China: VW verkauft Werk in umstrittener Region Xinjiang – Wirtschaft | ABC-Z
Wer durch die Straßen der chinesischen Städte Ürümqi oder Turpan läuft, entdeckt heute nur noch wenige Hinweise auf den kulturellen Genozid an muslimischen Minderheiten durch die Regierung in Peking. Viele Checkpoints sind verlassen, einige der berüchtigten Umerziehungslager stehen leer. Die Insassen sind oft in reguläre Gefängnisse umgesiedelt worden, viele Uiguren wurden auch zur mutmaßlichen Zwangsarbeit in andere Provinzen Chinas verschickt. Die chinesische Regierung will nach Jahren der offenen Unterdrückung wieder einen Anschein von Normalität erwecken und die wirtschaftlich rückständige Region in ein Tourismusparadies verwandeln. Überall werden Dörfer und Städte in Disneyland-artige Attraktionen umgebaut.
Auch Volkswagen möchte gern seine Verbindungen zur Uiguren-Region kappen. Der Konzern hat nun erklärt, sein Werk in Ürümqi sowie die Teststrecke in Turpan „aus wirtschaftlichen Gründen“ an die Shanghai Motor Vehicle Inspection Certification (SMVIC) zu verkaufen. Dabei handelt es sich um eine Tochtergesellschaft der staatlichen Shanghai Lingang Development Group. Volkswagen steht in China wegen sinkender Absatzzahlen unter Druck. Aber auch, weil das Engagement in Xinjiang unter Aktionären für Unmut gesorgt hatte.
Der deutsche Autohersteller hatte das umstrittene Werk in Ürümqi mit seinem chinesischen Partner SAIC aus Shanghai seit rund zehn Jahren betrieben. Lange mussten ausländische Hersteller in China ihre Fahrzeuge ausschließlich über Gemeinschaftsunternehmen mit lokalen Partnern produzieren. Diese Vorgaben wurden erst gelockert, 2022 dann komplett aufgehoben. VW hielt dennoch an seinen chinesischen Partnern fest.
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Der deutsche Hersteller baut mit dem chinesischen Produzenten SAIC Elektrofahrzeuge unter einer neuen Marke. Jetzt wurde das erste Modell vorgestellt. Warum vom Erfolg dieser Kooperation für Audi sehr viel abhängt.
Die ursprünglichen Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Erfolg im Zuge der Regierungskampagne zur Entwicklung der Westprovinzen blieb jedoch aus. Statt wie geplant bis zu 50 000 Autos im Jahr zusammenzuschrauben, war das Werk in Xinjiang am Ende nur noch für die Inbetriebnahme von in anderen Provinzen gebauten Fahrzeugen für den lokalen Markt zuständig. Von den rund 650 Mitarbeitern zu Spitzenzeiten waren zuletzt nur noch 175 übrig, ein Viertel davon Angehörige von Minderheiten. Ob darunter je Zwangsarbeiter waren, ist fraglich.
Ein umstrittenes Audit zerstreute die Bedenken
VW hatte vergangenes Jahr versucht, entsprechende Vorwürfe durch ein unabhängiges Gutachten vor Ort zu entkräften. „Wir konnten keine Hinweise auf oder Belege für Zwangsarbeit bei den Mitarbeitenden finden“, hieß es in dem Bericht. Und weiter: Die rund 200 Mitarbeitenden seien „überdurchschnittlich bezahlt und haben wenig zu tun“. Allerdings gab es schnell Kritik von Menschenrechtlern an der Methodik und der Frage, ob unabhängige Prüfungen angesichts der strengen Überwachung in Xinjiang überhaupt möglich seien. Die Teststrecke in Turpan wurde damals ohnehin nicht überprüft.
Die Untersuchung reichte jedoch, damit die US-Ratingagentur MSCI ihre Warnstufe „red flag“, rote Flagge, für VW wieder entfernte. Das Image als nachhaltiges, sozial verantwortliches Unternehmen war damit zumindest am Kapitalmarkt wiederhergestellt. Unabhängig davon sorgte jedoch allein schon die Tatsache für Kritik, dass Volkswagen der chinesischen Regierung durch seine Präsenz in der Region ein Feigenblatt gab, um die Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen von sich zu weisen.
Chinas Machthaber Xi Jinping hatte das brutale Durchgreifen gegen die Uiguren und andere Minderheiten angeordnet, nachdem es zwischen 2008 und 2014 mehrere Terroranschläge in der Region gegeben hatte, die Peking Separatisten zuordnete. Dementsprechend hat die chinesische Regierung die offiziell beendete Kampagne stets als Kampf gegen den Terror bezeichnet und jegliche Genozid-Vorwürfe abgestritten.
Der politische Druck auf Volkswagen ließ dennoch nie nach. Um die chinesische Regierung nicht zu brüskieren, stellt der Konzern den seit mindestens Februar verhandelten Rückzug nun als Teil einer größeren Umstrukturierung dar. Der Vertrag mit SAIC lief eigentlich noch bis 2030 und wurde nun bis 2040 vorzeitig verlängert. Zwischen dem Rückzug aus Xinjiang, der vor wenigen Tagen besiegelt worden sei, und der Vertragsverlängerung bestehe allerdings kein Zusammenhang, hieß es bei Volkswagen.
VW will in China eine neue Produktoffensive von 2026 an starten und bis Ende der Dekade mit SAIC 18 neue Modelle der Kernmarke Volkswagen und von Audi auf den Markt bringen. Davon seien 15 exklusiv für den chinesischen Markt gedacht. Bis 2030 will der VW-Konzern jährlich vier Millionen Autos in China verkaufen und so auf einen Marktanteil von 15 Prozent kommen. Im vergangenen Jahr lag der Anteil nach VW-Angaben bei 14,5 Prozent. Doch insbesondere bei den Elektro- und Hybridautos hat der deutsche Hersteller keine gute Position. Mittlerweile hat in China mehr als jedes zweite verkaufte Auto einen Elektro- oder Hybridantrieb.
Insgesamt betreibt der VW-Konzern ohne Ürümqi dann noch 38 Fabriken in der Volksrepublik. Ob diese in Zukunft alle erhalten bleiben, ist jedoch fraglich. In seiner Mitteilung zur Vertragsverlängerung mit SAIC heißt es von VW, dass „in Einzelfällen wirtschaftliche Alternativlösungen geprüft“ würden, wenn Werke etwa nicht auf den Bau von E-Autos umgerüstet werden können.
Statt SAIC, das mit Marken wie MG auch in Deutschland präsent ist, soll jetzt die Staatsfirma SMVIC die Liegenschaften in Xinjiang übernehmen. Das Unternehmen hat seinen Sitz wie SAIC in Shanghai und verfügt über Prüfzentren in ganz China. Darunter ist bereits eine Teststrecke für Hochtemperaturen in Turpan und eine Prüfstelle für Minustemperaturen in Heihe in Nordostchina nahe der Grenze zu Russland. In Zukunft sollen in dem Werk in Ürümqi gebrauchte Fahrzeuge verschiedener Marken für den Weiterverkauf aufbereitet werden. Der neue Besitzer werde die verbliebenen Mitarbeiter des Joint-Ventures übernehmen, heißt es von VW.