CEO Activism: Warum Unternehmer sich politisch äußern sollten – Wirtschaft | ABC-Z
Ein deutscher Kantinentisch erinnert derzeit an eine berühmte Szene aus Michael Endes Kinderbuchklassiker „Wunschpunsch“. Zwei der Hauptfiguren, eine Hexe und ein Zauberer, haben darin in einem entscheidenden Moment als einzige Aufgabe, nicht an eine Frage zu denken. Während sie das krampfhaft versuchen, kommt ihnen allmählich alles, was sie denken und sehen, vor wie ein Fragezeichen. In etwa so erging es deutschen Arbeitnehmern mehrfach im vergangenen Jahr. Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, die Trump-Wahl in den USA – spätestens am 6. November hatten selbst Menschen, die Politik langweilig finden, Fragen, gar massive Sorgen, wie es weitergeht, mit diesem Land, der Welt, der Wirtschaft. Doch während sie Freunden und Geschwistern Memes und Artikel schickten, sie umarmten und mit ihnen debattierten, war an Kantinentischen, in Betriebsversammlungen und Reden an die Aktionäre selten mehr als ein kurzes „Krass, ne?“ zu hören. Dabei gehört Politik in die Unternehmen, jetzt mehr denn je.
An sich hatte das Jahr, blickt man auf politisches Engagement, gut angefangen. Im Januar hatten die Journalisten von Correctiv von einem Geheimtreffen rechtsextremer Gruppen in Potsdam berichtet. Landauf, landab gingen danach Menschen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf die Straße. Und die deutsche Wirtschaft zog nach. Anzeigen, politische Statements, Bilder von CEOs auf Kundgebungen prägten die erste Jahreshälfte. Drei erschreckende Landtagswahlen und eine in ihren Folgen nicht zu ermessende US-Wahl später ist die Angst der Menschen kein bisschen kleiner, im Gegenteil. Doch die Unternehmen sind erstaunlich still.
War der politisch aktive Manager nur ein nices Zeitgeistding?
Der Jahresanfang scheint der Kulminationspunkt eines Phänomens gewesen zu sein, das seit etwas mehr als zehn Jahren grassiert, der sogenannte CEO activism. Dafür gibt es berühmte Vertreter in den USA, hierzulande hat sich vor allem Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser geäußert, auch Gründerin Verena Pausder ist eine prominente Stimme. Aber wenn Pausder ihre Sorge angesichts grundwertefeindlicher Parteien äußert, ist sie oft allein. War politische Debattenteilhabe der Manager nur ein kurzer Trend, ein nices Zeitgeistding? Es wäre eine fürchterliche Nachricht, für die Demokratie wie für die Wirtschaft. Und weder Erstere noch Letztere braucht gerade mehr schlechte Nachrichten.
Natürlich, es gab über Jahre und gibt noch heute viele Gründe, sich nicht zu laut zu politischen Themen zu äußern. Das Gefühl, dass die eigene Expertise woanders liegt, dass man drängendere Probleme hat – von den Energiepreisen bis zum Fachkräftemangel –, will man derzeit niemandem in Führungsverantwortung absprechen. Auch dass man als Chef nicht zu sehr in eine politische Ecke sortiert werden möchte, ist verständlich. Von der Basketballlegende mit eigener Turnschuhserie, Michael Jordan, stammt das schöne Zitat, dass auch Republikaner Sneaker kaufen. Es kann in Zeiten der digitalen Dauerkommunikation ja auch extrem unangenehm werden, von Teilen der Bevölkerung, Kundschaft oder gar Belegschaft gehasst zu werden. Nicht zuletzt kann der Manager mit Meinung wirken wie ein Marketinggag: Der CEO, der Geld für israelische Geiseln geboten hat, hat Häme geerntet. Der Grat ist eben, wie so oft, schmal.
Aber erstens gehört Risiko auch sonst zum Geschäft. Mit Unternehmertum kommen nun mal Macht und Kapital, ökonomisches und soziales – und damit Verantwortung. Der berühmte Gestaltungswille ist für viele ein Argument, zu gründen oder in Leitungspositionen zu gehen. Wenn er am Fabriktor endet, ist das fatal – vor allem, wenn man will, dass das Fabriktor in ein paar Jahren noch steht. Denn zweitens sind genau die Krisen, die derzeit zum Dauerstress für Menschen in Führungspositionen führen, der Grund, warum es wichtig ist, Politik stärker in die Firmen hineinzutragen. Es geht ums Grundsätzliche, das friedliche, demokratische Miteinander. Wenn der Punkt erreicht ist, wo es riskant erscheint, das zu verteidigen, ist es nur eines: umso nötiger.
Kunden vertrauen CEOs teils stärker als Politikern
Das entspricht zunächst einer betriebswirtschaftlichen Logik. Viele Unternehmer sind regelmäßig auf der ganzen Welt unterwegs, blicken hinter Kulissen. Sie haben Weitblick und sind gleichzeitig in den Details des betriebswirtschaftlichen Alltags versiert, können also bei vielen Themen mitreden. In einer gespalteneren Gesellschaft gehören Firmen – neben Freibädern und Kinos – zu den wenigen Orten, wo Begegnung über Blasen hinaus noch stattfindet. Wenn Politik kein Elitenprojekt sein, sondern aus der viel beschworenen Mitte der Gesellschaft kommen soll, müssen politische Fragen auch dort diskutiert werden. Hinzu kommt: Kunden erwarten, dass Firmen sich positionieren. Sie vertrauen Unternehmern teils stärker als Politikern. Das ist erschreckend, wird aber Jahr für Jahr vom Edelman-Trust-Barometer belegt.
Die gleiche Auswertung ergibt zudem: Dem Arbeitgeber bringen viele Vertrauen entgegen, sehen CEOs gar als Vorbild. Auch für die berühmte Arbeitgebermarke ist es wichtig, die politischen Entwicklungen nicht als ein fernes Feld zu betrachten, und zwar gleich in zwei Richtungen. Zum ersten treiben Themen wie der Ukraine-Krieg oder die Wahl eines frauenfeindlichen Vorbestraften in den USA die Mitarbeitenden um. In den sozialen Netzwerken haben unzählige Menschen Ängste geäußert in den Tagen nach der US-Wahl und dem Zusammenbruch der Ampelkoalition. Viele Firmen haben längst Feelgood-Manager, Selbstführungsseminare und Yogastunden. Warum nicht auch die politischen Sorgen der Menschen ansprechen? In einer Umfrage gab fast jeder fünfte Befragte an, dass sich beispielsweise Rechtsextremismus am Arbeitsplatz auf die Leistung auswirkt. Da erscheint es nur sinnvoll, diese Fragen zu thematisieren; zumal eine offene Debattenkultur und diverse Teams wichtig für Innovationen sind. Zweitens wirken klare Werte nach außen, auf potenzielle Bewerber. Schon jetzt warnen Ökonomen, dass sich der Erfolg extremistischer Parteien negativ auf Betriebe auswirkt.
Das Ganze hat eben längst auch eine volkswirtschaftliche Dimension. Zwar mag so mancher Einzelunternehmer hoffen, durch rechte Regierungen weniger Regeln befolgen oder Steuern zahlen zu müssen. Aber langfristig wird eine Rückkehr zum Nationalismus der breiten Masse der Unternehmen schaden. Dass Firmen sich noch auf freien Märkten entfalten, wenn in den dazugehörigen Staaten durchregiert wird, ist unwahrscheinlich, auch wenn das mancher, der sich derzeit „mehr Milei“ wünscht, nicht begreift. Und wo man in den USA noch auf einen großen Binnenmarkt hoffen kann, können es sich die Europäer nicht leisten, ohne ihre Nachbarn zu reüssieren. Insbesondere für die exportabhängigen Deutschen wäre es ein Desaster, sich von Handelspartnern abzuschotten. Reale Optionen wie längere Handelskriege oder militärische Auseinandersetzungen muss man da nicht mal einkalkulieren, um besorgt zu sein.
Die Frage ist: Was kostet Haltungslosigkeit mittelfristig?
In der Klimapolitik rechnen Expertinnen gern die „costs of inaction“ vor, also wie hoch der Schaden durch Nichthandeln ist. Selbiges wäre ein interessantes Gedankenexperiment für politische Haltungslosigkeit von Unternehmern und Führungskräften.
Einen kleinen Vorgeschmack hat der US-Wahlkampf gegeben. Dort war „CEO-Aktivismus“ lange ausgeprägter als hier. Den Reisebann für Muslime etwa haben Firmenchefs lautstark kritisiert. Im Wahlkampf Trump gegen Harris war das schon anders. Zwar haben sich unter anderem Jeremy Stoppelman von Yelp und Erbe James Murdoch für Harris ausgesprochen. Doch trotz der hohen Spendenzahlen haben nur wenige öffentlich das Geld mit unterstützenden Worten versehen. Einige sehr prominente Stimmen sind still geblieben (looking at you, Bill Gates). Stattdessen waren George Clooney und Taylor Swift zu hören.
So mancher CEO hat gar eine scheinbare Neutralität zelebriert: Amazon-Gründer Jeff Bezos, dem die Washington Post gehört, hat seinen Journalisten verboten, eine Wahlempfehlung für Kamala Harris auszusprechen. Ob er und andere Angst hatten, sich beim potenziellen Staatschef unbeliebt zu machen, oder ob es ihnen egal ist, ob sie ihr Geld in einer Demokratie oder einer Autokratie verdienen, lässt sich nicht klar beantworten. Es verhält sich da wie mit den Aussagen eines ehemaligen deutschen Innenministers: Ein Teil dieser Antworten könnte die Bevölkerung verunsichern. Klar ist aber: Wenn von Januar an ein Mann, der die Gewaltenteilung infrage stellt, das politische System verachtet und Unternehmer als Erfüllungsgehilfen seines Herrschertraums sieht, die – noch – größte Volkswirtschaft der Welt regiert, wird der Wunsch nach Gesprächen hierzulande eher größer als kleiner sein.
Dazu, wie man sich am besten einbringt, gibt es längst Erkenntnisse
Es ist deshalb Zeit für eine Erweiterung der Corporate Social Responsibility zu einer Corporate Political Responsibility – ein Begriff, den der Berater Johannes Bohnen vor einigen Jahren geprägt hat. Wie die in der Praxis aussieht, ist jedem selbst überlassen: Ob es Schulungen für den Umgang mit Verschwörungserzählungen sind, freie Tage für Demonstrationen, die Vernetzung mit anderen Firmen oder die öffentliche Entscheidung, die Firmenwagen nicht mehr bei einem Demokratiefeind zu kaufen.
Über die Jahre haben sich dazu ein paar Erkenntnisse durchgesetzt: Der Inhalt kommt besser an, je mehr er mit dem zu tun hat, wofür die Firma steht – etwa, als der Exxon-Mobil-Chef Trump riet, das Pariser Klimaabkommen nicht aufzukündigen. Oder wenn Vaude-Chefin Antje von Dewitz sich zu Klimapolitik äußert und selbst auch eine nachhaltige Produktion anstrebt. Nach innen wie nach außen darf es außerdem nicht um Bevormundung gehen, sondern um eine aktive Auseinandersetzung, deren Grundlage die freiheitlich-demokratische Ordnung ist. Oder wie es die politisch sehr aktive Geschäftsführerin des Uhrenherstellers Nomos schön gesagt hat: Im Grunde sei es egal, was Mitarbeitende wählen, „solange sie es bei einer demokratischen Partei machen“.
Elon Musk, schreibt die New York Times in einem Text über das Zeitalter der Politik dank großem Geld, sei zum „Megafon Trumps“ geworden mit seiner Plattform X. Was es aber nicht braucht, sind einzelne Megafone. Sondern unzählige Lautsprecher für die Demokratie, und damit die soziale Marktwirtschaft. Auch im Kinderbuch von Michael Ende geht es übrigens darum, ob die Welt künftig von Katastrophen und Elend geprägt wird – oder dem Gegenteil. In der Szene mit dem Fragezeichen ist es: kurz vor zwölf.