China greift nach Lateinamerika – n-tv.de | ABC-Z
Chinas Einfluss in Lateinamerika wächst rasant. Peking ist mittlerweile zum zweitgrößten Handelspartner aufgestiegen, nach der Großmacht USA. Peking kauft sich bei Energie und Infrastruktur ein, baut riesige Häfen und Straßen in bisher schwer zugänglichen Regionen. Davon profitiert aber nicht nur die Volksrepublik.
Great Wall Motor (GWM), Chery und Shacman – diese Automarken aus China werden hierzulande nur wenigen Menschen etwas sagen. In Lateinamerika ist das ganz anders: Dort sind chinesische Autos auf den Straßen längst allgegenwärtig. In Mexiko wird jedes dritte Fahrzeug von chinesischen Herstellern produziert. Hier verkaufen mittlerweile 20 chinesische Autohersteller ihre Fahrzeuge. Einige, wie die Hersteller Foton, JAC Motors und Shacman produzieren auch vor Ort.
In Brasilien dominieren die chinesischen E-Autos ebenfalls den Markt. In São Paulo hat GWM ein Mercedes-Werk übernommen. Statt der C-Klasse werden hier jetzt chinesische Hybridautos hergestellt, 20.000 pro Jahr ist das Ziel. Im Nordosten des Landes hat Chinas größter E-Autobauer BYD (Build your Dreams) die verlassene Ford-Fabrik gekauft und will ab nächstem Jahr jährlich 150.000 E-Autos bauen.
Die Vorteile der Autos made in China: sie sind günstiger als andere. Genau wie bei Smartphones, Computern, Kleidung und anderen Dingen, können die Chinesen den Weltmarkt mit vergleichsweise günstigen Produkten überschwemmen. Vor allem dort, wo Menschen weniger Geld haben, dominieren sie den Markt mittlerweile.
Solaranlagen, E-Autos, Häfen
Ihre Produkte zu verkaufen, gehört zu den Hauptinteressen Chinas in Lateinamerika. “Über die Jahrzehnte hat China sich immer mehr mit eigenen Marken, eigenen Produkten etabliert. Am bekanntesten sind Solaranlagen und elektrische Fahrzeuge. Vorher waren es große Anlagen und auch Häfen, die China zu Hause schon im Überfluss gebaut hat”, sagt der Sinologe und Politikwissenschaftler Benjamin Creutzfeldt im ntv-Podcast “Wieder was gelernt”. China habe sich über die Jahrzehnte mit eigenen Marken und Produkten etabliert.
Die neue Seidenstraße reicht längst bis nach Lateinamerika. Für die größten Volkswirtschaften Brasilien, Mexiko und Argentinien ist China einer der wichtigsten Handelspartner, schreibt Creutzfeldt in einer aktuellen Studie zum Thema.
Trotz der weiten Entfernung wird schon seit dem 16. Jahrhundert zwischen den Kontinenten gehandelt. Richtig Fahrt aufgenommen hat der Handel aber erst ab der Jahrtausendwende. Zwar wird China immer noch als das “New Kid on the Block” angesehen, wie der Experte sagt, der Einfluss wächst aber rasant.
Inzwischen ist die Volksrepublik nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner und einer der Hauptinvestoren Lateinamerikas. Die Exporte und Importe sind von 12,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf fast 450 Milliarden US-Dollar 2021 gestiegen. In den nächsten Jahren soll sich der Handel noch verdoppeln, sagt das Weltwirtschaftsforum voraus.
Lithium? “Sie vergiften unsere Bevölkerung”
Lateinamerika ist für China aber nicht nur Absatzmarkt, sondern auch Rohstofflieferant. “Sie wollen ihre Energie- und Nahrungsmittelsicherheit sicherstellen, das sind die zwei Prioritäten der chinesischen Regierung, das wird sehr zielstrebig verfolgt”, sagt der Sinologe. Die lateinamerikanischen Länder sitzen auf vielen Bodenschätzen: Hier schlummern große Mengen Kupfer, Eisen, Rohöl und Lithium. Und auch Nahrungsmittel wie Rindfleisch, Lachs und Sojabohnen kauft China dort ein.
Vor allem Lithium benötigt China dringend für die Batterien seiner E-Autos. Chinesische Unternehmen investieren Milliarden in Ländern Lateinamerikas, um sich Zugang zu den Bodenschätzen zu sichern. Diese Strategie wendet China auch in Afrika seit Jahren an. Bis 2025 könnte China auf diesem Weg rund ein Drittel der weltweiten Lithium-Versorgung kontrollieren.
Die größten Lithiumvorkommen gibt es zwischen Bolivien, Argentinien und Chile – dem Lithium-Dreieck. In der Atacama-Wüste lagert über die Hälfte des weltweiten Vorkommens. China hat ein argentinisches Unternehmen aufgekauft, das die Rechte am Abbau von zwei Lithium-Salzseen in Argentinien hat. In Chile hat China Anteile des weltweit zweitgrößten Lithiumproduzenten gekauft. Außerdem darf ein chinesisches Bergbauunternehmen dort Lithium abbauen.
Der Lithium-Abbau ist umweltschädlich: Um Lithium zu gewinnen, braucht es viel Wasser. Das gefährdet die Trinkwasservorräte in den Ländern des Lithium-Dreiecks. Und das Wasser könnte versalzen. “Sie verschmutzen die Salzseen, zerstören die Wüste, die Täler und vergiften unsere Bevölkerung”, erklärt der Indigene Willy Suvelza bei ntv.
Mega-Eisenbahn durch den Urwald
Creutzfeldt sieht Chinas Einfluss in Lateinamerika aber nicht nur negativ. Er hat viele Jahre dort gelebt und erzählt im Podcast, dass sich durch Chinas Investitionen hauptsächlich im Bereich der Infrastruktur einiges verbessert. Der chinesische Staat hat das Geld und die Technik für den aufwendigen Straßen- und Trassenbau. Davon profitiert China auch selbst. Denn Regionen werden besser und leichter erreichbar. “Viele der Probleme in verschiedenen Teilen Lateinamerikas wie mangelnde Schulbildung, mangelnde Gesundheitsversorgung oder mangelnder Zugang zu Märkten liegt daran, dass es nicht genug befestigte Straßen und Eisenbahnen gibt.”
In Mexiko ist ein chinesisches Unternehmen am Bau der Mega-Eisenbahnstrecke “Tren Maya” durch den Südosten beteiligt – rund 1500 Kilometer quer durch den Urwald. In Kolumbiens 10-Millionen-Einwohner-Hauptstadt Bogota herrsche durch den fehlenden Nahverkehr Verkehrschaos, berichtet der Experte: “Die Chinesen sind die ersten, die dort jetzt eine S-Bahn bauen”.
Straße durch Darién Gap “könnte alles verändern”
Auch eine der weltweit gefährlichsten Fluchtrouten könnte mithilfe Chinas bald sicherer werden. Der Darién Gap ist ein etwa 100 Kilometer breiter Landstreifen zwischen Mittel- und Südamerika, hauptsächlich Regenwald. Reißende Flüsse, wilde Tiere und bewaffnete Gruppen halten Asylsuchende nicht ab: Vergangenes Jahr sind über den Darién Gap über 500.000 Menschen von Kolumbien nach Panama geflüchtet – auf dem Weg in die USA. Auch immer mehr chinesische Flüchtlinge sind darunter.
Im Dschungel soll eine Autobahn die beiden Länder miteinander verbinden und die Lücke des Pan American Highway schließen. Doch das Straßenstück wurde jahrzehntelang nicht fertig gebaut.
Das ändert China gerade. In Panama arbeiten sich schwere Maschinen durch den Dschungel, Arbeiter fällen Bäume, in Yaviza entsteht eine Brücke aus Stahl und Beton über den Rio Chucunaque. Sie könnte die Autobahn weiter nach Süden verlängern, berichtet der US-amerikanische TV-Sender CBN. Die Brücke sei so riesig, dass eine Panzerkolonne sie überqueren könne.
“Im Moment sagen sie, dass diese Straße nur zu einigen Dörfern auf der anderen Seite führen wird. Von der Größe der Brücke her sieht es so aus, als ob es in Zukunft andere Pläne gibt. Das könnte alles verändern, wirtschaftlich, politisch und im Hinblick auf die Migration in der westlichen Hemisphäre”, berichtet der CBN-Reporter. Umweltschützer seien laut Creutzfeldt zwar verärgert über den Straßenbau mitten im Urwald, von der Infrastruktur profitierten aber alle.
Eine Schnellstraße durch den Darién Gap wäre eine alternative Handels- aber auch Flüchtlingsroute. Die USA befürchten, dass darüber mehr Migranten aus Südamerika kommen – wenn sie jemals fertig wird. Das dürfte China aber egal sein.
Megahafen an Perus Küste
China ist auch an vielen anderen Projekten wie Stromnetzen, Atomkraftwerken und Häfen beteiligt. In Peru baut der Staatskonzern Cosco gerade den größten Hafen an Südamerikas Pazifikküste, nördlich der Hauptstadt Lima. Von dem “Megapuerto de Chancay”, dem Megahafen, können unter anderem Rohstoffe direkt zwischen Peru und China transportiert werden. Auch das Lithium-Dreieck liegt im Einzugsbereich.
Die USA haben aber Angst, dass der Hafen auch militärisch genutzt wird. “Die Vereinigten Staaten machen sich Sorgen, dass China zu viel Einfluss bekommt, weil es in Ecuador einen Staudamm baut oder in Peru einen Hafen. Diese Sorgen halte ich weitgehend für unberechtigt”, schätzt Creutzfeldt die Lage ein. “Die Peruaner brauchen nun mal einen größeren Hafen, um besser an die Weltmärkte angebunden zu sein.”
Streitpunkt Taiwan
Die Nähe zu Lateinamerika hat für die Volksrepublik auch noch eine politische Bedeutung. Hauptsächlich geht es um die Anerkennung der Ein-China-Politik. China sieht Taiwan als Teil von China und nicht als eigenständiges Land an. Mehrere Länder Lateinamerikas haben sich in den vergangenen “25 Jahren” von Taiwan ab- und China zugewandt. Inzwischen pflegen nur noch Guatemala und Paraguay diplomatische Beziehungen zu Taiwan. “Das ist eine ganz deutliche Umschichtung des Einflusses Pekings in der Region”, so der Politikwissenschaftler im Podcast.
Über 20 lateinamerikanische Staaten möchten Chinas neuer Seidenstraße beitreten, unter anderem Peru, Chile und Argentinien. Die Volksrepublik sei auch auf Stimmenfang, für Unterstützung in Gremien wie den Vereinten Nationen, so Creutzfeldt. “Je mehr Regierungen es auf der Seite hat, desto einfacher kann es bestimmte internationale Initiativen durchdrücken. Dazu hat es auch eigene Foren geschaffen, wie BRICS, in denen es eine prominente Rolle spielt, oder die Belt and Road Initiative (BRI). Das sind alles Strategien, die mehrere Zwecke erfüllen, darunter die Ausgrenzung Taiwans.”
Chinas Fußabdruck in Lateinamerika wird immer größer. Auch, weil sich die USA in den vergangenen beiden Jahrzehnten nicht so stark für das südlichere Amerika interessiert haben, analysiert Creutzfeldt. Die Vereinigten Staaten hätten ihre geografische und kulturelle Nähe nicht ausgenutzt.
Gleichzeitig beginnt inzwischen aber auch das eigentlich gute Verhältnis zu China zu bröckeln: Von den Wirtschaftsbeziehungen mit Lateinamerika profitiert vorrangig Peking selbst – bei den kleineren lateinamerikanischen Ländern sei das noch eher der Fall, als bei den größeren, sagt der Experte. Brasilien, Argentinien und Chile etwa hätten eine eigene Strategie. Vielen geht gegen den Strich, dass China Lateinamerika mit Billigprodukten überschwemmt. Brasilien greift jetzt ganz konkret gegen Billigmode aus Fernost durch: Wer im Ausland bestellt, muss in Zukunft eine Steuer von 20 Prozent zahlen.
“Wieder was gelernt” ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.
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