berliner sei „ein seltsamer Charakter“. So hatte ihn Aspinall vor dem Match bezeichnet. Das könne er durchaus nachvollziehen, witzelte Pietreczko, weil er „kein gutes Englisch“ spreche und daher auf der Profitour unter Kollegen „sehr zurückhaltend“ agiere.
:Die Pfiffe der deutschen Fans
In einer Halle, in der ohnehin jeder über die Stränge schlägt, fällt die zweitgrößte Zuschauergruppe besonders auf: über das unrühmliche Benehmen von deutschen Fans im Ally Pally.
Pietreczkos Spielleistung erweckte jedenfalls den Eindruck, als wäre er mit den Erwartungen aus der Heimat überfordert gewesen. Er gab zu, dass er das Medieninteresse gespürt habe, der Umgang damit sei herausfordernd gewesen. Auch die Anstrengungen aus den vorherigen Spielrunden gingen wohl an die Substanz.
Für Pietreczko stellte das Erreichen des Achtelfinales trotzdem den größten Erfolg seiner Laufbahn dar. Das besserte auch die ansonsten ernüchternde Bilanz der deutschen Pfeilwerfer auf. Abgesehen von Pietreczko gewannen die anderen fünf – ein neuer Bestwert in der Teilnehmerliste – zusammengerechnet nur zwei von sieben Matches. Die gesetzten Spieler Martin Schindler und Gabriel Clemens verloren sogar ihre jeweiligen Auftaktduelle. Damit bleibt die Halbfinalteilnahme von Clemens vor zwei Jahren das beste deutsche Resultat im Ally Pally.
Rückblickend sagte Clemens über diese Zeit beim Sender Dazn, dass er heute in einer vergleichbaren Situation „einiges anders machen“ würde als damals. Er hätte im Anschluss an seinen unerwarteten Erfolg wesentlich mehr trainieren können. Aber, so ehrlich müsse man sein, es habe seinerzeit Möglichkeiten gegeben, gutes Geld zu verdienen. Irgendwann sei er dann wieder in der Realität gelandet, aber die Zeit sei schön und lehrreich gewesen.
In Deutschland fehlt noch der Unterbau
Grundsätzlich hat die Zahl an deutschen Darts-Profis in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen. Bei dieser WM bildeten die Germans zusammen mit Wales die drittgrößte Fraktion – nach den Darts-Kernländern England (26) und Niederlande (16). Im Vergleich zu den Briten, wo Darts immerzu ein praktizierter Kneipensport gewesen ist, ist die Sportart hierzulande erst dabei, einem größeren, jungen Publikum bekannt zu werden. Dadurch fehlt den Deutschen noch der Unterbau an Darts-Spielern – was sich auch auf die Konkurrenzfähigkeit an der Spitze auswirkt. Um mehr Leute für Darts zu begeistern, hilft sicherlich, dass die besten 50 Spieler der Rangliste inzwischen von ihrem Sport gut leben können.
Ein weiterer Faktor für das deutsche Abschneiden ist, dass die Weltspitze immer enger zusammenrückt. Beispielhaft war bei dieser WM der Sieg des bisher auf Position 51 geführtes Niederländers Kevin Doets gegen den Weltranglistenzweiten Michael Smith in Runde zwei. Am Ende verpasste Doets nur knapp das Viertelfinale. Und international drängen etliche junge Spieler nach. Den Wunsch, dass dabei ein deutscher Spieler konstant in der Weltspitze mitmischt, hat auch die Professional Darts Corporation (PDC), der Ausrichter der WM. Vor neun Jahren räumte der PDC-Vorsitzende Barry Hearn ein, er vermisse einen „deutschen Star“ – denn mit einem Top-16-Spieler würde Darts in Deutschland noch viel mehr wachsen. Ungefähr ein Viertel der Zuschauer im Ally Pally kommt bei dieser Auflage aus Germany. Der deutsche TV-Markt ist nach Spitzenreiter Großbritannien wohl der derzeit lukrativste für die PDC.
Gemessen an der aktuellen Form dürfte es allerdings noch einige Jahre dauern, bis ein deutscher Spieler wirklich die WM gewinnen kann. Hoffnung schürt zumindest Ricardo Pietreczko, der im Hinblick auf seine Bilanz – dritte Runde im Vorjahr, Achtelfinale in diesem Jahr – nun augenzwinkernd ankündigte, sich in diesen Schritten künftig vorarbeiten zu wollen. Dann hätte Deutschland in vier Jahren einen ersten Weltmeister im Darts.