Daniel Tschofenig überrumpelt die Skisprung-Veteranen – Sport | ABC-Z
Es war der Punkt, an dem Daniel Tschofenig nichts mehr ausrichten konnte. Der grell erleuchtete Auslauf der Bischofshofener Schanze war nun der Mittelpunkt dieser schwierigen und unberechenbaren Bedingungen ausgesetzten Sportart. Alle warteten, alle, insbesondere Daniel Tschofenig.
Oben saß bei dieser 73. Vierschanzentournee noch Stefan Kraft als letzter Springer, unten wartete Tschofenig als Führender in jener Box, in der auch beim Skispringen die Führenden ausharren. Und er machte jedes Mal, wenn die Regie ihn ins Visier nahm, brav das Spielchen mit. Mal zog er diese, mal jene Grimasse; mal deutete er ein Bibbern an; dann sagten seine Gesten, die da oben sollten sich mal beeilen – und er lächelte. Schließlich zuckte er mit den Schultern, legte den Kopf schräg und lächelte halb ängstlich, halb unschuldig, als wäre dies hier die Verleihung eines Film-Oscars.
Aber es dauerte noch, denn der junge Tschofenig aus Villach in Kärnten, der den Sport zunächst gelernt hatte im Verein SV Achomitz/SD Zahomc, er hatte noch einen letzten Gegner. Und Stefan Kraft ist einer, der sich in den vergangenen Jahren mit den größten Verdiensten behangen hat, Olympiasieger mit dem Team, Weltmeister, Gesamtweltcupsieger, Gewinner der Vierschanzentournee 2014/15. Da wollte es die Jury ganz genau nehmen, wartete etwas zu lang – und produzierte einen Kurzfilm, der künftig für Jury-Ausbilder dazu dienen könnte, um zu erklären, wie man es eben nicht richtig macht.
Stefan Kraft verlor bei Minusgraden viel von seinem Körpergefühl
Unten wenigstens wärmte sich Tschofenig im Anorak, oben, bei Minusgraden verlor sein Landsmann Kraft viel von seinem Körpergefühl, das ein Skispringer besonders benötigt. Das absurde Ende dieser 73. Vierschanzentournee: Kraft, der große Favorit, sprang deutlich zu kurz, wurde nur Gesamtdritter und fuhr im Auslauf erst einmal an allen Wartenden vorbei. Dann kniete er sich hin, starrte in den Schnee und blieb lieber für sich.
:Rätsel um verschwundene Ukrainer gelöst
Bei der Tour de Ski in Italien fehlt plötzlich das komplette ukrainische Langlauf-Team. Was ist geschehen? Der Weltverband liefert nun die Erklärung.
Was soll man da machen, wenn einem plötzlich doch der Tournee-Gesamtsieg zufällt, noch dazu mit 22 Jahren? Und das auf Kosten des 31-jährigen Teamgefährten, der seinem zweiten Tourneesieg nach dem Triumph vor genau zehn Jahren nun weiter hinterherspringt; auch, weil die Wettkampfleitung sich verschätzt hat? Darf man da noch im Schnee in der Leaders-Box hochspringen, jubilieren und feiern?
Natürlich.
Daniel Tschofenig ist vielleicht noch jung, aber Selbstvertrauen hat er wie die meisten älteren Springer, die ihren Sport sonst gar nicht ausüben könnten. Also ließ er sich feiern für seinen Fabelsprung auf 140,5 Meter, wobei er zuvor allerdings auch Glück gehabt hatte. Sein Teamkollege Jan Hörl, der mit 26 Jahren etwas mehr Erfahrung hat, hatte Tschofenig mit einem Fehler erst den Weg freigeräumt. Hörl hatte seinen Flug etwas übertrieben und war bei 143 Metern gelandet, dort, wo der Landedruck besonders groß ist. Statt eines sauberen Telemarks führte er etwas vor, was aussah, als hätte ihm jemand von hinten eine Kopfnuss gegeben. Hörl analysierte: „Ich habe die Landung verschissen.“
Dieser zuweilen noch kindliche Skispringer ist auch ein kluger Athlet
Aber müssen die Besten, vor allem in einem Sport wie dem Skispringen, nicht immer ein wenig vom Glück geküsst sein? Entscheidend ist es, dass ein junger Springer beides kann, das grundsolide Lernen und die Freude am Fliegen. Sein Trainer, der Österreicher Andreas Widhölzl, selbst einst Skisprung-Olympiasieger, Weltmeister und Tournee-Sieger, ist jedenfalls begeistert: „Tschofi ist ein wahnsinniger Kämpfer.“ Das aber reicht noch nicht, denn alle Sportarten, auch das Skispringen, fordern ein theoretisches System, an dem sich auch die besten Schüler orientieren können. Tschofenig ist zwar bis jetzt nicht aus dem Alter heraus, in dem er lieber Blödsinn macht oder seine Begeisterung zeigt, indem er, wenn er gerade die Vierschanzentournee gewonnen hat, hemmungslos schreit und feiert. Und doch ist dieser zuweilen noch kindliche Skispringer ein kluger Athlet.
Schon als junger Springer hat er begriffen, dass man seinen Trainern zuhören sollte. Etwa, wenn sie einem erklären, was eine der wichtigsten, vielleicht sogar die wichtigste Bewegung dieses Sports ist, nämlich der Absprung. Viele Bewegungen müssen dabei nahezu zeitgleich und exakt an der richtigen, nur wenige Zentimeter langen Stelle auf dem Schanzentisch zusammenfließen – nicht gesteuert vom Kopf, sondern vom Körper, unterbewusst. Die Bilder von Tschofenigs Absprung zeigen dabei eine Höhe, die nur wenige erreichen, ohne Tempo zu verlieren. „Das Video von Tschofenig kannst du als Technikleitbild verwenden“, sagt Widhölzl. Tschofenig findet: „Es ist cool, wenn man weiß, man hat alle Siebensachen beieinander.“
Skispringen ist ein Sport, in dem der Trainer es besonders schwer hat, wenn der Schüler nicht mitmacht. Trainer brauchen eine Rückmeldung ihres Springers, sonst können sie ihn nicht exakt coachen. Und das Skispringen ist sehr individuell. Trainer und Springer sprechen manchmal eine eigene Sprache beim Einstudieren der verschiedenen Phasen der Luftreise über die Schanze. Andreas Widhölzl hat kürzlich gesagt, dass Tschofenig, sein junger Springer, „extrem ehrgeizig“ sei, aber auch „extrem professionell für sein Alter“. Mit ihm müsse man sich mehr auseinandersetzen, weil er sehr viele Fragen hat.
Eine Skisprungkarriere ist eine lange Reise, und der 22-jährige Tschofenig hat sich längst aufgemacht mit seinen Siebensachen. Nun auch im Gepäck mit einem goldenen Adler, einer der größten Trophäen seines Sports.