Rondella-Leuchte des Designers Christian Dell: Vergessener Designer der 20er Jahre | ABC-Z

Die Ausstellung hieß „Moderne am Main“, gezeigt wurde sie 2019 im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt. In ihr fiel dem Architekten Johannes Bergmann ein Plakat mit unterschiedlichen Lampenentwürfen auf. Besonders ein Exemplar begeisterte ihn: eine Leuchte für den Arbeitsplatz mit dem Namen Rondella, entworfen vom Industriedesigner Christian Dell. „Diese Lampe wollte ich unbedingt haben“, erinnert sich Bergmann.
Also macht er sich auf die Suche: bei Ebay-Kleinanzeigen, in Designforen im Internet. Doch ein zum Kauf stehendes Exemplar der Rondella-Leuchte lässt sich nirgends auftreiben. Bald findet er heraus, dass einige Museen sie in ihre Sammlungen aufgenommen haben, dass sie in Ausstellungen im New Yorker Museum of Modern Art und im Pariser Centre Pompidou gezeigt worden ist. Selten wurde sie bei Auktionen gehandelt und dann für mehrere Tausend Dollar ersteigert. Bergmann wird klar: Von der Rondella dürften nur noch einige wenige Exemplare existieren. Und die Chance, ein halbwegs bezahlbares Exemplar der Leuchte zu finden, tendiert gegen null.
Doch der Frankfurter Architekt steckt nicht auf, sondern gibt sich „einer Schnapsidee“ hin: Wenn auf dem Markt für Vintage-Design keine Rondella mehr aufzutreiben ist, warum sollte er dann nicht einfach versuchen, selbst eine Wiederauflage der Lampe auf den Markt zu bringen? Erfahrungen, wie so etwas gelingen könnte, hat Bergmann keine. Aber Lust, sich in die Arbeit zu stürzen, es einfach einmal auszuprobieren.
Bergmann ist nicht der Einzige, der sich für Dell interessiert
Bergmann vertieft sich in die Details des Objekts, von dem er nur eine Abbildung besitzt. Aus welchen Materialien hatte Dell seine filigrane Lampe gestaltet? Wie hat er das Stromkabel in dem Metallrohr im 90-Grad-Winkel gebogen? Und wer könnte solch eine Lampe heute überhaupt noch, in kleiner Stückzahl, produzieren? Der Architekt recherchiert, telefoniert, schreibt E-Mails – und findet in der Leuchtenmanufaktur Bolichwerke im baden-württembergischen Östringen-Odenheim einen Partner, der sich auf das Abenteuer Rondella-Leuchte einlässt.
Und er bemerkt: Es gibt noch einige andere, die sich für Christian Dell interessieren. Die sich ebenfalls darüber wundern, warum man über den Metallgestalter heute kaum mehr etwas weiß. Die mehr erfahren wollen über sein Werk, seinen Lebensweg, sein Umfeld. Bergmann kontaktiert die Kunsthistorikerin Beate Alice Hofmann, die in Hanau, wo Dells Karriere mit einer Lehre zum Silberschmied ihren Anfang nahm, eine Ausstellung über den Produktdesigner kuratiert hatte. Und er lernt Günter Lattermann kennen, der als Honorarprofessor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin zu deutschem Kunststoffdesign forscht. Lattermann plant, eine Monographie über Christian Dell herauszugeben, im nächsten Frühjahr soll das Buch erscheinen. Auch Bergmann wird daran mitschreiben. Und das Wiesbadener Stadtmuseum will Mitte 2026 eine Ausstellung über den Kunsthandwerker Dell zeigen.
Bergmann hat zu dem Designer in Archiven geforscht, er hat in einer Frankfurter Kirche von Dell gestaltete Altarleuchter, die als verschollen galten, aufgespürt, hat mit seinen Nachfahren kommuniziert und ist so längst zu einem Dell-Experten geworden. Dessen Biographie ist von Erfolgen genauso geprägt wie von heftigen Rückschlägen.
Am Bauhaus macht Dell Karriere
1893 in Offenbach geboren, beginnt Dell seine Ausbildung zum Silberschmied 1907 in der Hanauer Manufaktur J. D. Schleißner, an der Königlichen Zeichenakademie belegt er Kurse. Eine Zeit lang arbeitet er bei Henry van de Velde, einem der prägenden Gestalter des Jugendstils, in Weimar. Im Ersten Weltkrieg schickt man ihn als Soldat an die Front. Dell wird verwundet, muss in einem Lazarett in Mainz gepflegt werden, gründet danach seine eigene Werkstatt.

An das Bauhaus in Weimar kommt er 1922. „Walter Gropius hat ihn engagiert“, erzählt Bergmann. Dell wird an der modernen Architektur- und Designakademie Werkmeister in der Metallklasse, arbeitet mit Paul Klee, Oskar Schlemmer und László Moholy-Nagy zusammen. Als sogenannte Formmeister sind Klee, Schlemmer und Moholy-Nagy für ästhetische Fragen zuständig, Dell kümmert sich um das Technische.
Die Arbeit an Leuchten wird in dieser Zeit für ihn immer wichtiger. Einer seiner damaligen Schüler ist Wilhelm Wagenfeld, dessen Lampenentwürfe später zu Designikonen werden. Doch als das Bauhaus nach Dessau umzieht, kündigt Dell seinen Vertrag an der Hochschule.
Der Designer wird ein Protagonist des „Neuen Frankfurts“
Fritz Wichert, der in Frankfurt eine neue Kunstgewerbeschule aufbaut, heuert den Designer an. Anfang 1926 wird Dell zum Leiter der Metallklasse ernannt. In der Stadt hat damals eine neue Ära begonnen: die Zeit des „Neuen Frankfurts“. Der linksliberale Oberbürgermeister Ludwig Landmann hat den modernen Architekten Ernst May zum Stadtrat berufen, er soll ein groß angelegtes Wohnungsbauprogramm umsetzen, um die enorme Wohnungsnot in der Stadt zu lindern. Junge Architekten wie Carl-Hermann Rudloff, Martin Elsaesser, Mart Stam oder Fritz Nathan planen neue Trabantensiedlungen an den Stadträndern und markante Großbauten. Ausgestattet werden sollen die Gebäude mit schlicht-modernen Möbeln.
Dazu passen die Entwürfe von Dell perfekt. Für Ludwig Landmann gestaltet er eine „Bürgermeisterlampe“, auf einer historischen Fotografie sieht man sie zwischen Aktenbergen auf dem Schreibtisch des Politikers der Deutschen Demokratischen Partei.
Dells Rondella-Leuchte wird 1928 in der Zeitschrift „Neues Frankfurt“ vorgestellt. Dort ziert sie das Titelblatt der Beilage „Frankfurter Register“, die damals erstmals erschien: In dem Prospekt werden in unregelmäßigem Abstand die neusten Entwürfe in Frankfurt tätiger Gestalter beworben. Was im „Frankfurter Register“ vorgestellt wird, gilt als am Puls der Zeit.
Dann aber wird der Gestalter schwer krank, eine Lungentuberkulose zwingt ihn zu zwei langen Sanatoriumsaufenthalten. Die Nationalsozialisten gelangen an die Macht, Dell tritt – wohl aus opportunistischen Gründen – der NSDAP bei, seine Anstellung an der Kunstgewerbeschule wird ihm trotzdem gekündigt.
Sein Werk gerät in Vergessenheit
Gemeinsam mit seiner Frau betreibt er nun Ferienpensionen, zunächst in Bad Wiessee, später in Goslar, besonders erfolgreich sind sie nicht. Und schon bald muss Dell auch wieder ins Krankenhaus. Nach dem Kriegsende eröffnet er in Wiesbaden ein Schmuckgeschäft. Seine Karriere als Industriedesigner aber wird nicht noch einmal an Fahrt aufnehmen, sein Werk gerät in Vergessenheit.
Warum ist Johannes Bergmann so begeistert von Dells Entwürfen? Was fasziniert ihn an dessen Lampe, dass er darauf gekommen ist, sie als „Re-Edition“ wieder aufzulegen? „Die Eleganz, die Reduktion auf die Form“, sagt der Architekt. „Diese Lampe ist unheimlich ästhetisch und trotzdem funktional.“ Besonders vom allerersten Entwurf, den Dell von der Leuchte schuf, ist Bergmann hingerissen – auf ihm basiert nun seine Neuauflage.
Weil die Rondella-Lampe auf dem Titel der ersten Ausgabe des „Frankfurter Registers“ abgebildet wurde, hat Bergmann seine Wiederauflage „Frankfurt Leuchte No. 1“ genannt. Zwei Jahre hat er daran gearbeitet, 100 Lampen hat er zusammen mit der Bolichwerke-Manufaktur produziert. Für den Vertrieb hat er eine eigene Website aufgesetzt, um die Endmontage kümmert Bergmann sich selbst. Für 895 Euro pro Stück verkauft er seine Leuchten, in Frankfurt liefert er sie meistens persönlich aus. Aber reich wird er damit nicht. „Wenn am Ende eine schwarze Null herauskommt, ist alles gut“, sagt Bergmann.
Ihm geht es um etwas anderes: Endlich besitzt er nun die Lampe, der er so lange im Internet hinterhergejagt ist, von der er denkt, dass sie eine der schönsten Leuchten ist, die jemals entworfen wurden. „Das ist jetzt mein Kind“, sagt Bergmann.