Comiczeichner Jules Feiffer gestorben | ABC-Z

So! Wieder beim Schmökern! Und was für törichtes Zeug! „Ultraman“, ein Phantasiegebilde von Detektiv, das über Wolkenkratzer springt und mit der bloßen Hand alle Übeltäter zur Strecke bringt! Die ganz frühe Comicproduktion Jules Feiffers konnte Unfrieden stiften in der ohnehin nicht gerade beschaulichen Umgebung der elterlichen Wohnung im östlichen Teil der Bronx. Ein Nachbarkind, das dem Schöpfer das umschlaglose Heft mit den Abenteuern des Ultramenschen für sieben Cent abkaufte, lief Gefahr, von den Eltern wegen Taschengeldverschwendung zur Schnecke gemacht zu werden, obwohl die zusammengehefteten Blätter mit Bleistiftzeichnungen volle drei Cent, also ein Drittel, billiger waren als ein gedrucktes Heft über Superman oder Batman. Der Zeichenstil war primitiv, der Zeichner war schließlich erst elf Jahre alt. Allerdings sahen die im Laden verkauften Hefte von Reihen wie „Action Comics“ auch nicht so aus, als hätten die Künstler eine akademische Ausbildung absolviert – Michelangelo war alles dagegen.
Töricht mochte wirken, wer Geld für Zeichenware ausgab, die als Unikat daherkam, aber Bild für Bild abgekupfert war. Das Kostüm von Ultraman mit dem Umhang und der dreieckigen Hose über dem Beinkleid, die Sprungfähigkeit und deren New Yorker Kulisse, die stählerne Brust, die den Kugelhagel abprallen lässt – alles bei Superman geklaut. Feiffers erstes Publikum muss man sich gleichwohl rundum vergnügt, da durch und durch aufgeklärt vorstellen. Die anderen Kinder kannten die Superheldencomics ja auch und erkannten die Hommage; in ihrer Jugend verstanden sie schon alles von modernen Jugendschriften.
Unter dem Titelschriftzug von „Ultraman“ stand eine fiktive Autorenangabe: „Von Jack Frost und Jim Farrel“. Der Superman überbietende Wundermann hatte also wie Superman zwei Väter, die sich wie Joe Shuster und Jerry Siegel die Initialen teilten – die Initialen des wahren Vaters von „Ultraman“.
Die besten Strips in den schlechtesten Zeitungen
Bei Feiffers daheim wurde seine Begeisterung für Comics zwiespältig gesehen. Wie er sich 1998 in einem von ihm redigierten Comic-Sonderheft der Zeitschrift „Civilization“ erinnerte, standen die besten Strips in den schlechtesten Zeitungen, die in einem „guten, liberalen, jüdischen Haushalt“ nicht gehalten wurden, so dass er sie auf der Straße aus dem Altpapier fischen musste. Dass Feiffers Frühwerk erhalten ist, verdankt die Welt seiner Mutter, die etliche Ausgaben des handgemachten Wochenhefts „Comic Caravan“ konfiszierte – weil sie den Preis von sieben Cent für zu niedrig hielt. Sie konnte das beurteilen, war selbst Zeichnerin von Beruf. Mit Entwürfen für Modehäuser bestritt sie den Unterhalt der Familie.
Als Jules Feiffer 1956 im nun schon recht fortgeschrittenen Alter von 27 Jahren seinen Traum eines wöchentlichen Comicstrips verwirklichen konnte, bekam er acht Jahre lang gar kein Honorar. Die „Village Voice“, Stimme der literarischen Boheme von Greenwich Village, war ein Projekt der Gegenkultur und setzte wie spätere Alternativmedien auf Selbstausbeutung.

Als Sechzehnjähriger hatte Feiffer mit seiner Mappe bei einem seiner Idole vorgesprochen, Will Eisner, dem grafisch ungeheuer virtuosen Erfinder des Detektivs The Spirit. Eisner stellte ihn ein, obwohl er befand, dass er nicht zeichnen konnte, und ließ ihn zunächst Sprechblasen füllen und dann Dialoge schreiben. Mike Nichols, der auf dem Theater („The Apple Tree“, 1966; „Elliot Loves“, 1990) und beim Film („Carnal Knowledge“, 1971, mit Jack Nicholson und Art Garfunkel) mit Feiffer zusammenarbeitete, charakterisierte ihn als die Sorte von Cartoonist, der sich nur für die Wörter interessiere.
Angstvorstellungen können Trostbilder werden
Die Urteile dieser beiden Meister überraschen, weil Feiffers Strich unverwechselbar ist: locker, zittrig, zugleich ökonomisch. Laut Art Spiegelman hat Feiffer wie jeder große Comic-Künstler das gesamte Medium neu erfunden. In seinem Fall heißt das: stenographisch, aus dem Mitschreiben der gesprochenen Sprache. Mit dem Schematismus der Superheldenfabrik, aber auch mit dem Ultrarealismus der von Feiffer bewunderten Präzisionsarbeiter Milton Caniff und Alex Raymond hat der Stil des Comicstrips „Feiffer“ nichts gemein: Der Namengeber hat ihn aus dem Mundgelenk geschüttelt. Die verräterischen Windungen und Stockungen des Redeflusses boten in der Epoche zwischen Nixon und Clinton, Woody Allen und Larry David den perfekten Stoff für eine satirische Chronik der bildungsbürgerlichen Sitten wie der Unsitten der hohen Politik. Vor Claire Bretécher und Chlodwig Poth war Jules Feiffer.

Nach vier Jahrzehnten im Wochendienst verlegte er sich auf Kinderbücher. Angstvorstellungen, hat man den Mut, sie zu Papier zu bringen, können Trostbilder werden: Für solche Phantasiegebilde war Feiffers skizzenhafter Duktus richtig, weil Kinder selbst noch in der Entwurfsphase des Lebens sind. In „Kill My Mother“, Feiffers Beitrag zu der von Eisner mit „A Contract With God“ begründeten Gattung Graphic Novel, lieferte er 2014 Boxszenen ab, die auch bei seinem Mentor Gnade gefunden hätten.
In ungezählten Folgen von „Feiffer“ löst sich aus den kommunikativen Verstrickungen eine schlanke Frau, die sich um sich selbst dreht und eins mit der Welt wird. Man darf in dieser Tänzerin Jules Feiffers Denkmal für seine Mutter sehen. Die Figur wird Gestalt, indem sie sich in Bewegung auflöst. Bernini und Giacometti sind nichts dagegen. Am 17. Januar ist Jules Feiffer im Alter von 95 Jahren in der Kleinstadt Richfield Springs im Bundesstaat New York gestorben.