TV-Duell: Ein Duell mit vertauschten Rollen – und am Ende steht es Unentschieden | ABC-Z

Der Kanzler gab den Angreifer und der Unions-Kanzlerkandidat den besonnenen Staatsmann. So traten Olaf Scholz und Friedrich Merz bei ihrem ersten TV-Duell in diesem Wahlkampf auf. Erst läuft es für Merz nach Plan, dann holt Scholz auf. Und am Ende hat Merz eine überraschende Nachricht.
Olaf Scholz und Friedrich Merz hätten am Ende dieses ersten TV-Duells in diesem Bundestagswahlkampf die Chance gehabt, eine Botschaft zu senden, die im Gedächtnis bleibt. Die Gelegenheit, den einen Satz zu sagen, mit dem der SPD-Bundeskanzler und der CDU-Herausforderer über diesen Fernsehabend hätten hinauswachsen können. Wie etwa das „Ich liebe meine Frau“ von Gerhard Schröder (SPD) oder das „Sie kennen mich“ von Angela Merkel(CDU) oder das: „It’s the economy, stupid“ des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton.
Doch der Kanzler und der Unions-Kanzlerkandidat entschieden sich zum Abschied für lange Satzkonstrukte oder Schachtelsätze aus der Wahlkampftruhe. Chance verpasst. Immerhin hatten Scholz wie Merz mit allen Mitteln – Zahlen, Rhetorik, Körpersprache – versucht, dieses Duell bei ARD und ZDF für sich zu entscheiden. Sie hatten sogar die üblichen Rollen getauscht. Einen klaren Sieger gab es letztlich nicht. Aber doch einige sehr aufschlussreiche Szenen und Aha-Momente – und ziemlich zum Schluss eine überraschende Ankündigung von Friedrich Merz.
Der üblichen Rollenverteilung gemäß hätte Herausforderer Friedrich Merz bei diesem TV-Duell den Angreifer geben müssen und Scholz als Amtsinhaber staatsmännische Zurückhaltung wahren können. Es wären die Paraderollen für beide gewesen.
Nichts tat und tut Merz im Bundestag lieber, als zur Attacke auf die Bundesregierung zu blasen, scharf, hart, provozierend. Der Kanzler dagegen erklärt sich nicht gern, unvergessen sind seine Wahlkampfauftritte vor der Bundestagswahl 2021. Als „in sich ruhender Buddha“ war Scholz damals oft unterwegs, still lächelnd, lakonisch. Die Taktik trug ihn bis ins Kanzleramt.
Aber nun sieht es in den Umfragen, die seit Wochen unverändert sind, so aus, als würde die SPD die härteste Wahlniederlage in der Geschichte der Bundesrepublik einfahren. Und für die Union sind die Zustimmungswerte wie einzementiert. Sie kommt über 30 Prozent nicht hinaus, was bislang wohl auch an der scharfen Sprache von Merz lag. Also war der Kanzler an diesem Abend als Angreifer mit heftigen Verbalattacken zu erleben und Merz in der Pose bemühter Zurückhaltung. Scholz fiel der Rollentausch im Verlauf des Duells leichter als Merz. Er kann ja doch Emotion. Merz musste am Ende darum ringen, seine Gefühle wie geplant zu zügeln.
Es ging munter mit dem Aufreger der vergangenen Tage los, den Unionsanträgen zur Begrenzung der Migration. Die hatte Merz im Bundestag abstimmen lassen, wobei er in Kauf nahm, dass die AfD zustimmt. Im Fall seines „Fünf-Punkte-Plans“ zum Stopp der illegalen Migration hatte er prompt mit den Stimmen der in Teilen rechtsextremen Partei eine Mehrheit erhalten. Könne er Merz nach dem als „Tabubruch“ kritisierten Vorstoß nun noch trauen, wollte Moderatorin Maybrit Illner vom Kanzler wissen. „Ich kann mir da nicht mehr sicher sein“, so Scholz. Es bleibt also bei der Taktik, die Union als latenten Partner der Rechtsextremen darzustellen.
Der regelwidrige gelbe Zettel
Merz zog ungerührt einen gelben Zettel aus dem Sakko – was nach den Regeln nicht erlaubt war, die sahen nur leeres Notizpapier und Stift als Hilfsmittel vor – und konfrontierte den Kanzler mit einem Interview in einer Thüringer Zeitung. In dem hatte Scholz auf die Frage zu Abstimmungen mit der AfD, um Mehrheiten zu erringen, erklärt: „Aber das ist doch keine Zusammenarbeit.“ Niemand sollte sich davon abhängig machen, wie die AfD abstimmt. Merz war gut vorbereitet. Scholz blieb nur die schwache Entgegnung, dass das nur, wie im Interview gesagt, für die kommunale Ebene gelte. Punkt für Merz.
Weiter ging es mit dem Thema Migration. Dünnes Eis für Scholz, weil sich seine Regierung dem Vorwurf ausgesetzt sieht, zu wenig für eine Begrenzung der Migration und viel zu wenig gegen illegale Zuwanderung zu tun. „Reicht das?“, wollte Illner also wissen. „Die Regierung hat ja nicht nichts getan, sie hat ein bisschen was getan“, spottete Merz. „Danke“, sagte Scholz. Merz: „Jetzt sagen Sie schon zum zweiten Mal Danke.“ Aber das war es dann auch mit den Höflichkeiten an diesem Abend. Der Ton wurde härter.
Merz wolle keine schärferen Sicherheitsgesetze im Bundestag, er wolle nur „eine Show machen“, keilte Scholz. Dann erklärte er seine Migrationspolitik. „Ich habe …“, „ich tue, …“, „ich werde …“ So fingen die kommenden Sätze allesamt an. Die Pläne der Union, Asylbewerber an den Bundesgrenzen zurückzuweisen, seien rechtswidrig, sagte der Kanzler. Merz erneut gelassen: „Ich habe das mit den Zurückweisungen nicht ganz verstanden, was der Kanzler da gesagt hat. Mal sagt er , es geht, mal sagt er, es geht nicht.“ Laut Experten ist es rechtlich umstritten, ob Asylsuchende an den deutschen Grenzen abgewiesen werden dürfen.
Und so ging der Schlagabtausch in der kommenden halben Stunde weiter. Der Kanzler verteidigte seine Politik, griff Merz frontal an. Er wendete sich seinem Kontrahenten direkt zu, lehnte lässig am Pult, antwortete aber in Richtung der Moderatorinnen Illner und Sandra Maischberger. Also abweisend. Seine Körpersprache zeigte: Angriff.
Keine Fehler machen, lautete die Devise
Friedrich Merz stand dagegen etwas steif auf seinem Platz, war sparsam mit Gestik und konterte gelassen. Er lächelte viel, reagierte mit Spott. Man merkte, dass ihm seine Strategen gesagt hatten: „Freundlich gucken, Friedrich. Egal was der Kanzler sagt. Ruhig bleiben.“ Man sah bisweilen, wie schwer Merz das fiel. Aber die Parole lautete: an diesem Abend keine Fehler machen. Keinesfalls aus der Rolle fallen, keine Pascha-Sprüche. Sondern den Staatsmann geben, nicht den Spalter und Polarisierer. Merz wirkte bisweilen bemüht diplomatisch, ein wenig übermütig, wie einer, der seinen Kontrahenten einfach so wegspötteln könnte. Sympathiepunkte machten beide an diesem Abend allenfalls in überschaubarem Ausmaß.
Immerhin lief es für Friedrich Merz bis zur Halbzeit besser. Scholz hatte sich in Rechtfertigungen und seinen Angriffsmodus verbissen. Die Themen lagen dem Unions-Kanzlerkandidaten zunächst eher als dem Kanzler. Moderatorin Illner trieb Scholz bei der Migration unnachgiebig, danach ging es um Wirtschaft. Da sieht die Bilanz des SPD-Kanzlers erneut mau aus. Warum es so schlecht läuft im Land? „Ich habe die Ukraine nicht überfallen“, sagte Scholz etwas hilflos.
Dann ist der Mindestlohn an der Reihe. Eine Erhöhung war ein Wahlversprochen von Scholz 2021 und ist es erneut. Zuständig dafür ist allerdings eine Kommission, nicht der Kanzler oder die Regierung. „Wenn die das beschließt, ist es ok“, meinte Scholz. „2021 hatten Sie versprochen, die Erhöhung auf zwölf Euro sei einmalig“, so Merz. Eine weitere Anhebung sei Wortbruch. Scholz darauf: „Nö.“ Scholz konnte auch bei diesem Thema nicht überzeugen.
Zur Halbzeit hatte Merz drei Minuten weniger gesprochen als der Kanzler, also durfte er lange ausholen, um aufzuholen. Aber es lief nicht mehr so gut. Die Attacken des Kanzlers setzten ihm zu, Merz musste zunehmend um Fassung ringen. Und auch inhaltlich wurde es dünner. Das lag auch den Themen, die nun kamen.
Thema Pflege. Die Kosten dafür steigen und steigen. Merz‘ Antwort darauf: „Die Pflegeversicherung ist eine Teilversicherung. Nötig wäre eine private Zusatzversicherung.“ Die Frage ist, wie sich die Millionen von Beitragszahlern die leisten sollen. Thema Ukraine: Weder Merz noch Scholz hatten eine überzeugende Antwort auf die Frage, wie das Land künftig geschützt existieren soll. Thema Steuern: Merz konnte die Standard-Vorwürfe der SPD, die Pläne der Union würden „nur die Reichen“ entlasten, nicht überzeugend entkräften.
Und dann kam der Showdown
Und dann war Showdown. Bei der Frage der Finanzierung der Bundeswehr flogen die Fetzen. Scholz wie Merz wollen mehr für die Streitkräfte ausgeben, das müssen sie auch, um die Anforderungen der Nato zu erfüllen. Doch woher kommen die nötigen Milliarden? Die beiden Duellanten bewarfen sich mit Zahlen. Scholz wurde zunehmend scharf, Merz musste sich zunehmend zusammenreißen. Es war der Moment, in dem der Kanzler punkten konnte. Und er tat es.
Denn die Bundeswehr wird in den kommenden Jahren viele Milliarden zusätzlich benötigen. Eine entscheidende Säule im Wahlkampf der SPD lautet: Die Union will das finanzieren, indem sie an anderer Stelle auf Kosten der Bürger spart. Bei den Rentnern, bei den sozial Bedürftigen. Beim Ausbau der Infrastruktur, bei Investitionen. Den Vorwurf von Merz, als Finanzminister unter Altkanzlerin Merkel die Bundeswehr zusammengespart zu haben, wischte Scholz unwirsch zur Seite: „Ich lasse mir das von keinem sagen.“
Also, woher kommen nun die Milliarden? Scholz will die Schuldenbremse lockern, sagte er. Er sagt das immer. Alle anderen Lösungen seien „lächerlich“. Merz will das nicht. Bislang. Am Ende eines hitzigen Wortgefechts erklärte der Unions-Kanzlerkandidat nun auf einmal überraschend zu einer Lockerung der Schuldenbremse: „Das kann man diskutieren, aber das kommt sicher nicht am Anfang.“ Das ist eine echte Nachricht. Darüber wird man in der Union noch heftig diskutieren. Und SPD und Grüne werden das Merz noch oft vorhalten.
Zum Abschluss wollten die Moderatorinnen wissen, ob Union und SPD nach der Reihe von gegenseitigen Angriffen im Wahlkampf am Ende doch zu Koalitionsgesprächen zusammenkommen. Friedrich Merz lachte darüber. Und antwortete dann, dass er davon ausgehe, die Union werde die Bundestagswahl gewinnen, einen Partner brauchen und vielleicht zwei zur Auswahl haben. Und natürlich werde dann miteinander gesprochen. Das klang schon ziemlich selbstsicher. Mit Rücksicht auf den Grünen-skeptischen CSU-Chef Markus Söder sagte Merz nicht, mit wem gesprochen werden soll. Olaf Scholz sagte auf diese Frage gar nichts.