Corona: Das Risiko für Long Covid nimmt von Welle zu Welle ab |ABC-Z
Ziyad Al-Aly zählt zu den führenden Long-Covid-Forschern weltweit, und sein Wort hat Gewicht. Nun meldet sich der Epidemiologe von der Washington University in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri mit einer bemerkenswerten Analyse: Demnach ist das Risiko, nach einer Corona-Infektion unter Langzeitfolgen zu leiden, seit Beginn der Pandemie deutlich zurückgegangen. Einerseits weil Impfstoffe verfügbar wurden, andererseits weil im Laufe der Zeit offenbar weniger problematische Virusvarianten zirkulierten.
„Es ist eine seltene Gelegenheit, dass ich gute Nachrichten über dieses Virus zu berichten habe“, kommentiert Al-Aly den Befund, den er mit seinem Team jetzt im „New England Journal of Medicine“ (NEJM) veröffentlichte. Bereits zuvor hatten die Forscher untersucht, wie groß die Krankheitslast durch Long Covid in der Bevölkerung eigentlich ist, welche Organe typischerweise geschädigt werden und wie sich das Syndrom von chronischen Problemen nach einer Grippe unterscheidet.
So können nach einer Corona-Infektion nicht nur Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten oder Atembeschwerden noch viele Wochen oder Monate fortbestehen, sondern etwa auch Herz und Nieren, Muskeln, Gelenke oder der Darm Probleme bereiten.
Bereits bekannt war: Das Risiko für solche chronischen Beschwerden hängt unter anderem davon ab, wie schwer die Infektion verläuft und ob Begleiterkrankungen, wie ein Diabetes, zusätzlich vorliegen. Die neuen Ergebnisse belegen nun jedoch, dass es auch darauf ankommt, in welcher Welle der Pandemie man sich angesteckt hat.
Für ihre Studie zogen Al-Aly und Kollegen Millionen von anonymisierten Krankenakten des „US Department of Veterans Affairs“ heran, das zu den größten Gesundheitsversorgern in den USA gehört. Das Team verglich dabei Personen, die sich im Jahr 2020 mit dem ursprünglichen Stamm von Sars-CoV-2 infiziert hatten, mit Patienten, die 2021 an der Delta-Variante oder aber 2022 an der Omikron-Variante des Erregers erkrankten. „Omikron“ mit seinen molekularen Untertypen, darunter die sogenannten Flirt-Varianten der aktuellen Sommerwelle, prägt weiterhin das Infektionsgeschehen.
Jede Virusvariante hat eigenen Fingerabdruck
Klares Ergebnis der Analyse: Omikron scheint deutlich weniger mit Langzeitfolgen behaftet zu sein als noch Delta oder gar der Ursprungsstamm des Virus. Für letzteren fanden die Forscher, dass 10,4 Prozent aller Patienten im Laufe eines Jahres nach der Infektion von Long Covid betroffen waren. Für Delta-Infektionen lag der Wert bei 9,5 und für Omikron bei 7,7 Prozent. Offenbar würden sich die molekularen Unterschiede zwischen den Virustypen auch in der Reaktion des Körpers auf den Erreger niederschlagen, sagt Al-Aly.
„Die Menschen neigen dazu, Sars-CoV-2 als ein homogenes Virus zu betrachten“, so der Covid-19-Spezialist, „aber jede Variante hat ihren eigenen Fingerabdruck.“ Sehr viel deutlicher als der Einfluss der molekularen Erreger-Evolution im Zuge der Pandemie machte sich allerdings der Effekt von Impfungen bemerkbar. Während zu Beginn der Epidemie noch keinerlei Vakzine verfügbar waren, konnten Patienten in der Delta- und Omikron-Ära erheblich von den Impfstoffen profitieren.
Tatsächlich sank die Long-Covid-Rate unter Menschen mit einer Delta-Infektion von 9,5 auf 5,3 Prozent, wenn sie zuvor eine Immunisierung erhalten hatten. In der Omikron-Welle reduzierte sich die Quote sogar von 7,7 auf 3,5 Prozent. Das bedeutet: Auch wenn die Impfung eine Infektion nicht verhüten konnte – die Langzeitfolgen der Erkrankung milderte sie gleichwohl ab.
„Impfungen können viele, wenn auch nicht alle Fälle von Long Covid verhindern“, bemerkt der US-Mediziner Clifford Rosen in einem begleitenden NEJM-Editorial zu der Studie. Zugleich macht er darauf aufmerksam, dass die Analyse vorwiegend auf den Krankenakten von US-Veteranen – somit älteren weißen Männern – beruhe und lediglich einen Schnappschuss der ersten zwei Pandemie-Jahre liefere. Dies erschwert Vorhersagen, wie sich die Long-Covid-Problematik in Zukunft entwickelt. „Neue Fälle können weiterhin auftreten“, unterstreicht Clifford.
„Die Ära von Long Covid ist noch nicht vorbei“, pflichtet Al-Aly bei. „Es ist wirklich eine gute Nachricht, dass das Risiko gesunken ist. Aber wir wissen, dass Millionen von Menschen bereits Long Covid haben, und Millionen weitere werden es noch bekommen.“
Bemerkenswert ist dabei zudem, dass die Omikron-Variante laut der Studie zwar seltener zu Schäden in Herz, Hirn, Lunge oder Niere führt. Stoffwechselprobleme und Krankheiten des Magen-Darm-Trakts scheint Omikron jedoch häufiger nach sich zu ziehen als andere Coronavirus-Typen.
Denkbar ist daher, dass sich Langzeitfolgen zukünftig gerade an Stoffwechsel- oder Magen-Darm-Beschwerden bemerkbar machen werden, die bereits eine Infektion häufiger begleiten.
Al-Aly warnt deshalb davor, die Infektion und ihre möglichen Folgen zu unterschätzen: „Wir dürfen nicht unvorsichtig werden“, so der Epidemiologe. Ein Schlüssel dazu, um die Rate von chronischen Beschwerden möglichst niedrig zu halten, liege in der regelmäßigen Impfung: „Wenn wir auf die Impfungen verzichten“, meint Al-Aly, „wird das Risiko wahrscheinlich steigen.“