Dänemark: Streit um die nackte „Große Meerjungfrau“ – Panorama | ABC-Z

Vor rund 30 000 Jahren meißelte ein Mann – und sind wir ehrlich, es war höchstwahrscheinlich ein Mann – aus Kalkstein eine Frauenfigur mit riesigen Brüsten und Schenkeln und einem Kopf, der fast gänzlich von so einer Art Strickmütze verdeckt zu sein scheint. Darüber, ob sich alle Frauen im Jungpaläolithikum durch diese Figur, heute bekannt als die Venus von Willendorf, repräsentiert fühlten, lässt sich trefflich spekulieren.
Jedenfalls beschäftigt uns spätestens seit jener Zeit die angemessene Wiedergabe weiblicher Anatomie. Dass Schönheit im Auge des Betrachters liege, ist in der Kunst zwar ein weitgehend akzeptiertes Argument, aber es hat nie ausgereicht, um Debatten über als missraten, reißerisch oder schlicht respektlos empfundene Frauenskulpturen zu verhindern.
Jüngstes Beispiel ist der Streit über die sogenannte „Store Havfrue“, eine Meerjungfrauenskulptur, die nach dem Willen der dänischen Palast- und Kulturbehörde von ihrem Standort vor der Festung Dragør im Südosten Kopenhagens entfernt werden soll. Im Jahre 2006 von Peter Bech, Marketingdirektor der Kopenhagener Langelinie-Promenade, bei einer chinesischen Firma in Auftrag gegeben, sollte die 14 Tonnen schwere Granitfigur als besser sichtbare „große Schwester“ der „Kleinen Meerjungfrau“ dienen. Die war vielen Touristen einfach zu klein. Doch von dort musste sie 2018 weichen, seitdem steht sie 15 Kilometer von Kopenhagen entfernt.
Die Havfrue passe nicht „in das kulturhistorische Umfeld“ der alten Festung, so die offizielle Begründung
Die offizielle Begründung für die erneute Entfernung lautet, die Havfrue passe nicht „in das kulturhistorische Umfeld“ der alten Seefestung Dragør. Im Nachgang dieser Entscheidung haben sich Gegner und Befürworter der Skulptur in den Medien zu Wort gemeldet. Der Kunstkritiker der Zeitung Politiken, Mathias Kryger, nennt das Werk „hässlich und pornografisch“. Sørine Gotfredsen, eine Pastorin der dänischen Staatskirche, schreibt in der konservativen Zeitung Berlingske Tidende, eine Statue, „die den feuchten Traum eines Mannes davon darstellt, wie eine Frau auszusehen hat, wird wahrscheinlich nicht dazu beitragen, dass viele Frauen ihren eigenen Körper akzeptieren“. Im gleichen Blatt verteidigt die Leiterin des Meinungsressorts, Aminata Thrane, die Proportionen der Figur: „Müssen nackte weibliche Brüste eine bestimmte akademische Form und Größe haben, um in der Öffentlichkeit gezeigt werden zu dürfen?“, fragt sie.
Wenn man sich die Skulptur auch nur kurz ansieht, dann erscheint allerdings jede politische Überformung der vollkommen korrekten Entscheidung, sie zu entfernen, völlig unnötig. Der dänische Kritiker hat recht damit, sie hässlich zu nennen: Klobig, grob und irgendwie unfertig sieht sie aus. Pornografisch ist sie nur insofern, als sie ein seelenloses Industrieprodukt ist, eine spekulative, missratene, inhumane Touristikmaßnahme. Auf jeden Fall kein Kunstwerk. Sollte jemand sie in 30 000 Jahren ausgraben, wird er sich zu Recht wundern, was manche Leute im 21. Jahrhundert anscheinend für schön hielten.