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Bundestagswahlkampf: Und dann klagt der Ex-Verfassungsschutzchef über seine frühere Dienstherrin | ABC-Z

Der frühere Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang will für die CDU in den Bundestag und der SPD in ihrer Hochburg einen Wahlkreis abnehmen. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um seine Zeit in der Behörde geht. Aber sein nahtlos geplanter Wechsel ins Parlament sorgt für Befremden.

Die Stimme von Thomas Haldenwang bleibt auch freundlich, wenn er Kritik äußert. Aber zunächst beginnt der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz zurückhaltend. An einem Abend in dieser Woche in der Bildungsstätte des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) in Wuppertal hält er ein Mikro in der Hand und geht vor etwa 140 Zuschauern auf und ab. „Wir leben hier in Deutschland immer noch in einer der stabilsten Demokratien und einem der sichersten Staaten im weltweiten Vergleich“, sagt er. Aber darauf dürfe man sich nicht ausruhen.

Dann klagt der 64-jährige Christdemokrat über Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD), seine frühere Dienstherrin. Es sei für ihn als Behördenchef „irgendwann frustrierend“ gewesen, weil nach der Präsentation von Maßnahmen gegen Rechtsextremismus nichts passiert sei, sagt Haldenwang. Es werde „ganz viel angekündigt“ und „ganz viel Betroffenheit geäußert“, wenn etwas Schlimmes geschehen sei. „Aber was passiert? Gar nichts“, sagt Haldenwang.

Bei seinem Auftritt zeigt der Jurist mit der Mecki-Frisur, wie geschmeidig er den Wechsel vom Behördenleiter zum Wahlkämpfer vollzogen hat. Haldenwang will den Wahlkreis Wuppertal I in Nordrhein-Westfalen gewinnen und direkt in den Bundestag einziehen. Hier dominiert aber traditionell die SPD. Bei den vergangenen zwei Wahlen gewann der Sozialdemokrat Helge Lindh, ein Innenpolitiker. Doch dieses Mal ist nichts mehr gewiss. Die SPD ist im Bundestrend weit abgeschlagen, und die lokale CDU hofft nun auf ein historisches Momentum, gerade nach den jüngsten Vorstößen der Union für eine verschärfte Migrationspolitik im Bundestag.

Deshalb spricht Haldenwang in der CVJM-Bildungsstätte auch über den Umgang mit ausländischen Straftätern: „Es musste erst der Anschlag in Solingen passieren, damit dann auf einem Flug 28 Menschen nach Afghanistan abgeschoben wurden. Das war die große Abschiebeoffensive des Bundeskanzlers“. Seine zentrale Botschaft entspricht der Agenda von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz: „So kann es nicht weitergehen. Wir wollen die Politikwende jetzt in Deutschland, und zwar gerade auch auf dem Feld der inneren Sicherheit. Es muss was passieren.“ Lauter Applaus, Haldenwang hat die Gäste im Saal auf seiner Seite. Er hat sich in einem offenen Brief hinter Merz gestellt und eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch abgelehnt: „Die Brandmauer steht.“

Reizfigur für Rechtsaußen

Haldenwang setzt auf seine Expertise in der Sicherheitspolitik. Unter seiner Leitung hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die Beobachtung der AfD als rechtsextremistischer „Verdachtsfall“ begonnen. Er hat sich dazu viel häufiger als seine Amtsvorgänger geäußert und zudem in der Corona-Pandemie vor neuen „Staatsfeinden“ in der Querdenker-Szene gewarnt. Haldenwang ist für Rechtsaußen zur Reizfigur geworden.

Das hat Folgen für den Wahlkampf. Aus Sicherheitsgründen verzichtet er auf Haustürbesuche. Bevor er am Wahlkampfstand in der Fußgängerzone auftaucht, postieren sich Polizeibeamte in der Nähe. Haldenwang wirkt dennoch gelassen. Eigentlich sollte eine junge Christdemokratin in seinem Wahlkreis antreten. Dann gab die CDU Wuppertal Haldenwang den Vorzug, weil sie sich mit dem erfahrenen Ex-Behördenchef bessere Chancen ausrechnet.

Allerdings sorgte sein nahtlos geplanter Wechsel von einer Bundesbehörde ins Parlament vielerorts für Befremden. Ebenso irritierte der Umstand, dass Haldenwang seinen Rückzug nach sechsjähriger Behördenleitung mit seiner Gesundheit begründet, sich aber fit genug fühlt fürs Parlament. Diese kritikwürdigen Umstände sind verblasst, zumal er prominente Hilfe aus der Landesregierung Nordrhein-Westfalen erhält. Die einflussreichen CDU-Landesminister Herbert Reul (Inneres) und Karl-Josef Laumann (Gesundheit) stärken bei Terminen vor Ort Haldenwangs Rückhalt. Zugleich verzichten die politischen Konkurrenten in Wuppertal auf persönliche Angriffe, weil sie sich zum Teil lange kennen und privat schätzen. Am vergangenen Mittwochabend sitzen sie auf der Bühne in der „Börse“. Der Jugendring Wuppertal hat zur Podiumsdiskussion mit den Kandidaten von SPD, CDU, Grünen, Linke und FDP eingeladen, ohne die AfD. Etwa 100 junge Menschen sind gekommen.

Haldenwang argumentiert differenziert, aber lässt an passenden Stellen Hardliner-Worte fallen. Als die Runde über Gewalt an Frauen spricht, fordert er „klare Kante“ gegen die Täter, „Law and Order“, „die ganze Härte des Gesetzes“. Er plädiert für eine strengere Regulierung von sozialen Medien, weil sie ein „Katalysator“ für Extremismus seien. Haldenwang ist bei aller Kritik an der AfD gegen einen Parteiverbotsantrag, weil das die „Spaltung der Gesellschaft“ verstärken würde. Was er im Bundestag am liebsten machen würde? „Mein Ziel ist der Innenausschuss.“

Politikredakteur Kristian Frigelj ist bei WELT zuständig für landespolitische Themen, vor allem in Nordrhein-Westfalen.

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