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Christlich Demokratische Union-Chef kommt als Bittsteller: „Diffamierte“ Grüne sind jetzt das Zünglein an Merz‘ Waage | ABC-Z

Sollen sie lachen oder weinen? Über Jahre geht die Union die Grünen so scharf an wie keine andere Partei. Und jetzt wollen CDU und CSU gigantische Schulden aufnehmen, wie es die Grünen immer gefordert haben. Dass der kommende Kanzler Merz plötzlich die Grünen braucht, mutet ihnen an wie ein Treppenwitz.

Ricarda Lang nimmt die jüngsten Volten der Bundespolitik mit Humor. „Gebt den Sondierungen noch zwei Wochen und Markus Söder baut uns allen kiffend ne Wärmepumpe ein“, spottet die frühere Grünen-Vorsitzende in den sozialen Netzwerken. Das ist einerseits Quatsch, weil CSU-Chef Söder sein gesamtes Leben auf Instagram teilt und dort schon mit fast allem zu sehen war, außer mit Werkzeug in der Hand. Andererseits war bis Ende vergangener Woche auch nicht vorstellbar, dass die Union wenige Tage nach der Bundestagswahl ihre strikte Ablehnung einer deutlichen Neuverschuldung in den Wind schießen und in Haushaltsfragen auf einen rot-grünen Kurs einschwenken würde. Denkbar ist also inzwischen alles.

In Wahrheit aber sind die Grünen viel weniger amüsiert, als es Langs Witz vermuten lässt. Der wahrscheinlich nächste Bundeskanzler Friedrich Merz kündigte am Dienstagabend – zusammen mit den Parteichefs von SPD und CSU – gleich drei Grundgesetzänderungen noch mit den Mehrheitsverhältnissen des alten Bundestages an:

  • Verteidigungsausgaben sollen weitgehend rausfallen aus der Berechnung der zulässigen Neuverschuldung. Es gäbe demnach kein Verschuldungslimit mehr, solange eine Mehrheit des Bundestags Krediten für die Verteidigung zustimmt.
  • Die Bundesländer sollen sich künftig auch etwas mehr verschulden dürfen.
  • Es soll ein Sondervermögen über 500 Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur geschaffen werden – 50 Milliarden für jedes der kommenden zehn Jahre.

Für all das brauchen Union und SPD die Stimmen der Grünen.

Denen schlackerten am Tag nach der Ankündigung immer noch die Ohren: Bereitet doch die kommende Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD gerade das vor, was die Grünen in der Ampelkoalition, nach dem Bruch der Ampel und schließlich während des Bundestagswahlkampfes gefordert hatten. Derweil hatte die Union behauptet, es gebe kein Einnahmenproblem. Alle Bedarfe ließen sich durch Einsparungen und mehr Wirtschaftswachstum finanzieren, lautete da stets das Credo von CDU und CSU.

Banaszak fordert Entschuldigung von Merz

„Immer wieder gelogen“ habe Merz, sagte Grünen-Chefin Franziska Brantner am Dienstag zu ntv und legte nach Merz‘ Ankündigung nach: „Merz und Söder haben monatelang verhindert und verunglimpft, was sie jetzt machen.“ Brantners Co-Vorsitzender Felix Banaszak forderte beim politischen Aschermittwoch der Grünen von Merz eine Entschuldigung bei den Wählern, den Grünen und der Sozialdemokratie, weil er „über Jahre die Unwahrheit gesagt“ habe. Er solle sich zudem beim Grünen-Kanzlerkandidaten Robert Habeck entschuldigen, den er „über Jahre diffamiert“ habe für eine Politik, die Merz jetzt selbst fortsetzen wolle. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte am Mittwoch bei ntv, sie habe von Merz und Söder „ein bisschen mehr Demut erwartet“, nachdem diese „von heute auf morgen“ ihr Wahlversprechen gebrochen hätten, keine neuen Schulden zu machen.

Der Furor der Grünen mag auch taktischer Natur sein, weil man sich als künftige Oppositionspartei schon aus Prinzip keine Ansagen von den künftigen Regierungsparteien machen lässt. Aber nach Jahren oft harter Attacken aus dem Unionslager gibt es eben auch eine tiefsitzende Kränkung bei den Grünen. Die war auch am etwas bockig wirkenden Abgang von Robert Habeck aus der Spitzenpolitik abzulesen. Nun sollen ausgerechnet die bisherigen Grünen-Abgeordneten, die im neuen Bundestag nicht mehr vertreten sein werden, Merz und seiner kommenden schwarz-roten Koalition aus der Patsche helfen? Eine Patsche, die es laut Merz bis zum 23. Februar angeblich noch nicht gegeben hat? Das ist nicht wenig verlangt.

Ein schlechtes Déjà-vu

Am Mittwochmittag wurden Merz, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und der SPD-Fraktions- und Parteivorsitzende Lars Klingbeil bei den Grünen-Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann vorstellig. Die beiden bilden zusammen mit den Parteichefs Banaszak und Brantner das alleinige Machtzentrum der Grünen, nachdem erst Habeck und nun auch Annalena Baerbock ihren Rückzug aus der ersten Reihe angekündigt haben. Konkrete Ergebnisse gab es hernach noch nicht, doch die Zeit drängt. Nur im alten Bundestag sind die avisierten Grundgesetzänderung per Zweidrittel-Mehrheit realistisch.

Im neuen Bundestag, der spätestens 30 Tage nach der Bundestagswahl zusammenkommen muss, bräuchte es für diese Mehrheit zusätzlich zu Union, SPD und Grünen noch die Stimmen von Linkspartei oder AfD. Letztere sind für die anderen Parteien keine Gesprächspartner, Erstere sind nicht ohne Weiteres für Waffenlieferungen an die Ukraine und eine massive Aufrüstung Deutschlands zu haben.

Vor genau diesem Szenario hatten die Grünen Merz immer wieder gewarnt, als sie ihm nach dem Ampel-Aus Gespräche über eine Reform der Schuldenbremse noch vor der Wahl angeboten haben. Nun mit dem faktisch abgewählten Bundestag eine Neuverschuldung nie dagewesener Größenordnung zu beschließen, ist alles andere als unproblematisch. Die Grünen kommen sich vor wie in einem schlechten Déjà-vu: Schon im Wahlkampf 2021 mussten sie harsche Kritik von Union und SPD einstecken, als ihre Spitzenkandidatin Baerbock einen robusteren Umgang mit Russland und Habeck Waffen für die Ukraine forderten. Das Wahlergebnis war enttäuschend für die Grünen, ihre Warnungen vor Waldimir Putin erwiesen sich als berechtigt.

Ansage an den Macker aus München

Doch die Grünen können und wollen sich Gesprächen zu Vorhaben nicht verweigern, die weitgehend den eigenen Forderungen entsprechen. „Ob wir am Ende diesen Grundgesetzänderungen zustimmen werden, ist offen“, sagte Dröge nach dem Treffen mit dem regierungswilligen Herren-Trio. Sie betonte, eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse sei den Grünen lieber, als diese wie einen „Schweizer Käse“ zu durchlöchern. Warum eine Öffnung der Schuldenbremse für Investitionen und Verteidigungsausgaben komplizierter und aufwendiger sei, als das von Merz vorgeschlagene Vorgehen, erschließe sich ihr nicht. Zudem forderte Dröge, auch Klimaschutzmaßnahmen unter das Sondervermögen Infrastrukturinvestitionen zu fassen. Ferner wollten die Grünen Mitspracherechte bei den künftigen Verteidigungsausgaben – so wie sie die Ampel auch der Union beim Sondervermögen Bundeswehr gewährte.

Und dann wäre da noch die Stilfrage. „CDU, CSU und SPD sind sehr gut beraten, nicht in der Art und Weise wie gestern Abend aufzutreten und den Eindruck zu vermitteln, dass es reicht, wenn CDU, CSU und SPD sich einig sind“, sagte Haßelmann. Und zeigte sich angefressen vom Verhalten des CSU-Granden Söder. „Goodbye, gute Reise, auf Nimmerwiedersehen!“, hatte Söder auf dem Politischen Aschermittwoch Robert Habeck hämisch hinterhergerufen. „Was wir gerade an Tönen aus der CSU hören, insbesondere von Markus Söder, widert an“, sagte Haßelmann. „Es ist ein Mackergehabe, eine Sprücheklopferei, die dieses Land in dieser Situation nicht verdient hat.“

Die Grünen sehen sich auch mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine und der Herstellung der europäischen Verteidigungsfähigkeit nicht unter Zustimmungsdruck. Schwarz-Rot kann schließlich auch im neuen Bundestag mit einfacher Mehrheit die Schuldenbremse per Notlage-Feststellung aussetzen sowie mit Stimmen von Grünen und Linken eine Öffnung der Schuldenbremse für die Länder und für Infrastrukturinvestitionen des Bundes durchsetzen. CDU, CSU und SPD sollen den Grünen doch erstmal beweisen, warum und wie genau es jetzt ganz schnell gehen muss. Andererseits könnten die Grünen, als einer der großen Wahlverlierer, sich in den anstehenden Verhandlungen über die Grundgesetzänderungen ein ordentliches Mitspracherecht in der schwarz-roten Bundesregierung sichern. Das ist nicht wenig für eine in die Opposition geschrumpfte Partei – auch nicht für eine, die sich betrogen und schlecht behandelt fühlt.

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