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Ein Film über die Technoszene in Berlin berauscht sich am Mythos der Vergangenheit | ABC-Z

Die Berliner Technoszene ist vieles: ein Mythos von weltweiter Strahlkraft, fest im Selbstverständnis der Hauptstadt verwurzelt, zugleich ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, der zahlreiche Branchen belebt – und doch angesichts des Club­sterbens akut in ihrer Existenz bedroht. Umso passender scheint der Moment für einen Film wie „Rave On“, dessen Titel bereits eine entschlossene Weigerung erkennen lässt, sich von den durchtanzten Nächten, dem kollektiven Freiheitsgefühl und der besonderen Energie irgendwann – und schon gar nicht in absehbarer Zeit – zu verabschieden.

Allerdings rufen Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski, die hier als Regie- und Drehbuchduo agieren, mit ihrer nostalgiesatten Club-Odyssee gerade nicht diese positiven Assoziationen an die Szene wach, sondern erinnern vor allem an ihre schrecklich ermüdenden Schattenseiten.

Wohl kaum mit Absicht – aber diese unkritische Selbstsicherheit trifft paradoxerweise sehr gut den Kern dessen, was auch das Nachtleben der Hauptstadt bisweilen so anstrengend macht. Dort äußert es sich etwa im ungefragten Dozieren selbsterklärter Experten zu Musik und Subkultur, im ewigen Prahlen mit „legendären“ Raves und sowieso einer Vergangenheit, die oft mehr glorifiziert als gelebt wurde.

Besonderes Distinktionsbedürfnis

Der Dunst von Dauerselbstdarstellung und einem besonderem Distinktionsbedürfnis – für manche der eigentliche Kraftakt der Nacht – durchweht auch die knapp achtzigminütige Spielzeit von „Rave On“. Nicht zuletzt, weil sie in Hauptfigur Kosmo (Aaron Altaras) ein personifiziertes Sinnbild finden.

Der Film

„Rave On“. Regie: Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski. Mit Aaron Altaras, Clemens Schick u. a. Deutschland 2025, 80 Min.

Kaum ist der Film eröffnet, verkündet der einst gefeierte Technoproduzent und DJ schon mit missionarischem Eifer, dass Vinyl das einzig Wahre sei – ausgerechnet dann, als ihn der Türsteher dabei ertappt hat, wie er sich durch den Nebeneingang in seinen Lieblingsclub schleichen will. Vorher hatte Kosmo an der Tür bereits eine Abfuhr kassiert, denn angeblich wartet alle Welt nur auf seinen neuen Track. Er soll also zurück ins Studio, anstatt zu feiern.

Den Track aber hat der freilich schon dabei, sorgsam im Jutebeutel verstaut, um ihn drinnen der Rave-Legende Troy Porter (gespielt vom House-Produzenten Jamal Moss alias Hieroglyphic Being) zu überreichen. „Eine Platte ist eben etwas ganz anderes“, belehrt Kosmo mit verächtlichem Schnauben den unwissenden Türsteher, der irritiert nachfragt, warum er Troy den Track nicht einfach als Link schicken könne.

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Aber ohne solche Hürden und Glaubensbekenntnisse gäbe es nun mal weder Film noch Szene: Kosmo wird nach dieser frohen Botschaft doch eingelassen, hinein in die Nacht, die noch viel Zeit bereithält für Begegnungen und Geschichten aus alten Tagen.

Techno in seiner Urform

Denn Troy Porter legt erst in den frühen Morgenstunden auf, und in den Backstage-Bereich kommt Kosmo auch dann nicht, als er sich auf seinen sakrosankten Auftrag beruft, die Kultur mit seiner Musik wiederzubeleben, mit einer Reminiszenz auf den Techno in seiner Urform, die natürlich nichts mit dem zu tun habe, was mittlerweile so gespielt wird.

Und so findet er sich zunächst am Tresen wieder, wartend und nüchtern, denn der Fehler von damals, als Kosmo einen großen Auftritt verpatzte, der sein großer Durchbruch hätte werden können, soll sich nicht wiederholen. Dieser Vorsatz währt jedoch nicht lange, und auf einen ersten Shot folgen wenig später Ketamin, Kokain, Speed und schließlich der unvermeidliche Absturz.

Dazwischen läuft „Rave On“ immerhin visuell zu großer Form auf: Raphael Beinders Kamera gleitet schwankend durch klaustrophobische Toilettenkabinen, tastet sich weiter in versteckte Bereiche tief im Untergrund des Clubs, taumelt durch Nebenräume, wo Schattenfiguren mit leerem Blick auf den Weg zurück in die Realität warten, und streift immer wieder die flirrenden Tanzflächen.

Unter pulsierenden Stroboskopeffekten und zu wummerndem Techno – unter anderem von Ed Davenport, John Gürtler und hiesigen Technokünstlern – entfaltet sich ein Sog, der hineinzieht in diesen schwindelerregenden Nachtkosmos, der in seinen intensivsten Momenten beinah an einen surrealen Irrgarten erinnert.

Verkommenheit der heutigen Szene

Kosmo durchläuft dabei so etwas wie sein persönliches Purgatorium. Er trifft auf einen ehemaligen Dozenten (Benny Claessens), der sein vergeudetes Talent betrauert, streitet mit einer erfolgreichen DJane (Lucia Lu) über die Verkommenheit der heutigen Szene, in der es nur noch um Geld und „Likes“ gehe – vor allem aber muss er sich dem Argwohn von Klaus stellen, seinem einstigen künstlerischen Mitstreiter (Clemens Schick), der den Traum von der Karriere längst abgehakt zu haben scheint.

Irgendwo in diesem Taumel verliert Kosmo seine Platte, klar – ein Einschnitt, den Nikias Chryssos und Viktor Jakovleski für eine Katharsis nutzen, die ihren Helden schließlich wieder von der kollektiven Erfahrung des Techno überzeugen wird. Doch dieser Impuls überträgt sich nicht, der Film selbst konterkariert ihn sogar. Denn das, wovon „Rave On“ erzählt, ist weniger die Geschichte von Gemeinschaft oder gar geteilter Ekstase, sondern vor allem eine routinierte Wiederholung von prätentiösen Posen, die Überhöhung einzelner „Pioniere“ und vermeintlicher Genies.

Was bleibt, ist das Gefühl eines Abgesangs, der Sound von Selbstverklärung, eines besseren Gestern – und damit letztlich ein rückwärtsgewandter Gestus, der schon vielen Subkulturen zuvor eine Bedeutung in der Gegenwart verunmöglicht hat.

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