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Bundestagswahl: Was Wahlhelfer wissen müssen | ABC-Z

Seit Wochen bleibt der Briefkasten leer. Ich warte sehnsüchtig auf Post vom Wahlamt, weil ich mich im Überschwang bürgerlichen Pflichtbewusstseins als freiwillige Helferin für die Bundestagswahl gemeldet habe. Hat man mich vergessen? Oder kann die Stadtverwaltung mit einem Neuling wie mir überhaupt nichts anfangen? Zeit, bei den Profis nachzufragen: bei Stefan Köster, dem Leiter des Frankfurter Wahlamts, und seinem Stellvertreter Patrick Gebhardt.

Die beiden haben jetzt schon alle Hände voll zu tun, denn sie „organisieren Demokratie“, wie sie ihre Aufgabe zusammenfassen. Damit rund 440.000 Wahlberechtigte in Frankfurt am 23. Februar ihre Kreuze setzen können, stützen sich Köster und Gebhardt auf gut 4600 Helfer, die in den 378 Wahllokalen und für die Auszählung der Briefwahlunterlagen gebraucht werden.

Darunter Anfänger wie ich, die sich online, per Mail oder Anruf gemeldet haben, aber auch viele „Wiederholungswillige“, wie Köster sie nennt. Offenbar bin ich nicht die Einzige, die dieses Mal im Wahllokal nicht nur in der Kabine stehen, sondern an einem Tisch sitzen möchte: „Wir sind schon relativ gut besetzt“, sagt der Wahlamtsleiter und freut sich sichtlich über den unerwarteten Zulauf. Andere Städte müssen Helfer zwangsverpflichten.

2000 städtische Mitarbeiter helfen neben Ehrenamtlichen

Zehn von Kösters Mitarbeitern sind zurzeit noch damit beschäftigt, die Freiwilligen auf ihre Wunsch-Wahllokale zu verteilen. Bis alle eingeteilt sind, werden noch Wochen vergehen, erst dann wird es ernst und wir erhalten unsere Berufungsurkunde per Post. Die klingt so bedeutungsvoll, als wäre sie etwas für die Bildergalerie zu Hause.

Das Gros der Wahlhelfer rekrutiert die Stadtverwaltung aber aus den eigenen Reihen: Rund 2000 Angestellte übernehmen am 23. Februar ebenfalls den ehrenamtlichen Dienst, erhalten dafür wie alle eine Aufwandsentschädigung zwischen 65 und 80 Euro und einen freien Tag. Dass andere Arbeitgeber ihre Mitarbeiter ebenfalls vom Dienst befreiten, wenn sie sich als Wahlhelfer meldeten, „würde begrüßt werden“, so Köster, sei aber keine Selbstverständlichkeit.

Neun verantwortungsvolle Bürger sind in jedem Wahllokal gefragt, um die Stimmabgabe in geregelte Bahnen zu lenken. Zusammen bilden sie den Wahlvorstand: ein Wahlvorsteher und ein Schriftführer, jeweils mit einem Stellvertreter, sowie fünf Beisitzer. Deren Aufgabe klingt vielversprechend, weil am einfachsten: als ob sie nur dabeisitzen müssten. Ist aber nicht so. Zu tun haben alle: Die Beisitzer händigen die Stimmzettel aus, die Schriftführer dokumentieren, wer kommt und wählt. Der Wahlvorsteher ist der Chef im Team; er muss den prüfenden Blick auf die Abläufe halten und für die Bürger ansprechbar sein.

Schulung und Selbststudium sind angesagt

Was im Einzelnen zu tun ist, erfahren wir Helfer erst etwa zwei Wochen vor der Wahl: Dann sollen wir mit Onlineschulungen über unsere Rollen ins Bild gesetzt werden, und wir erhalten Unterlagen – fürs Selbststudium. Die Aufgabe scheint doch größer zu werden. Denn wir werden auch auf erwartbare Pannen und Zwischenfälle am letzten Sonntag im Februar vorbereitet.

Manches lasse sich schon mit einem genauen Blick auf die Wahlbenachrichtigung in Ordnung bringen, sagt Gebhardt. Mal hat einer die Adresse nicht richtig gelesen und muss zur Stimmabgabe in ein anderes Wahllokal geschickt werden. Oder die Benachrichtigung stammt von einer früheren Wahl, sie wurde eingesteckt, weil sie noch zu Hause herumlag.

Die Schriftführer müssen besonders penibel sein: Sie müssen die Identität des Wählers prüfen, ihn in ihren Verzeichnissen finden, überprüfen, ob er schon per Briefwahl abgestimmt hat, und schließlich hinter seinen Namen einen Haken setzen, wenn der Wahlzettel in der Urne verschwunden ist. Klingt simpel, aber wehe, wenn am Ende die Zahl der Häkchen nicht mit der Zahl der abgegebenen Stimmzettel übereinstimmt.

Wahlgeheimnis ist oberste Priorität

„Genauigkeit vor Schnelligkeit“, ermahnt Gebhardt mich stellvertretend für alle anderen Freiwilligen. Ich fühle mich plötzlich wie vor einer Klassenarbeit. Bei Problemen stünden aber auch Experten des Wahlamts an einer telefonischen Hotline bereit, beruhigt er mich.

Was der Wähler im Wahllokal tun soll, ist klar, was er lassen soll, weiß nicht jeder. Selfie mit Wahlzettel: verboten. Den ausgefüllten Stimmzettel stolz herumzeigen: ein sicherer Weg, damit er nicht in der Urne landet. Und Kinder, die man an die staatsbürgerlichen Pflichten des würdevollen Kreuzchenmachens heranführen möchte, müssen Abstand von der Wahlkabine halten, wenn sie das Lesealter erreicht haben. Warum? „Weil sonst das Wahlgeheimnis gefährdet ist, wenn das Kind in der Schule erzählt, neben welcher Partei Mama ein Kreuzchen gesetzt hat“, erklärt Köster.

Dass der minutiös geplante Ablauf aus dem Takt geraten kann, ist auch Wahlamtsleiter Köster klar. „Deshalb haben wir nicht nur Plan A, sondern auch B und C in Vorbereitung.“ Für Krankmeldungen am Wahltag wird eine Reservemannschaft rekrutiert, die auch noch am frühen Sonntagmorgen angefordert werden kann.

Tag der Wahlhelfer beginnt um 7.30 Uhr

Verschläft ein Wahlvorsteher seinen großen Tag und verpasst etwa, die Wählerliste abzuholen (alles schon passiert), kann jede Liste neu ausgedruckt und noch im letzten Moment im Wahllokal vorbeigebracht werden. Denn frühes Aufstehen ist für die Helfer am 23. Februar Bürgerpflicht: Noch vor 7.30 Uhr sollen sie in dem ihnen zugewiesenen Wahllokal antreten, um Tische zu schieben, Schilder auszulegen und Urnen aufzustellen, damit um 8 Uhr die Türen geöffnet werden können. Dann teilt sich die Mannschaft in Früh- und Nachmittagsschicht auf, damit der Tag nicht allzu lang wird. Um 18 Uhr müssen aber alle neune wieder für die Auszählung der Stimmen zusammenkommen.

Dann schließen die Wahllokale. Hat man schon hundertmal in den Nachrichten gehört, aber wie wird sich das anfühlen, wenn man tatsächlich jemandem die Tür vor der Nase zumachen soll, weil er zu spät kommt? Auch dafür sind die Regeln klar und unverrückbar: Wer bis 17.59 Uhr das Wahllokal erreicht, darf noch wählen. Gebhardt empfiehlt dem Wahlvorstand einen Uhrenvergleich schon am Morgen, um nicht kurz vor Schluss in Kalamitäten zu kommen.

Der spannende Teil ist ja die Auszählung, die mich von Anfang an am meisten interessiert hat. Nun muss ich lernen, dass ich sie mir schon längst hätte ansehen können. „Die Auszählung ist öffentlich, jeder Wähler kann dabei zuschauen, solange er den Wahlvorstand nicht bei der Arbeit stört.“ Heißt: Die Tür des Wahllokals wird dann gleich wieder geöffnet, stille Zuschauer sind erlaubt.

Es gilt das Sechs-Augen-Prinzip

Dann wird die Urne auf einem großen Tisch ausgeleert, und das Hochstapeln beginnt: ein Stoß für jene, die Erst- und Zweitstimme der gleichen Partei gegeben haben, ein Stapel für gesplittete Stimmen. Dann folgen die „zweifelsfrei ungültigen“ Zettel, auf denen nichts oder nur ein Spruch steht.

Der vierte Stapel gibt „Anlass zu Bedenken“, wie Köster es formvollendet ausdrückt. Das können Stimmzettel sein, auf denen sich jemand sichtbar umentschieden hat und nun der Wahlvorstand, aber eben kein Einzelner, entscheiden muss, ob „der Wählerwille klar erkennbar“ ist oder nicht.

Die ordentlichen Kreuze müssen dann noch nach Parteien sortiert, gezählt und nachkontrolliert werden, es gilt das Sechs-Augen-Prinzip. Je Wahllokal seien 1000 bis 1300 Stimmzettel auszuzählen, sagt Gebhardt, wenn es gut läuft, sollten wir bis 20 Uhr fertig sein. Aber auch nur, wenn eine Plausibilitätsprüfung keinen Anlass zum Nachzählen von Wahlzetteln gibt. Auch das ist alles schon vorgekommen. Am Ende werden die vorläufigen Ergebnisse ins Wahlamt durchtelefoniert, damit sie umgehend online veröffentlicht werden können. Aber dann beginnt ja erst der zweite spannende Teil dieses heiß erwarteten 23. Februars.

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