Corona-Impfstoff: Manuela Schwesig und die Vakzine aus dem Kreml | ABC-Z
Bislang unbekannte Regierungsunterlagen zeigen, wie sich Ministerpräsidentin Manuela Schwesig persönlich um Corona-Impfstoffe aus Russland bemühte. Warnungen vor Kreml-Deals und Qualitätsproblemen schlug sie in den Wind, heute lässt sie bei kritischen Nachfragen Anwälte Drohschreiben verschicken.
Am 29. April 2021 verschickt ein eifriger Mitarbeiter der Arzneimittelüberwachungs- und -prüfstelle (AMÜSt) in Schwerin eine E-Mail. Die Empfänger: seine Vorgesetzten in der von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) geführten Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns (MV). „Liebe Kolleginnen und Kollegen“, schreibt der Mann, „aus Presseberichten habe ich erfahren, dass in Mecklenburg-Vorpommern offenbar ernsthaft über eine Beschaffung [von Sputnik V] nachgedacht wird.“ Er beklagt, dass ihm keine Anfrage hinsichtlich der Qualität des russischen Impfstoffes vorliege – obwohl es Zweifel an diesem gebe: „Diese sollten ernst genommen werden.“
Der Mann holt zum Rundumschlag aus: Fehler bei der Beschaffung ordnungsgemäß hergestellter und zugelassener Impfstoffe sollte man nicht versuchen dadurch zu korrigieren, „dass Impfstoffe unklarer Qualität bei kriminellen Regimen beschafft werden“. Der Ruf des russischen Impfstoffes werde so schlecht sein, dass ihn sich niemand spritzen lassen wollen würde. Außerdem bezweifle er, dass die Lieferungen aus Moskau überhaupt jemals eintreffen.
Das Schreiben gehört zu einer Fülle an Dokumenten, die WELT AM SONNTAG über eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erhalten hat. Sie zeigen, wie Ministerpräsidentin Schwesig unbeirrt einen Impfstoff-Deal mit Russland vorantrieb, obwohl dieser frühzeitig zum Scheitern verurteilt war. Es ist ein weiterer Fall, in dem ihre Landesregierung die Nähe zum Kreml suchte. Seit ihrem Amtsantritt hatte sich Schwesig immer wieder darum bemüht, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland auszubauen – trotz Ukraine-Krise, trotz des Giftanschlags auf Alexei Nawalny. Sie sprach sich für die Ostsee-Pipeline Nord-Stream 2 aus, ließ gar die sogenannte „Klima-Stiftung“ gründen, deren Zweck die Umgehung von Sanktionen war.
Im Fall Sputnik war es gemäß der Papiere sogar so, dass sich Schwesig nicht nur über die Warnungen ihrer eigenen Experten wie die des AMÜSt-Mitarbeiters hinwegsetzte, sondern auch finanzrechtliche Vorgaben ignorierte. Die Verhandlungen zwischen Schwerin und Moskau, sie begannen mit einer Videokonferenz am 17. März 2021. Wie genau dieses Treffen eingefädelt wurde, dazu geben die bislang vorliegenden Papiere keinen eindeutigen Aufschluss. E-Mails deuten aber darauf hin, dass der damalige Russlandbeauftragte Schwesigs, Falk Tischendorf, als Mittelsmann zwischen Schwerin und dem Russischen Direktinvestmentfonds (RDIF), der Sputnik V vertrieb, agierte. Der Anwalt gilt als bestens vernetzt in Moskau.
Laut Ergebnisprotokoll erklärte Harry Glawe (CDU), damals Landesminister für Wirtschaft und Gesundheit und Schwesigs Vize, gleich zu Beginn der Konferenz am 17. März: „Die Kompetenz von Russland bei der Entwicklung und Produktion von Impfstoffen ist unbestritten.“ Die RDIF-Vertreterin sagte: „Russland spürt, dass Deutschland Russland unterstützt.“ Man einigte sich darauf, einen Vorvertrag zu entwerfen und die benötigten Mengen abzustimmen.
Am 22. März versandte die Staatskanzlei eine E-Mail an Tischendorf. Schwesig, so heißt es darin, beabsichtige „direkt in den Austausch“ mit den Russen zu treten. Sie wolle wissen, an welchen Minister sie sich wenden solle. Knapp eine halbe Stunde später kam die Antwort: „Nach Rücksprache mit dem Industrieministerium sollte ein solches Schreiben an den Industrieminister Manturov und in Kopie an den Generaldirektor des RDIF gerichtet werden. Wenn Sie dies wünschen, unterstütze ich gern bei der Abfassung des Schreibens in der russischen Sprache“, so Tischendorf.
Am 7. April schickte Schwesig Manturov dann einen Brief. Sie teilte ihm mit, dass sie sich bereits bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ein „zügiges und objektives Zulassungsverfahren sowie die Option des Impfstoffes Sputnik V durch die EU“ ausgesprochen habe – die wichtigste Voraussetzung für die geplante Verabreichung in MV. Ihr sei es ein großes Anliegen, für ihr Bundesland ein ausreichendes Kontingent an dem Impfstoff zu „optionieren“.
Schwesig bat den russischen Minister um „aktive Unterstützung“ bei den Vertragsverhandlungen. Sie selbst unterstütze „ausdrücklich“ auch die Ansiedlung einer Sputnik-Produktionsstätte in Mecklenburg-Vorpommern: „Möge auch dies dazu dienen, die gute Verbindung unseres Landes zur Russischen Föderation weiter zu vertiefen.“
Bezahlung ohne gültigen Vertrag
Mit der Durchführung der weiteren Verhandlungen beauftragte die Staatskanzlei ohne Ausschreibung die Anwaltskanzlei Luther mit Hauptsitz Köln. Der Landesrechnungshof rügte die Staatskanzlei später in einem Sonderbericht für Verstöße gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung. Bezüglich der Beauftragung der Kanzlei gebe es keine substanziellen Unterlagen. MV zahlte insgesamt 39.174,80 Euro an Luther. Dabei hätte die erste Rechnung der Kanzlei über rund 21.500 Euro gar nicht beglichen werden dürfen, so die Prüfer. Der Grund: Zu diesem Zeitpunkt gab es nicht mal einen Vertrag. WELT AM SONNTAG liegt dazu auch ein Beschwerdebrief des Gesundheitsministeriums an die Staatskanzlei vor. In diesem heißt es, die Anwälte würden auf Nachfragen zur Mandatsvereinbarung nicht reagieren und hätten sich über die vorgegebene Kostenobergrenze von 20.000 Euro einfach hinweggesetzt.
Fakt ist: Am 8. April 2021 unterzeichnete das Wirtschaftsministerium eine Vertraulichkeitserklärung mit dem RDIF. Verhandelt wurde fortan über die Lieferung von insgesamt einer Million Sputnik-Dosen für je 9,95 US-Dollar. Aber es ging nicht voran. Immer wieder meldeten Fachleute aus den Ministerien Bedenken an: Nein, man könne Meldungen über Impfnebenwirkungen nicht direkt nach Moskau weiterleiten. Nein, der RDIF könne nicht nahezu jedwede Haftbarkeit für Fehler im Rahmen des Deals ausschließen. Nein, man könne nicht 50 Prozent des Kaufpreises vorab zahlen. Und nein, MV könne nicht zusagen, bei Verstoß gegen die Vertraulichkeitsverpflichtung pauschal eine Million US-Dollar zu zahlen.
Geplante Verkündung am „Russlandtag“
Gleichzeitig rückte die EU-Zulassung immer weiter in die Ferne. Und auch das anvisierte Lieferdatum Juni ließ sich nicht mehr halten. Gegenüber der Bundesregierung, die parallel Verhandlungen über Sputnik V führte, erklärte Russland Mitte Mai, eine Lieferung im Juni ginge nur noch, wenn man die einem anderen Land zugesagten Impfdosen wieder entziehen würde. Konkret wurde Indien genannt. Dies wäre „politisch nicht vermittelbar“, fand das Bundesgesundheitsministerium. In Berlin fiel man auf Putins offensichtliche Strategie, mittels Sputnik V einen Keil zwischen die westlichen Staaten zu treiben, nicht herein. Ohnehin war inzwischen klar, dass es in Deutschland ein Überangebot an Impfdosen gab. Auch andere EU-Staaten wandten sich bezüglich Sputnik endgültig vom Kreml ab.
In Schwerin hingegen gab Ministerpräsidentin Schwesig nicht auf. „In der nächsten Woche sollten Sie sich verstärkt dahinterklemmen, da Russlandtag ist, und M und MPin [Anm. d. Red.: Minister und Ministerpräsidentin] sicher etwas auch zu Sputnik verkünden wollen“, heißt es in einer ministeriumsinternen E-Mail vom 21. Mai 2021. Wenn die Zahl der Impfdosen unter der ursprünglich geplanten Menge bleibe, „hätte die russische Seite auch kein Problem“. Ein Justiziar im Wirtschaftsministerium erkannte dagegen eine Chance, die Sache abzublasen: Der höhere Bedarf in Indien könne eine „goldene Brücke zum Ausstieg aus den Landesverhandlungen“ sein, schrieb er.
Erst als sich mit dem Infektiologen Emil Reisinger Schwesigs wichtigster Corona-Berater Anfang August gegen Sputnik V aussprach, stand in einem Vermerk zu einer anstehenden Kabinettssitzung, damit wäre „eine gute Vorlage“ gegeben, „das Projekt zu stoppen“. Am 16. August entschied die Sonder-Staatssekretärsrunde Corona den Vorgang „ruhend“ zu stellen, um weitere Kosten zu vermeiden. Die Kanzlei Luther wurde angewiesen, die Vertragsverhandlungen auszusetzen.
Was sagt Schwesig zu all dem? Am Dienstag wandte sich WELT AM SONNTAG mit einem Fragenkatalog an sie, bat um Stellungnahme binnen rund 24 Stunden. Dafür habe man so schnell keine Zeit, teilte Regierungssprecher Andreas Timm mit. Bis Donnerstagabend? Auch nicht. Bis Freitagmorgen denn? Nein. Dann schalteten Schwesigs Leute eine der teuersten Anwaltskanzleien der Republik ein. Dessen Chef schrieb der Redaktion, die Landesregierung werde „im Laufe des Dienstags“ kommender Woche antworten. Berichte man vorher, würde die „journalistische Sorgfaltspflicht“ verletzt. Was die Beauftragung der Kanzlei das Land MV kostet? Welche Stundensätze vereinbart wurden oder ob nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz gezahlt werde? Auch dazu wollte sich Schwesigs Sprecher nicht äußern.
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