Bunker in Deutschland sind “mit geringem Aufwand” wieder einsatzbereit | ABC-Z
In Deutschland herrscht akuter Bunker-Mangel. Und die wenigen öffentlichen, die es gibt, sind nicht mehr einsatzbereit. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sitzt gerade an einem Bunkerschutzplan. Neue Schutzräume sind anscheinend aber nicht geplant – dafür eine spezielle Bunker-App. Mit “relativ geringem Aufwand” können die alten Bunker wieder fit gemacht werden, sagt Mario Piejde von BSSD-Defence im ntv-Interview. Die Bausubstanz der deutschen Bunker sei sehr gut. Immer mehr Privatleute möchten sich schützen, die Nachfrage bei der Berliner Firma steigt stetig an.
ntv.de: In Deutschland gibt es im Ernstfall zu wenige Bunkerplätze für alle Menschen. Insgesamt stehen nicht einmal 600 öffentliche Bunker in Deutschland zur Verfügung, die für knapp 500.000 Menschen reichen. Warum haben wir hierzulande so wenige Schutzbunker?
Mario Piejde: Wir waren friedensbesoffen. Man dachte, es wird nie wieder ein Krieg in Europa stattfinden. Wir dachten, wir haben Russland im Griff, deshalb wurden alle Schutzräume in Deutschland abgebaut. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hat 2023 die verbliebenen 578 Bunker begutachtet und festgestellt, dass sie in einem schlechten Zustand sind. Aber 130 Millionen Euro würden genügen, um Platz für 500.000 Menschen zu schaffen. Das BBK und die Regierung klemmen sich endlich dahinter.
Ist Deutschland ein Einzelfall?
Es ist paradox: Die Schweiz hat 120 Prozent Überbelegung, wir nur 0,4 Prozent Schutzraumplätze. Die Schweiz wird ihre Unabhängigkeit immer selbst verteidigen. Für uns Deutsche war die Maßgabe: Der Amerikaner wird’s richten. Die NATO-Mitgliedschaft muss reichen. Jetzt sind die Leute aufgewacht.
Können Sie uns beschreiben, wie die existierenden Bunker in Deutschland aktuell aussehen?
Sie sind in einem relativ guten Zustand. Die Hülle aus Stahlbeton ist in der Regel in Ordnung. Die Technik selbst ist natürlich veraltet und müsste reaktiviert werden. Die Schutzbelüftung und die Türen müssten erneuert werden. Man könnte sie mit relativ geringem Aufwand wieder instand setzen.
In Berlin kümmert sich der Verein Berliner Unterwelten schon jahrelang um das Thema. Ihre Bunker sind quasi betriebsfähig. Da müssten nur aktuelle Betten und Not-WCs reingestellt werden und schon funktionieren sie. Auch die weniger intakten Räumlichkeiten kann man sanieren und in einen Zustand bringen, der den aktuellen Bedrohungslagen standhält.
Es braucht nur etwas neue Technik, dann sind wenigstens die bestehenden Bunker wieder fit?
Formal ist es so. Beton ist Beton, der hält in der Regel 100 Jahre. Wir haben aktuell ein großes Projekt in Hamburg. Dort gehen 1365 Schutzplätze rein. Die 40, 50 Jahre alte Technik wird jetzt instand gesetzt. Dafür braucht es aber keine Millionen und Abermillionen.
In Berlin haben wir sehr viele U-Bahn-Schächte und Tiefgaragen, die einen Basisschutz bieten. U-Bahn-Schächte schützen aufgrund der Tiefe vor konventionellen Waffen. Nur die Filter, die biologische und chemische Kampfstoffe herausfiltern, müssen aktualisiert werden. Für einen Atomschlag müsste man die Tore nachrüsten, die die Räume hermetisch dicht abschließen. In der Regel müssen in dem Fall nur die Motoren aufgearbeitet werden. Die Mechanik funktioniert noch.
Wie müsste man die U-Bahn-Tunnel und Tiefgaragen umbauen, damit Menschen dorthin flüchten können?
Es bräuchte eine Drucktür, Betten und WCs. In allen U-Bahn-Schächten, wo ein Bunker verbaut wurde, gibt es Explosionsschutzventile. Bei einer Explosion würde die Druckwelle nicht in die Schutzraumhülle gelangen. Dahinter sind die Filteranlagen geschaltet. So würde bei kriegerischen Handlungen oder bei einem Industrieunfall kein Lüftchen hereinkommen.
Eine Schutzbelüftungsanlage ist wichtig, sie erzeugt ähnlich wie beim Flugzeug einen Überdruck. Selbst wenn die Hülle einen Riss hätte, könnten Luft oder schädliche Kampfstoffe nicht einsickern, weil die Luft von innen nach außen drückt.
Bei einem Stromausfall gibt es für die Filteranlage Handkurbeln, die in Großanlagen so lang sind, dass sie von bis zu zehn Leuten bedient werden müssen.
Wie ist der Zustand der Privatbunker?
In Deutschland gibt es nach unseren Recherchen etwa 84.000 private Schutzräume. Ihre Filteranlagen aus den 1960er, 1970er oder 1980er Jahren funktionieren noch. Nur die Filtertöpfe sind verfallen. Die müssen erneuert werden.
Wie lange würde es dauern, in Deutschland ausreichend viele Bunkerplätze zu bauen, damit alle im Ernstfall unterkommen könnten?
Eine schwierige Frage. Die Schweiz, Finnland oder Schweden haben über Jahrzehnte Schutzräume gebaut. Finnland hat eine Abdeckung von etwa 80 Prozent. Deutschland bräuchte dafür 20 bis 30 Jahre. Milliardenbeträge wären notwendig. Deswegen sagt die Bundesregierung, dass sich die Leute selbst schützen müssen. Die Definition, wie private Schutzräume auszusehen haben und wie man sich in der Wohnung schützen kann, wird gerade entwickelt.
Merken Sie ein gestiegenes Interesse an Privatbunkern?
Ja, seit 2014. Mit der Krim-Annexion fing es langsam an. Seitdem haben wir eine stetige Nachfrage, die mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs noch einmal stark gestiegen ist. In den nächsten zehn Jahren wird sich die Nachfrage jedes Jahr verdoppeln. Immer mehr Häuslebauer denken darüber nach, sich im Keller einen Schutzraum einbauen zu lassen. Das kostet etwa 30.000 Euro.
In den 1990er Jahren und den 2000ern haben wir meist für ältere Leute gebaut, die sagten, der Russe kommt wieder. Damals fand ich das kurios.
Wer kauft bei Ihnen ein?
70 Prozent aller Kunden sind Frauen. Früher waren Bunker eher ein Männerspielzeug, mit Partyraum und Billardtisch. Heute beschäftigen sich auch Familien damit. Statt Pool im Garten oder einem teuren Bad wollen die Frauen lieber einen Schutzraum und bestellen ihn bei uns.
Uns rufen auch viele Leute an, die ihren Keller oder den alten Schutzraum umbauen lassen wollen. Sie machen einen Großteil unserer Kundschaft aus. Wir bauen dann die Komponenten ein: Mauern, Stahlbeton, Filteranlagen und Ventile.
Schaffen Sie es, alle Anfragen abzuarbeiten?
Den Rückstau der letzten Jahrzehnte kann man innerhalb kurzer Zeit nicht aufarbeiten. Wenn unsere Firma 1000 Schutzräume im Jahr baut, bieten diese immerhin 20.000 Menschen Schutz.
Wir sind an Kapazitätsgrenzen gekommen. Deshalb arbeiten wir jetzt auch mit einer Kellerbaufirma zusammen, die Bunker und Schutzräume vorkonfektioniert.
Hausbesitzer oder Häuslebauer haben Platz für einen Bunker. Aber wie können sich Mieter schützen? Immerhin lebt über die Hälfte der Deutschen zur Miete.
Mieter haben meist einen Mieterkeller. Oft ist es nur ein Holzverschlag. In diesem Raum können wir segmentierte Teile aus ballistischem Stahl einbauen. Wenn man umzieht, kann man den abbauen und mitnehmen. Weil der Keller unter der Erde ist und dicke Außenwände hat, bietet er schon einen Basisschutz. In den Wohnungen selbst ist das theoretisch auch möglich, aber da kommt man an statische Grenzen. Diese Räume wiegen je nach Größe eine bis anderthalb Tonnen.
Einfacher wäre es, wenn der Eigentümer am Kellerzugang eine Drucktür einbaut. Die riegelt den ganzen Keller hermetisch ab. Das kostet 10.000 Euro.
Wie dick sollten die Bunkerwände sein?
Der militärische Standard liegt bei 60 Zentimetern. Schon die gemauerten Wände der Berliner Altbauhäuser sind 50 Zentimeter dick. Die reichen für den Hausschutzraum aus. Der normale Standard liegt bei 30 Zentimeter dicken Wänden. Das bietet in der Regel jeder Keller, der eine Weiße Wanne aus Stahlbeton hat.
Manche wollen auch Schutzräume mit meterdicken Wänden. Oft ist das die ältere Generation, die die Bombennächte im Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Wie ein Kunde in Pforzheim, der einen Bunker mit zwei Meter dicken Wänden und Decken hat – wie in einer Kathedrale. Das ist weit über dem militärischen Durchschnittsstandard.
Im Bunker soll man es ein paar Tage aushalten können. Wie kann man sich das Innenleben in einem modernen Bunker vorstellen, was bauen Sie dort alles rein?
Man merkt idealerweise nicht, dass man in einem ist. Es gibt virtuelle Fenster. Heutzutage wird psychologisch mit Farben gearbeitet, damit der Aufenthalt nicht so schwerfällt. Und wir haben auch eine eigene fluoreszierende Schutzraumfarbe entwickeln lassen. Falls mal der Strom ausfällt. Der Bunker ist nicht so kalt und eklig, wie man immer denkt.
Der Kunde sollte es 14 Tage bis zu einem Monat dort komplett autark aushalten können. Der Mindeststandard liegt bei drei Tagen. Zur Ausstattung gehören die Filteranlage, wichtige Lebensmittel, Wasservorräte und Notstrom.
Sie haben auch öffentliche Auftraggeber. Können Sie uns Beispiele nennen?
Unsere Kunden sind Feuerwehren und Krankenhäusern. Auch die Berliner Museen haben vor Kurzem angefragt, um auch Kunstschätze noch sicherer wegzuschließen. Auch für Botschaften sind wir aktiv. Und wir arbeiten momentan an zwei öffentlichen Bunkerprojekten.
Alle Landratsämter, Rathäuser, Krankenhäuser werden in Zukunft Schutzräume bekommen müssen. Auch Zentren, wo Notrufe eingehen, werden Stück für Stück damit aufgerüstet, um Technik vor Sabotage zu sichern.
Ist Deutschland mit dem Bunkerschutzplan des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe auf dem richtigen Weg?
Hauptsache überhaupt auf dem Weg. Einfach mal anfangen, als nur darüber zu reden.
Mit Mario Piejde sprach Caroline Amme. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Vollständig können Sie es im ntv-Podcast “Wieder was gelernt” anhören.
“Wieder was gelernt” ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.
Alle Folgen finden Sie in der ntv App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.
Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcasts@ntv.de