Sport

Champions League: Guardiolas Dilemma mit dem Fußball-Coup | ABC-Z

Mehr Überraschungen, ein furioses Vorrundenende und Spektakel im Play-off: Es gibt viel Lob für die generalüberholte Champions League. Ausgerechnet Manchester Citys Star-Trainer Pep Guardiola jedoch steht vor einem Problem.

Pep Guardiola gehört zu den Menschen mit Grandezza, und so wollte er der reformierten Champions League nicht böse sein. Dabei war sie in den vergangenen Monaten wie ein Quälgeist über sein Manchester City gekommen und hatte ihn am letzten Vorrundenspieltag in einen nervenzerreißenden Showdown gezwungen. „Ich sollte wohl sagen, dass ich sie nicht mag, weil wir viel gelitten haben“, sagte Guardiola am Mittwoch also, bevor er hinzufügte: „Aber ich mag sie!“

Mit dem Meistertrainer erteilte auch die übrige Fachwelt dem generalüberholten Turnier überwiegend ihren Segen. Überall auf dem Kontinent (und auch darüber hinaus) wurde es dieser Tage gelobt. Mehr Überraschungen, weniger Langeweile und ein furioses Vorrundenende, das Fans und Feuilletonisten an die paradiesischen Zeiten erinnerte, als noch alle Spiele gleichzeitig angepfiffen wurden. „So viele Dinge passieren, niemand kann sich sicher sein, große Teams können ausscheiden, das ist schön“, präzisierte Guardiola. Dem europäischen Fußballverband Uefa scheint tatsächlich mal ein echter Coup gelungen zu sein. Zumal der Spaß ja schon übernächste Woche weitergeht.

In der neuen Play-off-Runde trifft Manchester dann auf Real Madrid – und Guardiola damit auf seine häufige Nemesis der vergangenen Jahre. Dieses Topmatch ergab am Freitag eine Auslosung, die nur eingeschränkt eine Auslosung war, weil für jedes Team nur zwei mögliche Gegner zur Verfügung standen. Warum dann überhaupt der Aufriss?

Zyniker mögen scherzen, der Fußball wollte mit den standesgemäßen Flugreisen der Vereinsvertreter an den Uefa-Sitz in der Schweiz seinen CO2-Abdruck verteidigen. In Wirklichkeit ging es wohl darum zu verhindern, dass Teams am letzten Spieltag konkret auf einen bestimmten Gegner spielen würden. Wobei das angesichts der ständigen Tabellenbewegung ohnehin reichlich kompliziert geworden wäre.

Traditionsschock mit ungeahntem Charme

Um die Vereine entsprechend ihrer Vorrundenmeriten zu ordnen, gilt ansonsten nun eine Setzliste. Dieser Traditionsschock entspricht einer alten Forderung von Großkopferten wie Bayerns Ex-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Doch statt Privilegien abzusichern, entfaltet selbst die Setzliste dank der Gegneroptionen einen ungeahnten Charme. Kaum etwas unterhält Fußballjunkies besser, als Szenarien zu entwerfen und Turnierverläufe durchzuplanen. Erst wenn sich zum Achtelfinale das Losprozedere noch mal wiederholt, wird das Tableau endgültig stehen.

Den Trubel bis dahin werden sie in Leverkusen genüsslich auf dem Sofa verfolgen. Bayer hat sich als eines der ersten acht Teams direkt für das Achtelfinale qualifiziert. Auf das Bundesliga-Spitzenspiel gegen den FC Bayern am 15. Februar kann es sich eine komplette Woche vorbereiten und am Abend dem nationalen Rivalen bei der europäischen Extrarunde zusehen. Nicht gerade nach Münchner Hausordnung, so etwas. „Wir müssen uns jetzt erst mal sammeln“, sagte Thomas Müller nach der ernüchternden Vorrunde. Schwacher Trost, dass es Mitfavoriten wie Titelverteidiger Real Madrid nicht souveräner machten – oder noch zittriger wie Paris und eben Manchester.

Dramatische und emotionale Szenen

Dort hätte früher ein Vorrundenmatch gegen den FC Brügge kaum zu so dramatischen Szenen geführt wie am Mittwoch. Zweimal trat Guardiola mit befreitem Furor gegen eine Kühltonne, als seine Elf doch noch die Kurve kriegte. Zur Pause hatte sie nicht unter den 24 besten Teams Europas gestanden. „Da dachte ich, dass ihr Journalisten eure Schlagzeile habt“, sagte Guardiola später: „Wir waren verloren, wir waren draußen. Aber dann hatten wir nichts mehr zu verlieren und warfen alles nach vorn.“

Der Titelträger von 2023 agierte damit auf den letzten Drücker noch so wie viele Außenseiter über die acht (früher: sechs) Vorrundenspieltage ohne enervierende Doppelbegegnungen in Hin- und Rückspielen. Da war etwa der Qualifikant Lille OSC, dem mit Siegen über Real und Atlético ein Madrider Double gelang und der am Mittwoch dann Feyenoord Rotterdam 6:1 erledigte. Jenes Feyenoord, das zu Hause 0:4 gegen Leverkusen unterlag und sogar dem ansonsten punktlosen Salzburg, das aber die Bayern 3:0 abfertigte und in Manchester einen 0:3-Rückstand in ein 3:3 verwandelte. 39 Tore fielen in den Rotterdamer Matches, im Schnitt fast fünf pro Spiel, bei Hansi Flicks Barcelona waren es sogar noch ein paar mehr, 41.

Ohne Gruppenarithmetik verzieh die neue Vorrunde einerseits mehr und animierte damit zum Risiko. Anderseits konnte jedes der vielen Tore (3,27 pro Match gegenüber 3,09 der Vorsaison) am Ende den Unterschied machen. Wie Dinamo Zagreb erfahren musste, das sich zum Auftakt ein 2:9 bei den Bayern abholte und zum Schluss um drei Tore das Play-off verpasste. Aber auch die Münchner selbst, die mit hohen Pleiten in Barcelona und Rotterdam ihren Tordifferenzvorteil verspielten, daher hinter Borussia Dortmund einliefen und nur durch Losglück statt auf Manchester bloß auf Celtic Glasgow treffen.

Bis zum Play-off war der wichtigste Attraktionsbeschleuniger wohl ein vermeintlich unscheinbares Detail. Bei der Vorrundenauslosung bekam jeder Verein zwei Gegner aus jedem der vier Lostöpfe zugeteilt – auch aus dem eigenen. Das hatte es zuvor nicht gegeben. Es war ein Besitzstandsabbau, der etwa dazu führte, dass Frankreichs Dauermeister Paris (Topf eins) ein wesentlich härteres Programm zu absolvieren hatte als Frankreichs Provinzneuheit Brest (Topf vier). Den Trainer der Bretonen, Eric Roy, freute es, „die Ungewissheit macht diesen Sport zu dem, was er ist“, befand er. Aber auch PSG-Coach Luis Enrique hatte nach dem vorläufigen Happy End seiner Elf durch ein 4:1 in Stuttgart keine Klagen: „Ich finde ihn sehr reizvoll“, sagte er über den Modus und fügte hinzu: „Ich glaube, da gibt es noch viel zu entdecken.“

Eintönigkeit und Widersprüche? Abgeschafft

Kollege Guardiola findet das auch, er prognostiziert für die kommende Jahre noch anderen Vereinen den eigenen Befund dieser Saison: „Das neue Format ist sehr hart.“

Direkte Vergleiche zwischen den Topteams garantieren nicht nur, dass auch diese Punkte lassen. Sie sorgen zudem dafür, dass es schon vor dem finalen Feuerwerk mit 18 parallelen Matches – bei denen es in 17 noch um etwas ging – an jedem Spieltag zu Begegnungen von höchstem Prestige kommt.

Damit diente die neue Vorrunde für die Uefa nicht zuletzt einem politischen Zweck: der Verteidigung gegen die Superliga. Ohnehin scheinen die Abspaltungsgelüste jenseits des Projektbetreibers Real Madrid auf dem Tiefstand, selbst der einzige Verbündete aus Barcelona sendet nur noch lauwarme Bekenntnisse. Nun ist auch das Schlüsselargument hinfällig, es brauche neue Impulse. Die Champions League hat sich von innen heraus erneuert, Eintönigkeit und Widersprüche abgeschafft, es gibt keine frühzeitig entschiedenen Gruppen mehr und keine Drittplatzierten für die Europa League. Wo die Superliga ihre jüngsten Präsentationen zunehmend an den alten Status Quo anpasste, kommt der ehrwürdige Europapokal geradezu revolutionär daher.

In Barcelona hatten die Stadionbesucher am „Super Wednesday“ ihre Freude auch beim Blick auf die Anzeigentafel. Als das vermeintliche (dann wegen Abseits aberkannte) 1:1 von Brest gegen Real vermeldet wurde, sprangen sie auf und verspotteten den Erzrivalen. Was sich banal anhört, war, so weit ist es mancherorts im Fußball gekommen, ein echtes Ereignis, denn Barça und Real treten sonst nie parallel auf. In Spaniens Liga beginnt jede Partie zu einer anderen Anstoßzeit. Auch in Europa agieren die beiden Kolosse den Fernsehstationen zuliebe sonst immer an verschiedenen Tagen.

Kritik von Ancelotti

Kritik an der neuen Champions League? Gibt es trotzdem noch, etwa am königlichen Hofe von Real. Wo die Superliga zur Staatsräson gehört und man kürzlich die Verleihung des Goldenen Balls boykottierte, kann ein Uefa-Manöver schon aus betriebsinternen Gründen nicht gutgeheißen werden.

„Mir gefällt das neue Format nicht, zu viele Spiele“, sagt Trainer Carlo Ancelotti, der wegen dreier Vorrunden-Niederlagen (Novum in der Klubgeschichte) nun noch zwei Play-off-Partien in den Kalender gedrückt bekam: „Meine Idee wäre, die Zahl der Partien zu reduzieren, um den Verschleiß der Fußballspieler zu senken.“ Die ehrliche Sorge ist dem Granden Ancelotti abzunehmen. Aber vielleicht beginnt er seine Streichliste lieber in einem anderen Wettbewerb.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"