Darts-WM: Sieg nach skurrilem Spektakel – Der Ally Pally hat einen neuen Publikumsliebling | ABC-Z

Motomu Sakai hat ein denkwürdiges Debüt bei der Darts-WM gefeiert. Der Japaner beeindruckte sportlich und lieferte mit Gestik, Mimik und Tanz beste Unterhaltung. Auf der anschließenden Medienkonferenz ging die Show weiter.
Es sind die bunten Momente, die die Darts-Weltmeisterschaft alljährlich so einzigartig machen. Wenn unbekannte Spieler ins Rampenlicht treten und fernab beeindruckender sportlicher Leistungen der Littlers Humphries oder van Gerwens die Bühne für eine Stunde mit ihrer Persönlichkeit füllen.
Wenn dann noch beides, Sport und Unterhaltung, in besonderem Maß zusammenkommen, entstehen Bilder wie die am Donnerstagnachmittag, als David Munyua eine der größten Sensationen in der fast 33-jährigen Turniergeschichte perfekt machte. Der erste Kenianer bei einer WM gewann gegen den haushohen Favoriten, Mike De Decker aus Belgien nach 0:2-Satzrückstand.
Zuvor hatten die Fans im Alexandra Palace in London und Millionen TV-Zuschauer in aller Welt bereits einen japanischen WM-Debütanten in ihr Herz schlossen: Motomu Sakai gewann nicht nur sein erstes Match überraschend glatt mit 3:0 gegen den Franzosen Thibaut Tricole. Der 28-jährige Profi veranstaltete ein derart skurriles Spektakel, das er in keinem Rückblick der kommenden Jahre fehlen wird. Ein Auftritt wie eine einzige gewaltige Übersprungshandlung.
Schon sein Walk-on-Song, die Titelmelodie des japanischen Magical-Girl-Animes Ojamajo DoReMi (die lästige Hexe DoRemi), legte die Messlatte auf der Skurrilitätsskala ungewöhnlich hoch. Sakai lief in der Folge dennoch nie Gefahr, sie zu reißen.
Noch bevor sein Match überhaupt begonnen hatte, sollten eine ganze Reihe Herausforderungen auf ihn warten. Beim Gang auf die Bühne versuchte er trotz des breiten Korridors und geringer Armspannweite die Fanhände auf beiden Seiten des Fanspaliers zeitgleich abzuklatschen. Und dann kamen noch all die Autogrammwünsche hinzu.
Sakai nahm sich Stift und Zeit, malte Augen in seinmit Bedacht gekritzeltes „Moto“ und schrieb jedesmal auch noch pflichtbewusst den Namen seines Sponsors dazu. Die für den reibungslosen Ablauf zuständigen PDC-Mitarbeiter wurden ein wenig unruhig.
Wirklich böse konnte dem kleinen Japaner in seinem grünen Monstertrikot aber niemand sein. Die Zuschauer lachten und klatschten, jubelten ihm zu. Sakai schien mit den Abläufen nicht vertraut. Er stand oben auf der Bühne, sein Gegner war noch nicht da. Was also tun? Ein Tanz schien angebracht. Sakai lief also quer über das Podium, wackelte, winkte und ging am Ende seines Freestyles in eine Art Moonwalk über. Es hatte etwas vom Neururer-Shuffle aus dem Jahr 2004. Nur dass der Fußballtrainer des VfL Bochum bei seiner Tanzeinlage nicht so seltsame Grimassen gezogen hatte.
„Ich glaube daran, dass je mehr ich tanze, desto besser fliegen meine Pfeile“, erklärte er später. Und niemand konnte ihm widersprechen. Die Argumente lagen nach seiner auch sportlich eindrucksvollen Vorstellung auf seiner Seite.
Sakai begeistert mit zwei Highfinishs
Nach dem mit 3:2 gewonnenen ersten Satz feierte mit den Zuschauern, die von Beginn an voll auf seiner Seite waren, und bedankte sich bei Caller und Schreibern mit einer Verbeugung. Er begann wieder zu tanzen, hüpfte, lachte und erwiderte die Unterstützung des Publikums mit Grüßen von der Bühne. Es schien, als hätte er gern jedem Fan einzeln die Hand gegeben. Doch dafür blieb – auch wenn nun Pause war – schlichtweg keine Zeit.
Nach der ersten Unterbrechung dann das nächste Problem: Sakai stand unsicher am unteren Ende der Bühnentreppe. Durfte er schon wieder hinauf? Nein, er musste sogar, wie ihm eilig mitgeteilt wurde. Oben angekommen warteten dann alle, dass er seine neun Probewürfe absolvierte. Doch Sakai zögerte, fragte schließlich bei Schiedsrichter George Noble nach.
Mehr Entschlossenheit zeigte „The Creature“ am Board. Zwei Highfinishs von 121 Punkten im ersten und 148 im zweiten Satz, ließen den Alexandra Palace noch mal die jeweils nächste Begeisterungsstufe nehmen. Auffällig aber auch sein vorzügliches Boardmanagement. Sakai erwies sich als schneller Rechner – bei den meist E-Darts spielenden Japanern keine Selbstverständlichkeit.
Vor allem aber lebte er das Spiel ungefiltert mit. Sakai hatte eine Extraportion Herzblut dabei, was die Beobachter unweigerlich auf seine Seite zog. Zum Ende des zweiten Satzes hatte sich ein zusätzliches halbes Dutzend Fotografen postiert, um den Japaner bei einer seiner nächsten Performances abzuschießen. Ja, es gab an diesem Nachmittag einige gute Bilder zu knipsen.
Als er seinen siebten Matchdart verwandelte und das Duell gewonnen war, gab es unter den 3200 Zuschauern kein Halten mehr, und Sakai wiederholte seinen mittlerweile vielleicht schon ikonischen Jubel zum klassischen Darts-Jingle. Er ging in die Knie, lehnte sich zurück und holte mit dem Arm aus – „Död-dödödödööö–dödödödödööö – dödödödödööö“ – um dann wuchtig das Gewicht nach vorn zu verlagern und seinen Arm dreimal in die Höhe schnellen zu lassen: „Hey! Hey! Hey!“
Die Party ging hinter den Kulissen nahtlos weiter. Er schrie und sang in jede Kamera jedes Handy, das ihm vor die Nase gehalten wurde. Und die Medienkonferenz wurde eine der unterhaltsamsten, die im Palm Court des Alexandra Palaces jemals stattgefunden haben.
Die meisten der zahlreichen Fragen beantwortete er zunächst mit Gestik. Ob er nervös gewesen sei, wollte ein Journalist wissen. Sakai ahmte seinen Wurf nach, zitterte und zog eine Fratze. Wie er über seinen nächsten Gegner denke? Sakai strich sich durch einen langen imaginären Bart, wie ihn sein schwedischer Kontrahent Andreas Harrysson trägt: „Ich bin bereit für ihn.“
Sogar sein Dolmetscher musste phasenweise vor Lachen die Übersetzung abbrechen. Doch woher hat Sakai seinen Spitznamen? „Ich mache immer seltsame Gesichter. Deshalb sagen alle, ich sehe aus wie eine Kreatur.“ Ein No-Brainer.
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Schließlich drehte der Japaner das Frage-Antwort-Spiel um. „Gibt es in London eine Karaoke-Bar?“ Er meinte das ausnahmsweise Ernst, was ohne Ironie dann schon wieder lustig war. Die Bejahung der englischen Kollegen nahm er freudig zur Kenntnis und seine Mimik unterstrich, wie heftig er dort feiern wolle. Er sah nun dem sabbernden Monster auf seinem Trikot durchaus ähnlich. Die Vorfreude auf Sakais Zweitrundenmatch jedenfalls ist groß. Bei allen Beteiligten.
Wenn Lutz Wöckener nicht gerade irgendeinen Sport im Selbstversuch ausprobiert, schreibt er über Darts und Sportpolitik, manchmal aber auch über Abseitiges wie Fußball.
Darts-WM 2026, Ergebnisse, 1. Runde
- Callan Rydz (ENG) – Patrik Kovacs (HUN) 3:0 (3:1, 3:1, 3:1)
- Thibault Tricole (FRA) – Motomu Sakai (JPN) 0:3 (2:3, 2:3, 0:3)
- Ryan Joyce (ENG/24) – Owen Bates (ENG) 3:0 (3:0, 3:1, 3:0)
- Mike De Decker (BEL/18) – David Munyua (KEN) 2:3 (3:1, 3:2, 2:3, 2:3, 1:3)
ab 20 Uhr:
- Jermaine Wattimena (NED/19) – Dominik Grüllich (D)
- Dave Chisnall (ENG/21) – Fallon Sherrock (ENG)
- Michael van Gerwen (NED/3) – Mitsuhiko Tatsunami (JPN)
- Krzysztof Ratajski (POL) – Alexis Toylo (PHI)





















