Cartoonpreis 2024 geht an Karlsfelder Zeichner Markus Grolik – Dachau | ABC-Z

Auf dem Weg zu Markus Groliks Atelier wirken die alten Häuserfassaden frisch aufpoliert. Das Café von nebenan entbehrt jedes Zuviel an Dekoration und ist im Stil des Minimalismus eingerichtet. „Speciality coffee“ wird dort serviert. Doch wer den Hinterhof zu Groliks Atelier betritt, gerät in eine Welt des Unverstellten. Die Eingangstür zum Haus ist unverriegelt und im Treppenhaus knarren die Dielen atmosphärisch unter dem eigenen Tritt. Umgeben von Papierschnipseln und Kinderbüchern stellt Markus Grolik Cartoons her. Ein Zeichenpad – kaum zu übersehen – hat Stift, Papier und Tippex ersetzt.
Markus Grolik malt Cartoons. Seine Inspirationsquelle ist das Weltgeschehen oder auch nur der Weg zum Café um die Ecke. Erst kürzlich bemerkte er in seiner Straße die Rückkehr eines alten Trends: Den der Handtaschenhunde, und er machte just mit einem Cartoon auf deren unnatürliche Haltungsbedingungen aufmerksam. Es genügt aber auch, den Mann in verwaschenem Käppi mit ein paar Schlagworten aus der Presse zu konfrontieren, damit ihm die Gedanken wie im Funkenflug von der Zunge abgehen.
Ein Mensch, der so viel Weltgeschehen durchsiebt, darf sich selbst nicht allzu ernst nehmen. Keck greift er die Frage, ob ein Cartoon denn Kunst sei, deshalb gleich selbst vorweg: „Oder langt’s gerade für die Toilette?“, fragt er und schiebt ein Augenzwinkern hinterher. Als Mischgestalt zwischen Zeichenkunst und Geschichtenerzählen ist der Cartoon manchem textlich nicht komplex genug, anderen wiederum wird er bildlich nicht raffiniert genug erscheinen. Doch wer die Analysen der Jury für den Deutschen Cartoonpreis liest, wird bemerken, dass sich hinter dieser Darstellungsform sehr wohl Geniales versteckt.
Der Cartoon als vielschichtiger Kommentar
Ausgezeichnet fanden die Juroren zum Beispiel dieses Bild: Den Einheitsbrei voll grauer, unauffälliger Büro-Schatten unterbricht ein junger Mann mit Baby in der Tragetasche, der sagt: „Chef, kann ich im Büro Home-Office machen?“
Was auf den ersten Blick nach einem Plädoyer für das Home-Office aussieht, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als Sozialkritik: Wie etwa Familie und Beruf in einer Welt zu vereinen sind, die von Wohnungsnot, steigenden Mietpreisen und mangelhaften Kinder-Betreuungsmöglichkeiten zu vereinbaren sind. Das alles habe Grolik mit wenigen Strichen zu einem Bild verdichtet und damit einen vielschichtigen Kommentar „zu den gesellschaftlichen Herausforderungen des modernen Lebens“ erstellt, urteilten die Juroren.
Auch zögerte die Jury nicht, diesen Cartoon mit dem „Deutschen Cartoonpreis 2024“ zu prämieren. Dass es mal dazu kommen würde, hat Grolik nicht für möglich gehalten: „Ich dachte, wenn ich überhaupt etwas kriege, dann doch nur den dritten Preis.“ 4000 Einsendungen gab es vergangenes Jahr beim Lappan Verlag, der die Ausschreibung zusammen mit der Caricatura Galerie in Kassel ausrichtet. Etwa 300 wurden vorselektiert und von der Jury bewertet. Groliks Zeichnung gewann. „Ich habe das Gefühl, dass 20 Jahre Arbeit mit einem einzigen Bild gewürdigt wurden. Da hänge ich jetzt meine ganze Existenz dran. Das sage ich ironisch und irgendwie auch im Ernst.“
„Wem es gelingt, ein Thema zugleich komisch, komplex und dennoch greifbar zu machen, hat einen sehr guten Cartoon erstellt“, sagt Saskia Wagner, Jurymitglied und Leiterin der Caricatura Galerie in Kassel. Wenn man nur die Sprechblase lesen oder das Bild sehen und sofort verstehen würde, worum es geht, sei der Cartoon zu evident, findet Grolik. „Idealerweise funktioniert der Humor, wenn Bild und Text zu einer dritten Ebene zusammenkommen.“ Wenn der Betrachter überrascht wird und einen Aha-Moment erlebt.
Satire darf alles, oder etwa nicht?
Das Schwierige und zugleich Schöne an der grafischen Satire sei die Freiheit, sagt Grolik. Wenn er seine Arbeiten bei den Agenturen einreicht und sie veröffentlicht werden, ist das auch immer ein Zeichen, dass er eine besondere Stimmungslage im Land treffend eingefangen hat. Durch lauter Flachwitze könne man seine Persönlichkeit schneller offenbaren als mit irgendeiner Sozialkritik.
In den aufgeladenen Debatten dieser Zeit bewegen sich Karikaturisten in einem schwierigen Arbeitsumfeld: Am 7. Januar 2025 jährte sich das Attentat auf Charlie Hebdo. Eine Karikatur des Propheten Mohammed mit einer Bombe im Turban, die das französische Satire-Journal wiederholt publizierte, provozierte vor zehn Jahren den Anschlag auf die Redaktion. Eine Staatskrise wollte Grolik mit seiner Kunst zwar noch nie auslösen, „als Ministrant und katholisch sozialisiert, verstehe ich empathisch, dass diese Karikatur viele ärgern konnte“, sagt er. Satire sollte seiner Meinung nach zweideutig bleiben, um nicht Gefahr zu laufen, rein bösartig zu sein.

Bei fremden Kulturen ist er vorsichtig
Ob es Themen gibt, die er aktuell nicht anrühren würde? „Im Sinn der satirischen Freiheit, eigentlich nicht“, sagt er. Dennoch weiß er, dass der Krieg im Nahen Osten oder Cartoons über fremde Religionen und Kulturen besonders heikel sind. „Diese würde ich eher meiden. Denn als kulturfremder Beobachter ist es, meiner Einschätzung nach, kaum möglich, zu solchen Themen einen humorvollen Blick zu entwickeln“, so der Künstler. Man kenne die Situation vor Ort nicht oder sei in einem anderen Kulturraum sozialisiert worden.
Viel mehr beschäftigt ihn die Frage, was sich heute überhaupt noch karikieren lässt: „Seit seiner ersten Amtszeit ist Donald Trump zum Beispiel schon derart ikonisiert, macht es da noch Sinn ihn zu überzeichnen, weil man dann immerzu die gleichen Botschaften reproduziert?“, fragt er. Es sei eine verrückte Welt, in der wir lebten. „Mein Basisgefühl ist, dass ich schon am Rande des Wahnsinns Cartoons herstelle“, die Dinge logisch zu Ende zu denken, ginge fast nicht mehr. Die Cartoons über Donald Trump von vor vier Jahren könne er daher beinahe recyceln. „Eine erschreckende Entwicklung“, sagt er.

Zweites Standbein als Kinderbuch-Illustrator
Etwa 4000 vielleicht 5000 Cartoons hat Grolik in seiner 20-jährigen Karriere bereits gezeichnet. Weil er seine Werke unter einer Tagesfrist bei Agenturen einreicht, laufe der kreative Prozess auf Hochdruck. Die meisten Zeichnungen schickt er schon bis 11 Uhr weg. Getrieben fühle er sich daher manchmal. Als Cartoonist leben viele von der Hand in den Mund. Die Publikationsplätze im Print seien begrenzt. In seiner Kindheit gab es Zeitungen, die eine ganze Seite der Satire gewidmet hatten. Später wurde sie durch Prominachrichten oder ähnliches ersetzt, weil sich diese Formate besser verkauften. „Das hat das Korallenriff für Cartoonisten ein Stück weit zerstört“, sagt der Künstler. Als Autor und Illustrator von Kinderbüchern ist es ihm aber gelungen, sich ein zweites Standbein aufzubauen.
Ursprünglich hat Grolik eine Ausbildung zum Modegrafiker gemacht. „Eigentlich war mein Hauptantrieb, in den 80ern nicht zum Bund eingezogen zu werden“, sagt er. Die „dankbaren Aufnahmefristen der Modeschulen“ kamen ihm gerade recht. Nachdem die Modezeichner allerdings durch die Fotografen abgelöst wurden, hat Grolik Kinoplakate gestaltet – auch diese Kunstform wurde irgendwann vom digitalen Wandel überrannt. „Da habe ich stets Berufe gewählt, die vom langsamen Untergang bedroht waren“, scherzt er.
Tatsächlich ist Grolik als Cartoonist aber ziemlich glücklich. Er kann zwischen banalen Alltagsbeobachtungen genauso wie dem politischen Tagesgeschäft jonglieren und überraschende Querverbindungen entwickeln. „Dabei entsteht ein eigener Kosmos – gewissermaßen eine visuelle Dokumentation des Zeitgeschehens.“