Dampfbad Temazcal ist neuer Trend im Wellness | ABC-Z
Vor einem niedrigen, engen Gebäude, das einem Iglu gleicht, stehen ein Mann und eine Frau. Der Mann hat eine Kette mit dem Antlitz eines Hirschs als Anhänger, auf seinen Oberarmen hat er einen Löwen und einen Hirschkopf tätowiert. Die Unterarme der Frau sind mit geometrischen Mustern verziert, sie erinnern an den Unterarmschutz von Kämpfern aus Gladiatorenfilmen.
Obwohl es über 30 Grad heiß ist, hat der Mann ein Feuer vor der Hütte entzündet und darin Steine gestapelt, die er später in das Iglu tragen wird. Das Iglu ist ein Temazcal, ein mexikanisches Dampfbad, und Gustavo Martinez und Linda Mariscal begleiten Menschen durch die rituelle Reinigung darin. Beide waren schon als Kinder mit ihren Großmüttern im Temazcal und haben von ihnen die Abläufe und Lieder gelernt.
Niemand weiß, wann die Menschen angefangen haben, Schwitzhütten zu bauen. Als Kolumbus an den Küsten Mesoamerikas landete, gab es sie schon. Die igluförmigen Gebäude sollen den Schoß von Mutter Erde symbolisieren, die Steine in der Mitte das Innere Ende der Nabelschnur, so erzählen es die Menschen. „Das Temazcal ist ein Ort, an dem Grenzen erfahrbar werden“, sagt Mariscal. „Hier gebären Frauen, aber wir kommen auch hier zusammen, wenn Menschen sterben.“ Sie und Martinez Curanderos sind Heiler, auch wenn sie das nicht herausposaunen, was auch daran liegen mag, dass die alte Form des Heilens unter den spanischen Missionaren als Hexenwerk verschrien wurde. Die Menschen praktizierten es trotzdem weiter, nur eben im Geheimen.
Doch von dort aus hat es mittlerweile seinen Weg in das touristische Angebot vieler Hotels gefunden. Mariscal und Martinez betreuen das Temazcal auf dem Gelände des Hotels One&Only Mandarina, inmitten dichten Waldes an der Riviera Nayarit, an der mexikanischen Pazifikküste. Es ist Teil des Wellnessangebots des Resorts, neben Ayurvedaanwendungen und Yogastunden. Wellness klingt nach Entspannung und Sanftheit, aber das Temazcal geht einen anderen Weg: Es ist eine ungeschliffene, raue Erfahrung, die einen körperlich und mental an seine Grenzen bringt.
„Menschen gehen nicht einfach so ins Temazcal“, sagt Rosalba Velazquez, Wellnessdirektorin des Hotels. „Sie kommen mit einem Anliegen, einer Frage oder sind auf der Suche nach etwas.“ Ursprünglich harren Gruppen von 15 bis 20 Menschen zwei bis drei Stunden zusammen in der dunklen Hitze aus, um nicht nur den Körper, sondern auch den Geist zu reinigen. Wenn man es zusammen macht, stärkt es die Beziehungen zueinander. Aber auch als individuelle Erfahrung verändert es die emotionale Landkarte der Menschen und ermöglicht ihnen, neue Wege zu sehen oder andere Antworten auf ihre Fragen zu finden. „Es geht nicht darum, glücklich zu sein oder ein besserer Mensch zu werden“, sagt Velazquez, „sondern ein Stück mehr man selbst zu sein, sozusagen eine vollständigere Version zu werden.“
Das Gefühl für Zeit und Raum schwindet
Vor dem Temazcal legt Martinez ein Stück Copal, ein Baumharz, das wie ein Räucherstäbchen genutzt wird, in einen Kelch und führt es um meinen Körper. So gereinigt, darf ich das Temazcal betreten, der Eingang ist so niedrig, dass man nur gebückt gehen kann. Mariscal hockt vor der Feuerstelle in der Mitte. „Bring die Steine rein“, ruft sie nach draußen. Vor ihr steht ein Eimer Wasser mit einer Schöpfkelle, sie tropft ätherisches Öl hinein. „Wie viele sind es?“, fragt sie. „Acht“, sagt Martinez. Mariscal möchte drei weitere haben, dann lässt sie die Tür schließen, und es ist dunkel, so dunkel, wie man es selten erlebt, dunkler als die Nacht. Weil der Raum so klein ist, wird es schnell heiß.
Mariscal bedankt sich bei ihren Vorfahren, heißt alle willkommen, spricht in Spanisch und Huichol, die Sprache ihrer Großmutter. Sie gießt immer wieder Wasser über die glühenden Steine, was man nicht sieht, nur hört, genau wie das Bom-bom-bom ihrer Trommel. Wie lässt man los, gibt man sich der Hitze und der Dunkelheit und den Trommeln hin? Mariscal singt, ihre leichte, sanfte Stimme fällt in den Rhythmus des Zischens und der Trommel ein.
Sie singt und singt und singt, bis sie innehält und nach draußen ruft: „Öffne die Tür!“ Etwas Licht fällt herein, und der Rauch ist so dick und weiß, man hat das Gefühl, man könnte ihn wie einen Wattebausch in die Hand nehmen. Und Martinez bringt mehr Steine, und es wird wieder dunkel, es wird heiß und heißer, und das Gefühl für Zeit und Raum außerhalb der Dunkelheit schwindet, während Gedanken durch den Kopf rasen und sich nicht besänftigen lassen.
„Öffne die Tür“, sagt Mariscal wieder, „bring Steine!“ Sagt sie es zum zweiten oder schon zum dritten Mal? Es wird noch heißer und immer feuchter. Rote und grüne Kreise springen vor den offenen Augen umher. Das Hirn füllt die Dunkelheit mit eigenen Inhalten. Die heiße, feuchte Luft riecht herb und frisch, wie Minze mit Moschus. Die große Kunst besteht darin, sich einzulassen und durchzuhalten in diesem Einlassen, einfach nur zu sein, in diesem Moment, in dieser Hitze, in dieser Dunkelheit. Mariscal singt weiter, ihre Stimme legt sich wie eine Decke um den schwitzenden Körper, bis sie innehält und ruft: „Öffne die Tür!“ – und die Tür offen bleibt.
Es zirpt und plätschert im Wald, sein Grün war selten so intensiv. Die Sonne blitzt durch das Laubwerk. Die Gedanken sind weg, Kopf und Körper so leicht und gelöst wie der Dampf des Temazcals.