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„Carême“, „The Bear“: Was diese Serien so appetitlich macht. – Stil | ABC-Z

Für das Krönungsbankett muss etwas Besonderes her. Eine mehrstöckige Torte, sicher zwei Meter hoch und so schwer, dass sechs Männer sie aus der Backstube tragen und vor Napoleon Bonaparte und seinen Gästen abstellen. Gespickt mit Blüten sowie unzähligen blauen, weißen und goldenen Windbeuteln. Man hat als Zuschauer noch nicht annähernd alle Details erfasst, da ergießt sich  wie aus dem Nichts ein goldfarbener Überzug über die Torte.

Süßspeisen als Happening kennt man nicht erst seit Star-Pâtissiers wie Cedric Grolet und Amaury Guichon auf Instagram Millionen Follower bespaßen, sondern schon im frühen 19. Jahrhundert. Das zeigt – in eindrucksvollen Bildern – zumindest die fiktionalisierte Serie „Carême“, die vom 30. April an bei Apple TV+ zu sehen ist. Der Achtteiler handelt von Marie-Antoine Carême (Benjamin Voisin), ein Begründer der französischen Haute Cuisine und einer der ersten Starköche überhaupt, der auch das Menü für die Kaiserkrönung Napoleons 1804 in Paris plante.

Am Set konstruieren sie eine zweieinhalb Meter hohe Pyramide aus 5000 Windbeuteln, zusammengehalten nur mit Karamell

Seit dem Hype um die Serie „The Bear“ spielt Essen plötzlich wieder eine Hauptrolle in vielen Filmen und Serien. Damit filigrane Törtchen und üppige Braten ansprechend aussehen, braucht es Spezialisten am Set: Food-Stylisten, „Food Consultants“ oder „Culinary Producer“, die Speisen für Dreharbeiten entwickeln und die Schauspielerinnen und Schauspieler schulen. Egal, wie man sie nennt, Food-Experten sind gefragt wie nie, nicht nur für die vielen Fernseh-Kochshows, sondern auch beim Film. Warum, zeigt „Carême“ beispielhaft.

Das historische Vorbild, Marie-Antoine Carême, ist auch als Erfinder der Kochjacke und -haube bekannt. Zu letzterer gibt es eine Szene, in der er zum ersten Mal Mützen im Team verteilt und den verdutzten Kollegen erklärt, dass er es leid sei, „Haare in meinem Essen zu finden“.  Filme und Serien erwecken solche Geschichten und Geschichte zum Leben, immer öfter auch durch die Dinge, die ihre Protagonisten essen und trinken oder kochen. Denn selten kommt man Figuren so nah wie in Momenten des Genusses.

Jedes Detail in der Küche ist wichtig: Benjamin Voisin als Marie-Antoine Carême. (Foto: Courtesy of Apple/Courtesy of Apple)

Für die Speisen in „Carême“ ist Jérôme Raffaelli verantwortlich. Der 47-Jährige ist Konditor in Marseille und war früher Regieassistent. Raffaelli weiß, wie man Eindruck macht, ob in der Auslage einer Konditorei oder auf dem Bildschirm. „In der französischen Gastronomie ist Carêmes Erbe heilig“, sagt Raffaelli, „das wollten wir respektieren und zugleich modern interpretieren.“ Das Ergebnis ist so etwas wie Foodporn in historisch. Ständig wird in Nahaufnahme Teig geknetet oder Sahne geschlagen. „Gâteaux Pithiviers“, Blätterteigkuchen mit Mandeln, kommen goldbraun aus dem Ofen. Der Aufwand dafür war enorm. Nachts bereitete Raffaelli mit seinem Team einmal 400 Macarons für den nächsten Drehtag vor. Für die „Croquembouches“, zweieinhalb Meter hohe Pyramiden aus Windbeuteln, die mit Karamell zusammengehalten werden, haben sie 5000 Küchlein gebacken. In einer Szene wird am Tisch eine Pyramide angezündet, die dann im Inneren Petits Fours preisgibt.

Raffaelli, der sich die Rezepte für die Serie ausgedacht hat, recherchierte in Archiven und ließ sich von Zeichnungen Carêmes inspirieren. „Carême hatte ein echtes Verständnis für Architektur. Er war es, der die ersten Etageren kreierte“, erklärt Raffaelli. „Seine Bankette wären heute wegen ihrer gigantischen Ausmaße undenkbar.“ Zum Krönungsbankett waren Hunderte Aristokraten, aber auch 5000 Gäste aus dem Volk geladen. Carême und sein Team arbeiteten oft wochenlang auf einen Tag hin. „Auf meinen Tellern müssen die Dinge so schön sein wie sie köstlich sind“, sagt der Starkoch in der Serie. Wie die „Vol-au-vents“, pikante Pasteten aus geschichtetem Blätterteig, die an Mille-feuilles erinnern und in der Serie mit Artischocken und Pilzen serviert werden.

Jérôme Raffaelli, Konditor, ehemaliger Regieassistent und Food-Berater bei Carême. (Foto: Apple TV+/Apple TV+)

Der Wow-Effekt zählte also schon immer, nicht erst, seit Köche sich auf Instagram inszenieren. Doch soziale Medien seien der Grund für den jüngsten Erfolg von Serien und Filmen über Essen und Köche, glaubt Raffaelli. „Mit ‚den Augen essen‘ ist eine neue Form des Genusses“, sagt der Food-Berater. Ein Blick auf Eclairs und Macarons reicht, ob im Film oder auf Instagram, und das Wasser läuft einem im Mund zusammen. Das goutiert das Publikum, in den sozialen Medien wie auf Streaming-Plattformen. Wie Essen im Film wirken kann, merkt man auch an den vielen Zusammenschnitten aus Essens-Szenen aus Serien wie „Twin Peaks“, „Gilmore Girls“ und „Parks and Recreation“. Und auf Kanälen wie „Binging with Babish“ werden Speisen aus Filmen und Serien nachgekocht.

Essen war schon immer mehr als ein Requisit. In „Chocolat“ ließ Juliette Binoche schon vor 25 Jahren mit heißer Schokolade und Pralinen eine französische Kleinstadt die Fastenzeit vergessen. In „Eat Pray Love“ zelebrierte Julia Roberts in einer Pizzeria genussvoll kauend ihre „Liebesbeziehung“ mit neapolitanischer Margherita. Und in „Julie & Julia“ wurde der US-Kochlegende Julia Child (Meryl Streep) gehuldigt, indem die Bloggerin Julie (Amy Adams) in einem Jahr 524 ihrer Rezepte zubereitete. Genießen und Kochen in Dauerschleife, inszeniert als sinnlicher Akt.

Wie baut man als Food-Stylist Truthahn-Hoden nach?

Dabei sprechen nicht nur die Gerichte selbst die Sinne der Zuschauer an, sondern auch das Handwerk. Keine Serie zeigt das so eindrucksvoll wie „The Bear“, die den jüngsten Hype ums Essen im Film ausgelöst hat. Damit es professionell aussieht, wenn der Chicagoer Sternekoch Carmy Berzatto (Jeremy Allen White) Sellerie schneidet oder seine Kollegin einen Wolfsbarsch zerlegt, wurden sie von Culinary Producer Courtney Storer beraten, Köchin und Schwester von Serienschöpfer Christopher Storer, sie brachte den Schauspielerinnen und Schauspielern auch das Kochen bei. Und für die Horrorkomödie „The Menu“ ließ man sich sogar von einer Drei-Sterne-Köchin beraten, der Franko-Amerikanerin Dominique Crenn. Im Film betreibt Maître Julian Slowik (Ralph Fiennes) ein abgehobenes Restaurant, in dem unter anderem ein „Brotteller ohne Brot“ serviert wird. „The Menu“ treibt das Storytelling und das Gebaren der Gäste in der gehobenen Küche ironisch auf die Spitze.

Dabei ist es auch im Film oft das vermeintlich Einfache, das Comfort Food, das berührt. In „The Menu“ findet der Chefkoch zur Leidenschaft zurück, als ihn ein Gast auffordert, einen Cheeseburger zu braten. In „The Bear“ ging ausgerechnet ein Omelette viral, das Souschefin Sydney für ihre gestresste Chefin mit Chipsbröseln garniert. In der Komödie „Chef“ verlässt der Koch Carl Casper (Jon Favreau) die Fine-Dining-Welt, um in einem Foodtruck Sandwiches zu grillen. Wer beim Anblick von so viel schmelzendem Käse nicht auf der Stelle eine Scheibe Brot mit allem belegen will, was der Kühlschrank hergibt, hat kein Herz.

Selbst dort, wo das Essen nicht im Vordergrund steht, steckt oft großer Aufwand hinter jeder Szene, in der gegessen wird. Food-Berater ist kein klar definierter Beruf, doch aus den Produktionen nicht mehr wegzudenken. Daniel Brodt, 43, aus Köln etwa kümmert sich um das Food-Styling für Unternehmen und Magazine, aber auch für Filme und Serien. Schon mit 16 jobbte er als Aushilfskoch, machte Caterings, später arbeitete er beim Film, unter anderem in der Requisite und im Szenenbild. Brodt ist Autodidakt, er lernte aus Büchern, von Youtube – „und das meiste durch Ausprobieren“.

Foodstylist und kulinarischer Berater Daniel Brodt aus Köln. (Foto: Paul Hepper)

Manchmal begleitet Brodt komplette Produktionen wie den Science-Fiction-Film „The Assessment“, der gerade im Kino läuft. Manchmal wird er wird nur für einzelne Gerichte gebucht, etwa für die Netflix-Serie „Alphamännchen“, für die er „pflanzliche Austern“ aus veganer Gelatine und Mu-Err-Pilzen machte. Szenen werden üblicherweise viele Male gedreht. Damit das Essen lange frisch aussieht, gibt es kleine Tricks: Krause Petersilie etwa ist stabiler als Dill. Oder Daniel Brodt baut gleich Attrappen mit Hilfe von 3D-Schablonen: Für die Disney+-Serie „Habibi Baba Boom“ fertigte er Fleischspieße aus Kunstharz an und sprühte mit Airbrush ein Grillmuster auf. Echtes Fleisch wäre zu schnell verdorben.

Die meisten Lebensmittel, die man heute in Filmen sieht, sind aber essbar. Theoretisch zumindest. Denn „nach einer gewissen Zeit kann man das Wenigste noch essen“, sagt Brodt, der auch schon mal mit Haarspray Speisen auf Tellern fixiert oder Torten aus Styropor benutzt, von denen bei Bedarf ein Kuchenstück durch ein echtes ersetzt wird. Am liebsten mag Brodt Spezialaufträge. Wie für „Switch Reloaded“, wo er für einen „Dschungelcamp“-Sketch Truthahnhoden basteln sollte, die ein Schauspieler wie Gummibärchen snackt. Nach etlichen Versuchen setzte er auf Modelliermarzipan, Rhabarberfasern und Gelatine – „für den Glanz“.

Der Ekel-Effekt ist allergings eine Ausnahme. Meist transportiert Essen im Film positive Emotionen. „Wenn die Familie zusammenkommt, unterstreicht ein schöner Braten die Stimmung am Tisch“, sagt Daniel Brodt. Ob mehrstöckige Torte, Austern oder Omelette, Essen bringt eben Menschen zusammen, versöhnt, macht glücklich – auf dem Bildschirm wie im echten Leben.

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