Champagner und Vincent Chaperon: Ein Blick in den Keller von Dom Pérignon – Stil | ABC-Z

Wie gut es Dom Pérignon, einem der edelsten Champagnerhäuser, gerade geht, weiß man nicht so genau. In den trüben Geschäftsberichten von Moët Hennessy, der Getränkesparte von LVMH, zu der die Luxusmarke gehört, wird das Haus nicht gesondert aufgeführt. Mit dem Geschäft von Dom Pérignon zu kalkulieren ist ohnehin schwierig, weil die Trauben in manchen Jahren den Ansprüchen des Kellermeisters nicht genügen und dann gar kein Champagner produziert wird. In der jüngeren Vergangenheit heißt das etwa: Die Jahrgänge 2011, 2007 und 2001 gibt es gar nicht. Die Trauben werden da nach Möglichkeit innerhalb des Konzerns verwertet oder an andere Hersteller verkauft.
Sicher ist, dass die Franzosen sich immer noch ausschweifende Partys leisten können, wenn ein neuer, alter Jahrgang geöffnet wird. Zuletzt feierten die Franzosen in der Tate Modern in London, auf der Gästeliste standen dabei Iggy Pop, Alicia Vikander und Zoë Kravitz. Ausgeschenkt wurde ein frisch geöffneter Jahrgang, der Dom Pérignon Vintage 2008-Plénitude 2, präsentiert vom Chef de Cave, Vincent Chaperon, der in der Branche auch schon ein Star ist.
SZ: Monsieur Chaperon, Sie lassen einen Champagner 17 Jahre lang reifen, öffnen die Flasche, nehmen endlich den ersten Schluck. Was erleben Sie?
Vincent Chaperon: Lebendigkeit. Diese Schwingung, diese Energie. Andere Jahrgänge sind ernster, geheimnisvoller, tiefgründiger, haben mehr Gravitas. Aber dieser Jahrgang strahlt.
Von welchen Faktoren hängen diese Eigenschaften ab?
Nehmen wir den 2017er und den 2018er, die wir beide im kommenden Jahr präsentieren. Der 2017er ist der letzte meines Vorgängers, der 2018er mein erster.
Als neuer Chef du Cave waren Sie da zum ersten Mal für alles verantwortlich. Von der Traubenlese über die Assemblage, den Verschnitt also, und die Gärung bis hin zur Reifezeit.
Ja, und diese beiden Jahrgänge nun sind einander ähnlich und doch völlig gegensätzlich. Der 2017er wird der kleinste Jahrgang, den Dom Pérignon je hatte. Es war damals bis zum 15. August ein fantastisches Jahr. Sonne, Sonnenlicht, Wärme, Temperatur. Und dann kam der Regen. 2018 wiederum wird einer der größten Jahrgänge. Wenn Sie sich erinnern, das war ein Jahr, in dem die Natur alles gab. Alles lief perfekt, der perfekte Regen im perfekten Moment, die perfekte Sonne zum perfekten Zeitpunkt. Das Jahr war noch besser als das besondere 2004. Der Wein hat die Eleganz und den ätherischen, tänzerischen Charakter von 2004, aber mit mehr Dichte, weil es noch mehr Sonne gab.
Sie stammen aus Bordeaux, sind 1976 geboren. Ich habe mal nachgesehen, über diesen Vintage-Jahrgang heißt es in Ihrem Archiv: „Die Blüte setzte früh ein, und der extrem heiße Sommer verkürzte den traditionell hunderttägigen Zeitraum zwischen Blüte und Ernte auf 84 Tage. Die Lese begann am ersten September. Die außergewöhnliche Reife der Trauben brachte Weine von herausragender Qualität hervor.“
Ja, 1976 herrschte in Frankreich eine große Dürre. Grundsätzlich kann man sagen, dass es in der Champagne in den vergangenen fünfzig Jahren, wenn sich Anfang September der Mond veränderte, traditionell eine Periode mit Sonnenschein gab und sich damit ein Zeitfenster für die Reife öffnete, 2008 war es auch so.
Der Mond?
Ja, natürlich beeinflusst der Mond das Wetter.
Für Ihre Flaschen werden immer nur Trauben eines einzigen Jahrgangs genutzt. Wenn die Ernte mal schlecht war, gibt es für dieses Jahr halt keinen Champagner.Da sind wir sehr abhängig von der Natur. Und die verändert sich ständig, auf lange Sicht natürlich mit der globalen Erwärmung. Als Produzenten müssen wir da einerseits auf die geschilderte Kontinuität der Phasen achten und andererseits auf die spürbaren Veränderungen. Auf kurze Sicht ist aber auch jedes Jahr völlig anders als das davor oder das danach. Die Botschaft der Natur an uns lautet: Los, lasst uns etwas erfinden! Lasst uns uns selbst jedes Jahr neu erfinden! Und das versuchen wir. Vor 30, 40 Jahren war das noch anders, da waren wir beständig. Zu beständig.
Wohin verkaufen Sie heute Ihren Champagner?
Überallhin, in die USA, in Europa, nach Japan, aber in den letzten Jahren kamen auch neue Märkte dazu. Afrika, Korea, Dubai oder China.

Sie sprechen nicht über Zahlen. Außer Acht lassen können Sie die Bilanzen aber nicht.
Natürlich sehen wir uns die Zahlen an. Aber mein einziger Indikator ist das Gefühl, das unser Produkt bei den Kunden auslöst. Haben wir geweint oder haben wir nicht geweint? Wenn man jemanden einmal berührt, ist das fantastisch. Man wird es nie vergessen. Das ist unbezahlbar. Es ist der einzige Weg, sich über die Jahrhunderte zu behaupten. Ich weiß nicht, ob es das iPhone in 20 Jahren noch geben wird, aber Dom Pérignon wird es geben. Das treibt uns an, neben den pragmatischen Dingen, natürlich.
Zu diesen pragmatischen Dingen gehört die Konkurrenz.
Klar, wir stehen im Wettbewerb mit Fine Wine. Wissen Sie, es gibt viele Weine, die gut zu trinken sind, aber die Bedeutung unseres Champagners geht über das Trinken hinaus. Bei uns geht es um die Kunst des Lebens, um die Verbindung zur Natur. Diese Verbindung haben wir verloren.
Mehr und mehr gesundheitsbewusste Menschen, gerade junge, trinken aber keinen Alkohol mehr. Haben Sie schon mal daran gedacht, eine alkoholfreie Variante auf den Markt zu bringen?
Ich liebe Innovation und Radikalität, ich bin Neuem wirklich sehr aufgeschlossen, manchmal zu sehr. Und ich würde niemals Nein sagen. Aber es müsste authentisch sein und nicht nur eine Reaktion auf einen Trend. Wir haben da schon experimentiert und geforscht. Aber die Frage ist: Sind wir in der Lage, ein außergewöhnliches Produkt, ein Luxusprodukt, mit all seiner Tiefe ohne Alkohol herzustellen? Wein ist komplex, Erde, Rebe, Trauben, Saft, Gärung, Reifung, das müsste alles erhalten bleiben.

Sie sind für eine Traditionsmarke verantwortlich, die sich nicht ewig allein auf ihre Legende verlassen kann.
Klar, Spannung ist ein großes Thema. Spannung zwischen einerseits dem stilistischen Erbe und andererseits der permanenten Neuerfindung. Da gibt es ein Gleichgewicht. Kein mathematisches, das in einer Formel festgeschrieben ist. Es ist organisch, meine eigene Interpretation. Ich war 13 Jahre lang unter meinem Vorgänger tätig und habe dieses Erbe kennengelernt. Ich arbeite aber auch mit Leuten zusammen, die schon viel länger bei uns sind. Sie sind die Wächter. Bei uns im Team gibt es zudem viele Mitarbeiter, die mehr Fachwissen haben als ich.
Aber?
Aber heute ist es meine Aufgabe als Chef de Cave, als Führungskraft, das Gleichgewicht zwischen dem, was wir geerbt haben, und dem, was wir verändern wollen, in den Blick zu nehmen. Es geht dabei um uns, wenn auch nicht in einem egozentrischen Sinn. Wir machen auch keine Konsumententests, das würde nur alles vereinheitlichen. Wir müssen vielmehr Risiken eingehen, deswegen war ich auch so glücklich darüber, dass Tilda damals über Radikalität gesprochen hat.
Tilda Swinton hat auf Ihrer Party in London im Frühjahr ein selbstverfasstes Gedicht vorgetragen. Sie selbst scheinen auch etwas für Poesie übrigzuhaben?
Ich stamme nicht aus einer Familie, die sich wirklich für Kultur und Kunst interessiert hat. Ich liebe meine Eltern, aber ich habe mit ihnen andere Dinge entdeckt. Für mich ist Poesie heute aber sehr wichtig. Sie ist der einzige Weg, mit Worten über die bloße Beschreibung hinauszugehen.
Blutet Ihnen eigentlich das Herz, wenn Sie jemanden sehen, der Ihren Champagner runterschüttet wie Wasser?
Nein, ehrlich nicht. Eine andere Sache sind die Champagnerduschen. Aber am Ende des Tages muss man davon Abstand nehmen. Wir haben keine Kontrolle darüber. So ist das Leben.





















