Politik

“Danke, Lars”: Auf einmal scheint die ganze SPD Saskia Esken zu lieben | ABC-Z

Nach Olaf Scholz bekommt auch Saskia Esken einen großen Auftritt auf dem SPD-Parteitag in Berlin. Das Lob ist so groß, man könnte fast vergessen, dass der Umgang mit Esken “kein Glanzstück” war, wie ihre Nachfolgerin es formuliert.

Parteien sind seltsame Gebilde, sie können Wärme ausstrahlen und Kälte – sogar fast gleichzeitig. Das gilt auch für die SPD, die sich als Partei des Respekts sieht, der Solidarität: An diesem Samstag wurde Saskia Esken vom Parteitag in Berlin mit stehenden Ovationen verabschiedet. Die Delegierten applaudierten ihr sogar noch länger als zuvor Olaf Scholz.

Ihr Co-Parteichef Lars Klingbeil dankte ihr und würdigte ihre Verdienste mit warmen Worten. Sie habe die Partei zusammengehalten, als sie 2019 zusammen mit Norbert Walter-Borjans Parteivorsitzende wurde – als erste SPD-Chefs waren die beiden von den Mitgliedern gewählt worden. Damals sah es so aus, daran erinnert Klingbeil, als drohe die SPD auseinanderzufliegen. Esken jedoch habe die Partei zusammen- “und am Ende auch ins Kanzleramt” geführt.

Die warmen Worte wirken verwunderlich. Erst am Vortag war Klingbeil zwar als Parteichef bestätigt worden. Doch die Delegierten haben ihn mit einem extrem schlechten Ergebnis hart abgestraft. Viele werfen Klingbeil vor, zwar von Aufbruch und Verjüngung geredet zu haben, selbst aber mehr Macht angehäuft zu haben, während Esken, die gern Ministerin geworden wäre, aufs Abstellgleis geschoben wurde. Esken führte zwar noch mit Klingbeil die Koalitionsverhandlungen mit der Union. Aber während er Finanzminister und Vizekanzler wurde, fiel für sie kein Posten ab. Künftig ist sie nur noch einfache Bundestagsabgeordnete.

“Wie Pattex am Stuhl der Parteivorsitzenden”

Am Freitagabend erklärte Klingbeil die nur 64,9 Prozent Zustimmung zu ihm am Rande des Parteitags damit, dass er vielleicht ein bisschen “der Blitzableiter” gewesen sei. Doch eigentlich war Esken die Blitzableiterin: Sie wurde von vielen in der Partei für ein Wahlergebnis verantwortlich gemacht, das sie nicht stärker zu verantworten hatte als Klingbeil.

Bei all den Lobhudeleien, die Esken zum Abschied mitgegeben wurden, ist kaum noch vorstellbar, dass es je Kritik an ihr gab. Offen kam sie nach der Bundestagswahl eher aus der zweiten oder dritten Reihe. So forderte eine ehemalige Bundestagsabgeordnete Eskens Rücktritt, weil sie “erkennbar keine Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern” habe. In ihrem eigenen Wahlkreis sagte ein Parteifreund dem lokalen Sender, es könne “nicht sein, dass sie wie Pattex am Stuhl der Parteivorsitzenden festklebt”. Hinter vorgehaltener Hand wurde Ähnliches auch von einflussreichen Politikern verbreitet.

Diesen unfairen Umgang mit Esken prangerte ihre Nachfolgerin Bärbel Bas in ihrer Bewerbungsrede für den Parteivorsitz an. Die SPD habe bisher zwei Frauen als Vorsitzende gehabt, Esken und Andrea Nahles. “Beide haben sich mit gemischten Gefühlen aus diesem Amt zurückgezogen, vorsichtig formuliert. Ganz ehrlich: Der Umgang mit ihnen war kein Glanzstück.”

“Eine der Mütter des Erfolgs”

Dem “Stern” sagte Bas, sie habe “unheimlich Respekt” vor Esken und es ärgere sie, wie manche mit ihr umgegangen seien. “Das könnte auf mich auch zukommen.” Auf dem Parteitag sagte sie, Esken habe die SPD “durch stürmische Zeiten geführt”. Erfolge hätten immer viele Väter und Mütter, sagte sie mit Blick auf die Bundestagswahl 2021, “und eine der Mütter dieses Erfolges warst garantiert auch du”.

Dieses Motiv kam auch in dem Film vor, der auf dem SPD-Parteitag gezeigt wurde. “Danke, dass du mit Weitsicht entschieden hast: Olaf soll Kanzler werden”, heißt es darin. Auch Klingbeil sagte, Esken habe “die Grundlagen für den Wahlsieg 2021 geschaffen. Zusammen mit Walter-Borjans und Klingbeil hatte Esken den Plan ausgeheckt, Scholz zum Kanzlerkandidaten zu machen – ausgerechnet den Mann also, gegen den sie 2019 angetreten war.

“Du warst hartnäckig, wenn es um deine Themen ging”, so Klingbeil am Freitag in seiner Rede. Das Startchancen-Programm zur Förderung von Brennpunktschulen “würde es ohne dich in dieser Form nicht geben. Über deine Hartnäckigkeit habe ich mich manchmal geärgert, aber meistens war ich davon tief beeindruckt”. Klingbeil sagte auch, die öffentliche Kritik an Esken sei “oftmals über das gerechte Maß deutlich” hinausgegangen.

“Doch wir haben den Turnaround geschafft”

Das dürfte auch Esken so wahrgenommen haben. Den Applaus schon zu Beginn ihrer Rede schien sie als Trost zu empfinden. Sie habe in einer Zeit Verantwortung “für diese großartige, für diese stolze Partei” übernommen, die nicht leicht war. Auf 12 Prozent sei die SPD damals in den Umfragen abgestürzt. “Die politische Konkurrenz und auch die Medien hatten uns abgeschrieben. Und auch in den eigenen Reihen haben viele die Hoffnung verloren. Doch wir haben den Turnaround geschafft. Zwei Jahre später haben wir mit mehr als 25 Prozent die Bundestagswahl gewonnen und haben Olaf Scholz zum Bundeskanzler gewählt.” Scholz hatte die gleiche Erfolgsgeschichte schon am Morgen erzählt, sie kommt bei den Delegierten immer wieder gut an – kein Wunder, ein solcher Turnaround ist genau das, was die SPD gerade anstrebt.

Das Erfolgsrezept damals sei der Zusammenhalt gewesen, auch das hatte Scholz gesagt. Nur gibt es einen Unterschied zu damals: Die SPD ist aktuell in einer ganz anderen Krise, ihr droht kein Auseinanderbrechen, sondern ein Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit. Das Rezept für den Turnaround müsste also anders aussehen.

Auch Lars Klingbeil bekommt einen Dank

Esken dankt Scholz für die Zusammenarbeit, für seine “Treue zur Sozialdemokratie” und für seine Freundschaft: “Du warst mein Kanzler”, sagt sie, “und wir haben viel zusammen erreicht”. Applaus bekommt Esken auch für ihren Appell, einen AfD-Verbotsantrag vorzubereiten – einen entsprechenden Antrag, an dem Esken federführend beteiligt war, wollen die Delegierten am Sonntag, dem letzten Tag des Parteitags, beschließen.

Die SPD müsse sich fragen, was sie besser machen könne, um künftig wieder mehr Zustimmung zu erhalten, sagt Esken zum Abschied. Sie habe sich entschieden, “dieser Veränderung Raum zu geben”. “Es war mir eine große Ehre. Es war sogar die Ehre meines Lebens, Vorsitzende dieser stolzen Partei zu sein.” Sie gehe nicht mit Wehmut, sondern mit Dankbarkeit. Und sie freue sich “riesig, den Staffelstab in der Doppelspitze an die wunderbare Bärbel Bas übergeben zu können”.

An Klingbeil gewandt sagte sie: “Wir waren nicht immer derselben Meinung. Aber wo wir uns einig waren, das war immer ganz klar: Wir sind überzeugt davon, die SPD kann nur dann stark sein, wenn sie ihre Verschiedenheit lebt und in ihrer Verschiedenheit zusammenhält. Und dafür will ich dir Danke sagen, Lars.” Hier ist sie wieder, die Wärme, die eine Partei geben kann. Vermutlich ist sie sogar ernst gemeint.

Back to top button