Stil

Eine Anleitung in 50 Schritten | ABC-Z




Das Ja-Wort

So besuchen Sie entspannt jede Hochzeit

Von KIM MAURUS (Text), LISA SEITZ (Illustration)



18. Mai 2025 · Über keine Feier machen sich Gäste so viele Gedanken wie über Hochzeiten. Wie nimmt man an so einer Veranstaltung nonchalant teil? Eine Anleitung in 50 Schritten.




Hochzeiten lassen sich mit aufmerksamkeitsheischenden Z-Prominenten vergleichen: Auch Menschen, die sie nicht mögen, sprechen über sie. Nicht einmal eingeladen muss man sein, um sich über die Feierlichkeit auszulassen. Wer heiratet wann? Wie viele Leute kommen? Wo wird geheiratet? Wie wird geheiratet? Das ist aber weit weg! Wieso im Ausland? So wenige Gäste? So viele Gäste? Was ziehst du an? Ah, nicht so schick? Unendlich viel Debattierstoff, endlose Regeln – vor der Veranstaltung, währenddessen, danach. Dabei muss man nur ein paar Leitlinien verinnerlichen und Vorbereitungen treffen, dann ist jede Hochzeit als Gast entspannt. Versprochen!




Es ist 1.43 Uhr und Party. Sie können nicht mehr. Vielleicht tun die Füße weh wegen der hohen Schuhe. Zögern Sie nicht. Ziehen Sie sie aus.





Womit wir beim zweiten Tipp wären: Nehmen Sie ein zweites Paar flache Schuhe mit. Außer Sie haben das Glück, dass sich die hochzeitliche Tanzfläche unter freiem Himmel befindet und aus fußschonendem Rasen besteht. Dann ist barfuß Ihre beste Wahl! Kommt leider nicht so oft vor.






Alternativvorschlag: Ziehen Sie erst gar keine hohen Schuhe an. Ihre Fußbekleidung spielt an diesem Tag für alle anderen eine lächerlich geringe Rolle. Niemand muss hohe Schuhe an Hochzeiten tragen, auch wenn diese Annahme unter Um-die-Dreißigjährigen weit verbreitet ist. Im schlimmsten Fall – wir müssen hier leider aus eigener Erfahrung berichten – befördern Sie die zentimeterhohen Exemplare zu Komplizen für Knöchelverletzungen.





Es ist 1.43 Uhr, und Sie können auch ohne Schuhprobleme nicht mehr? Eine Möglichkeit: Trinken Sie etwas, das beflügelt. Sekt zum Beispiel. Oder Espresso Martini.

Sie wollen nichts Alkoholisches? Kein Problem. Trinken Sie Wasser. Hydration vollbringt Wunder. (Oder natürlich alkoholfreies Koffein in Form von Cola, Mate, Energydrinks, Eistee.)

Was Sie in einer solchen Situation nicht tun sollten: allzu lange gequält am Rand stehen oder sitzen. Werden Sie entweder wach oder gehen Sie. Das ist besser für Sie, für den energiegeladenen Teil der Gäste und für das Brautpaar, das sowieso Sorge haben könnte, dass irgendwer keinen Spaß hat. Niemand an diesem Abend möchte von Leuten umgeben sein, die nicht mehr möchten. Und 1.43 Uhr dürfte auf den meisten Hochzeiten eine völlig akzeptierte Zeit sein, um schlafen zu gehen.





Apropos: Wenn Sie ohnehin viel Schlaf brauchen, schlafen Sie die Nacht vorher genug. Es lohnt sich!

Eine Hochzeit führt meist auch in eine Behörde. Viele Hochzeitsabläufe ranken sich um den Standesamtstermin, den das Brautpaar bekommen hat: zum Beispiel zehn Uhr morgens. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Sie knapp 16 Stunden später nicht mehr können. Ruhen Sie sich deshalb zwischendurch aus, machen Sie einen altbewährten Mittagsschlaf, kommen Sie gestärkt zurück.





Es gibt Brautpaare, die wollen, dass man ohne Plus 1 kommt. Ärgern Sie sich nicht darüber. Kommen Sie ohne Plus 1. Fragen Sie nicht danach, ob Sie nicht doch jemanden mitbringen können. Es bringt Sie in eine unangenehme Situation, und das Brautpaar auch.

Manche Paare möchten ohne Kinder feiern. Das kann für Gäste mit Kindern nervig sein. Lassen Sie die Emotionen bei der Entscheidung außen vor. Gehen Sie entweder zur Hochzeit oder sagen Sie ab. Boykott sagt auch ohne viele Worte viel aus.





Wenn Sie am Hochzeitsabend ein Spiel planen oder ein Video zeigen wollen: Sagen Sie den zuständigen Trauzeugen Wochen vorher Bescheid, nicht erst einen Tag vorher. Sie werden es Ihnen danken, denn diese armen Personen müssen in wenigen Monaten zu überirdischen Organisationstalenten mutieren.

Überhaupt: Bieten Sie den Trauzeugen Ihre Hilfe an. Hauptsächlich während der Feier. Das kann etwas Banales sein wie ein Glas Wasser (oder Schnaps). Suchen Sie mit, wenn etwas gesucht wird (zum Beispiel die Geschenketischdecke). Kaufen Sie, wenn etwas fehlt (die Schnur für die Polaroidbilder). Beziehungsweise: Bieten Sie es einfach an. Für Sie ist das in der Regel wenig Aufwand, und Ihrem Gegenüber geht es ungleich besser.





Zurück zum Moment der Einladung oder noch früher, zum „Save the Date“: Liegt der Ort fernab von Deutschland? Seien Sie nicht wütend. Niemand zwingt Sie, für eine Hochzeit über Ländergrenzen zu fahren oder um die halbe Welt zu fliegen. Und bei dieser Veranstaltung wird es zu 99,9 Prozent nicht um Sie gehen. Das Brautpaar geht entweder davon aus, dass alle genug Geld und Zeit haben, um ihnen hinterherzufliegen, oder es ist ihm egal. Das zu akzeptieren ist völlig in Ordnung.

Außerdem kann man eine Einladung in die Ferne auch positiv sehen: Die Dankbarkeit ist umso größer, wenn Sie tatsächlich „den weiten Weg auf sich nehmen“, wie es dann häufig in den Reden auf solchen Hochzeiten heißt.

Oder Sie sehen es ganz pragmatisch: In der Regel heiraten die Menschen im Ausland nicht in einem verschlafenen Nest irgendwo neben der Tankstelle im Industriegebiet. Sondern dort, wo man ohnehin sehr gut Urlaub machen kann: Toskana, Mallorca, kroatische Küste. Wieso – wenn man es sich leisten kann – das nicht einfach verbinden? Zahlt man nicht für einen Urlaub auch gerne drauf?

Wird in Deutschland geheiratet, kann es übrigens auch teurer werden. Eine Stunde Fahrzeit kann nachts eine Ewigkeit sein. Überlegen Sie sich vorher: Fahr‘ ich noch zurück? Manchmal reserviert das Brautpaar Zimmer. Verkatert-verschlafene Hotelfrühstücke sind erfahrungsgemäß unterhaltsam.





Wenn das Brautpaar sich Geld wünscht, schenken Sie Geld. Sagen Sie nicht: „Alle wünschen sich nur noch Geld!“ Das Leben ist ein Geben und Nehmen. Und niemand zwingt Sie zu kommen und zu schenken. Auch wenn es sich selten so anfühlt: Sie müssen das mit diesen Hochzeiten nicht um jeden Preis tun.





Wenn Sie der Dresscode überfordert, bleiben Sie ruhig. Ihnen geht es vermutlich wie 99 Prozent aller Gäste.

Wenn es keinen Dresscode gibt, fragen Sie das Brautpaar oder etwaige Trauzeugen. Unter Umständen hat es konkrete Vorstellungen, spricht sie aber nicht aus.

Wenn Sie nichts Passendes haben: Leihen Sie sich ein Outfit. Auch von einer Freundin, die genau dieses Outfit an einer anderen Hochzeit getragen hat, bei der fast die gleichen Leute da waren. Es ist wirklich egal.

Wenn Sie etwas Eigenes haben wollen: Nutzen Sie die Chance! Kaufen Sie einfach ein Outfit, das Sie mehrmals anziehen können, vielleicht auch zu einem anderen Anlass. Ja, das kann schwer sein. Aber verzagen Sie nicht! Bringen Sie es notfalls zum Schneider, wenn es nicht ganz richtig passt. Es wird sich lohnen.

Heben Sie in der modischen Interpretation nicht ab – tragen Sie ein Abendkleid oder den Smoking nur, wenn das der Dresscode ist. Weniger ist mehr. Overdressed fällt bei Hochzeiten deutlich mehr auf als underdressed. Und man macht sich angreifbar für den meist unbegründeten Vorwurf, man wolle der Braut oder dem Bräutigam die Schau stehlen.

Wenn nirgendwo explizit gewünscht ist, dass die Gäste Weiß tragen sollen oder dass man auch Weiß tragen darf: Tragen Sie kein Weiß! Auch kein Eierschalenweiß! Wenn Sie unsicher sind, ob Ihr Outfit weiß oder beige ist, tragen Sie lieber etwas anderes. Verschwendet ist das Outfit ja nicht. Weiße oder quasi-weiße Sachen lassen sich wunderbar anderswo tragen: bei Geburtstagen zum Beispiel.





Apropos Geburtstag: Werden Sie misstrauisch, wenn jemand runde Geburtstage mit überaus großem Engagement ankündigt. Es könnte sich dabei um eine Überraschungshochzeit handeln, auch hier sprechen wir aus eigener Erfahrung. Die kommt dann logischerweise überraschend – macht aber sehr viel Spaß!





Falls Ihnen die zündende Idee kommt, am großen Tag noch wenige Minuten vor der Trauung Nagellack aufzutragen: Tun Sie es nicht! Schon gar nicht bei 37 Grad (was im Sommer in besagten Urlaubshochzeitsländern durchaus vorkommen kann). Der Lack trocknet nicht richtig, man schmiert alles voll. Lassen Sie ihn weg, wie gesagt: Zu 99,9 Prozent geht es an diesem Abend nicht um Sie.

Vermeiden Sie bei sommerlicher Hitze außerdem Kleider aus Polyester. Das Material ist schlicht eine Qual. Wenn Sie sich jetzt fragen, was denn erst die Männer sagen sollen, entgegnen wir gerne: Für Männer sind Leinenanzüge bestens geeignet. Sie sind dünner und luftiger und meist lässiger und stilsicherer als die herkömmlichen Exemplare.





Essen Sie am Hochzeitstag zu Mittag, idealerweise Kohlenhydrate. Auch ein Brötchen in der Handtasche hilft Wunder. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass der Aperol Spritz, der Kaffee und gegebenenfalls der Kuchen am Nachmittag Sie schon über den Tag bringen werden. Abendessen gibt es immer später als angekündigt, und falls Sie gerne Aperol Spritz trinken, wird der Heißhunger nur umso größer – oder Sie fallen umso früher ungünstig auf.





Checken Sie Ihr Handy vor der Trauung. Ist es stummgeschaltet? Fotografieren Sie nicht währenddessen, wenn das Brautpaar ohnehin einen professionellen Fotografen engagiert hat. Niemand möchte hochgereckte Arme und Handys auf seinen Hochzeitsbildern haben. Leben Sie im Moment – und so weiter.

Weinen Sie drauflos, wenn es während einer Rede emotional wird. Vielleicht nicht allzu laut, aber das Wasser darf schon fließen. Dafür sind Hochzeiten da, und wasserfestes Make-up ist keine Sünde. Es geht um die Liebe, was gibt es Schöneres? Taschentücher einzustecken ist sowieso empfehlenswert, auch falls nicht Sie, sondern Ihr Nachbar weinen sollte.





Die beste Tageszeit einer Hochzeitsfeier ist meist der Nachmittag, irgendwann zwischen Trauung und Abendessen. Dann, wenn es Aperol Spritz oder auch einfach Sekt gibt, alle ein bisschen rumstehen und das Brautpaar unterwegs ist, um Fotos zu machen. Genießen Sie, dass auf dem Programm Nichtstun steht. Reden Sie mit ein paar Leuten, auch welchen, die Sie nicht kennen! Später am Abend werden Sie sich selbst dafür danken.

Falls Ihnen ein Smalltalk-Thema fehlt: Sprechen Sie darüber, wie seltsam und deutsch die Regel ist, sich beim Prosten mit hochgezogenen Brauen in die Augen zu schauen – wo man doch gleichzeitig darauf achten muss, das Glas des anderen (nicht zu sehr) zu treffen!

Jammern Sie während der Feier nicht über das Essen, die Lautstärke, die für Ihren Rücken unbequemen Stühle, die aus Ihrer Sicht fehlende Tischdekoration oder sonstige Geschmackssachen. Im schlimmsten Fall hört Sie das Brautpaar direkt, im besten Fall jemand, der das Brautpaar davon in Kenntnis setzen kann. Lästern können Sie später immer noch, in einem Raum, der nicht zig Paar Ohren hat.

Denken Sie sich aber vielleicht auch: Ja, ich hätte es anders gemacht – aber egal. Denn es ist ja, logisch, nicht Ihre Hochzeit. Wäre seltsam, wenn alles so wäre, wie Sie es sich vorgestellt haben.

Eine Rückbesinnung aufs Positive hilft auch hier: Freuen Sie sich, dass Sie dabei sind! Rummäkeleien über Hochzeiten entstehen ja, weil man die Bedingungen, zu denen man Spaß haben soll, nicht akzeptieren will. Das ist zwar das gute Recht eines jeden – helfen tut es aber nicht einmal Ihnen selbst.

Überhaupt: Legen Sie Ihr mentales Korsett für diese paar hochzeitlichen Stunden ab. Besonders wenn es später am Tag musikalisch zugehen sollte. Sie mögen keine Schlager? Keine Karnevals-/Faschingsträllerei? Kein Electro? Egal! Tanzen Sie mit, zumindest für eine Weile. Das Brautpaar will es so, und das ist okay.





Legen Sie an diesen Tanzabenden, egal ob musikalisch in Ihrem Sinne oder nicht, kurze Pausen ein. Schnappen Sie sich Ihren Partner oder eine gute Freundin und gehen Sie kurz an die frische Luft, machen Sie vielleicht einen kleinen Spaziergang. Das gibt dem Abend ein bisschen Spielfilmatmosphäre (wir denken an Szenen, in denen der eine zur anderen sagt: „Let’s get out of here“). Und Sie können draußen gleich herausfinden, wie betrunken Sie schon sind.





Stichwort Alkohol. Eigentlich möchten wir dazu raten, auf einer Hochzeit ordentlich zu trinken. Denn meist gibt es gute Drinks, der Rausch hält die Stimmung außerdem gut oben.

Allerdings verhält es sich mit Alkohol wie mit fast allem im Leben: Balance is key. Sie wollen nicht als der- oder diejenige gelten, der oder die von der zweiten Nachthälfte an zu anhänglich wird und Küsschen auf die Wangen nicht so vertrauter Personen presst. Oder sich entwürdigend auf die Toilette verabschieden muss.

Wir würden von diesem Credo nur in einem Ausnahmefall abraten: wenn irgendetwas grundsätzlich schiefgeht; ein Familienstreit entbrannt ist, der den Abend ruiniert; einer den anderen spontan kurz vor der Trauung verlässt; mit Ihnen an diesem Abend in einem Nebensatz Schluss gemacht wird. Man weiß ja nie! Dann jedenfalls darf man sich ruhig ein paar Gläser mehr genehmigen – und wirkliche Lösungen auf das Zukunfts-Ich abwälzen.





Der Abend verläuft undramatisch, aber Sie kennen sonst nur wenige oder gar keine der anderen Gäste? Stellen Sie sich zu denjenigen, die ein ähnliches Outfit tragen wie Sie. Kleider machen Leute. Und wer sich in Stilfragen einig ist, mag sich meistens auch so.

Als Einstieg ins Gespräch können Sie gleich das Outfit des anderen loben. Oder natürlich übers Prosten reden.

Sie sind Single? Gehen Sie nicht übereifrig auf die Suche nach einem Partner oder einer Partnerin – außer natürlich, Sie sind gerne Gesprächsthema. Flirt-Offensiven fallen auf, besonders jenen anderen Gästen, die seit Jahren ein (verheiratetes) Paar sind.

Schämen Sie sich außerdem nicht fürs Single-Dasein! Es dürfte immer Paare unter den Gästen geben, die Sie im Grunde ehrlich beneiden. Suchen Sie sich für den Abend andere Singles, das geht ja auch freundschaftlich.

Es sollte schon rübergekommen sein, aber: Haben Sie eine gute Zeit! Zwingen Sie sich notfalls dazu! Es klappt wirklich!

Und vergessen Sie nicht: Bleiben Sie unkompliziert!





Zur Sicherheit: Trinken Sie nicht zu viel durcheinander. Die Entscheidung für das Getränk des Abends wird nicht leichter, nur weil man sie aufschiebt.

Denken Sie auch ans Zwischenwasser!





Wenn alte Freunde auch dort sein sollten, reden Sie mit ihnen über die guten alten Zeiten. Wann, wenn nicht auf einer Hochzeit?

Schreiben Sie rührselige Worte ins Gästebuch oder sprechen Sie Rührseliges aufs Gästetelefon. Lassen Sie sich von Ihren Emotionen treiben.





Wenn Sie das ganze Thema auch nach dieser Anleitung zu sehr umtreibt, gehen Sie auf mehr Hochzeiten. Sie werden entspannter sein – und jede dieser Liebesveranstaltungen wird nicht weniger schön sein.






Back to top button