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Bürokratie vor Menschenverstand: Bund der Steuerzahler veröffentlicht Bericht – Wirtschaft | ABC-Z

Wer im Naturschutzgebiet Stapelfelder Moor spazieren geht, kann hier seit etwas über einem Jahr eine Aussichtsplattform nutzen. Eine einfache Holzkonstruktion, ein schöner ungetrübter Blick über die Landschaft. Nur ist die Aussichtsplattform lediglich 1,5 Meter hoch und damit eher ein Plattförmchen. Eine 27 000 Euro teure Konstruktion, die die Aussicht aufs Moorgebiet nur unwesentlich verbessert.

Das Hamburger Naturschutzprojekt hat es damit ins aktuelle Schwarzbuch der öffentlichen Verschwendung geschafft, das der Bund der Steuerzahler an diesem Mittwoch vorgestellt hat. Jährlich listet der Lobbyverein darin bizarre Fälle aus Kommunal-, Landes- und Bundespolitik auf, in denen nach seiner Einschätzung nicht sorgsam mit Steuergeld umgegangen wurde. Bauvorhaben, bei denen die Kosten nicht sauber kalkuliert wurden, Projekte, die gut gemeint und dann schlecht umgesetzt wurden, Planungsfehler, die zu Mehrkosten geführt haben. Lokalpossen finanziert aus Steuergeldern.

Im Fokus des diesjährigen Berichts steht die Bürokratie. Die sorge nicht nur für Mehrarbeit in der Verwaltung, sondern ersetze auch immer öfter den „gesunden Menschenverstand“, sagt Reiner Holznagel, der Präsident des Bunds der Steuerzahler.

30 Jahre später fällt auf, dass das Schwimmbecken nicht tief genug ist

Im Schwarzbuch steht etwa eine Geschichte aus Eberbach in Baden-Württemberg. Hier hat die Stadt im November letzten Jahres einen Zebrastreifen entfernt, weil eine Verkehrsprüfung ergeben hatte, dass der Übergang zu nah an einer Bushaltestelle liegt. Zu gefährlich für querende Fußgänger, die hinter einem haltenden Bus vielleicht zu spät vom Gegenverkehr gesehen werden. Nur gab es den Zebrastreifen eben schon seit 13 Jahren, und einen Unfall hatte es bisher nicht gegeben. Kostenpunkt: 3000 Euro.

Ein ähnlicher Fall in Biedenkopf in Hessen. Hier fiel bei einer Untersuchung im Freibad auf, dass das Becken am Drei-Meter-Sprungturm nicht tief genug ist. Es fehlten fünf Zentimeter, bei Unfällen hätte die Stadt haften müssen. Deshalb muss der mehr als 30 Jahre alte Sprungturm bis zum kommenden Sommer abgebaut werden. Die Stadt Biedenkopf rechnet laut Schwarzbuch mit Kosten von bis zu 2000 Euro.

Holznagel forderte bei der Vorstellung des Schwarzbuchs einen konsequenten Abbau von Bürokratie: „Haben Sie den Mut, Unsinniges zu streichen und Strukturen zu überdenken.“ Ganz ohne Hintergedanken geschieht das natürlich nicht. Der Bund der Steuerzahler, der sich regelmäßig öffentlich zu politischen Entscheidungen äußert und öffentliche Projekte anprangert, pocht auch darauf, bessere Bedingungen für Unternehmen zu schaffen. Der Lobbyverein finanziert sich insbesondere durch Spenden aus der Wirtschaft, auch wenn er betont, sich für alle Steuerzahler und -zahlerinnen einzusetzen. Kritiker halten ihm eine allzu rigorose „Schlanker-Staat-Ideologie“ vor.

In jedem Fall finden sich im aktuellen Schwarzbuch genug Beispiele zum Kopfschütteln, aber eben nicht nur. Es geht auch um Fälle, in denen Projekte auf Eis gelegt wurden, nachdem festgestellt worden war, dass sie keinen weiteren Nutzen haben. So wird eine für mehr als 800 000 Euro geplante Aussichtsplattform in Burscheid in NRW jetzt doch nicht gebaut. Allerdings: Die Planungskosten trägt die Stadt trotzdem.

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