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Enttäuscht von Biden: Fast die Hälfte der Ukrainer hofft auf Trump | ABC-Z

Knapp 45 der Ukrainer sagen, dass sie Donald Trump vertrauen, ein Höchstwert in Europa. Ähnlich viele glauben, Trump bringe den Frieden näher. Verändern werden sich die Beziehungen zwischen Kiew und Washington in jedem Fall.

Eigentlich ist es ein offenes Geheimnis, dass sich die ukrainische Staatsführung und die meisten Experten hierzulande eher einen Sieg der Demokratin Kamala Harris bei den US-Präsidentschaftswahlen gewünscht hätten. Zwar wäre die Fortsetzung der vorsichtigen Strategie von Präsident Joe Biden aus Kiewer Perspektive alles andere als ideal gewesen.

Zumindest hätte eine Harris-Administration die grundsätzliche Unterstützung für die Ukraine nicht infrage gestellt. Auf Expertenebene bleibt die Skepsis gegenüber Donald Trump, der an diesem Montag als Präsident vereidigt wird, unverändert groß. Der Blick auf Trump aus dem Inneren der kriegszerrissenen Gesellschaft ist aber ein anderer – und zwar ein überraschend optimistischer.

Laut einer Umfrage des Zentrums Nowa Jewropa („Neues Europa“) vertrauen 44,6 Prozent der Ukrainer Trump – ein Höchstwert auf dem Kontinent. Selbst im von Trump-nahen Ministerpräsidenten Viktor Orbán geführten Ungarn sind es „nur“ 37 Prozent.

Ukrainer sind von Biden enttäuscht

„Vermutlich beruht der hohe Zuspruch auf Erwartungen einer entschlosseneren Ukraine-Politik der neuen US-Administration oder auf gewissen Hoffnungen auf Trumps Versprechen einer schnellen Beendigung des Krieges“, schreiben die Verfasser der Studie. „Hohes Vertrauen in Trump könnte auch von der Enttäuschung über die Politik von Biden beeinflusst sein.“

Dass die Ukrainer von Trump ein schnelleres Ende des russisch-ukrainischen Krieges erwarten, zeigt auch eine andere Umfrage: 45 Prozent glauben, Trump bringe den Frieden näher, wobei nur 15 Prozent davon sagen, dass er diesen „bedeutend nahe“ bringen werde, ergab eine Erhebung des Kiewer Internationalen Soziologie-Instituts. 40 Prozent gehen davon aus, dass sich nichts verändert wird, oder sie konnten keine Antwort geben. Lediglich 14 Prozent denken dagegen, dass mit Trump der Frieden noch ferner liegen würde.

Während von Trumps Wahlversprechen, den Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden, selbst rhetorisch nichts geblieben ist, sind von ihm selbst und aus seinem Umfeld unterschiedliche Einschätzungen zu hören, welcher Zeitrahmen ausreichen könnte, um bedeutende Fortschritte zu erreichen – von 100 Tagen bis zu einem halben Jahr. Dass die Sache schwieriger ist als gedacht, zeigen auch Aussagen seines designierten Sicherheitsberaters Michael Waltz. Der sprach von der Notwendigkeit der Stabilisierung der Frontlinie, um adäquate Verhandlungen mit Russland führen zu können.

Was will Trump Putin anbieten?

Zu den Maßnahmen, die für eine solche Stabilisierung notwendig wären, zählte Waltz allerdings weniger verstärkte Waffenlieferungen aus Washington, sondern die Herabsetzung des Mindestmobilmachungsalters in der Ukraine von 25 auf 18 Jahre. Während dieser Schritt für Kiew irgendwann unausweichlich sein könnte, ist es in der Praxis eher unwahrscheinlich, dass dies allein eine entscheidende Veränderung bringt. Denn es geht um demografisch unterrepräsentierte Jahrgänge, unter denen es schwierig bis unmöglich sein dürfte, mehr als 200.000 Männer zu mobilisieren. Jedoch ist es bemerkenswert, dass zumindest in dieser Hinsicht die Administrationen von Biden und Trump ihre Sichtweisen teilen.

Ansonsten steht so gut wie fest, dass Trump – anders als Biden, der jegliche Kommunikation mit Wladimir Putin nach dem 24. Februar 2022 einstellte – einen Kontaktversuch mit Moskau unternehmen wird. Jedenfalls zeigt er sich weiterhin für ein persönliches Treffen offen. Die größte Frage aus ukrainischer Perspektive ist dabei, ob der neue US-Präsident überhaupt neue Instrumente hat, um Putin, der sich im langen Abnutzungskrieg gegen die Ukraine auf der Siegerstraße sieht, zur Einstellung der Kampfhandlungen zu bewegen.

Dass Russland einem Konzept, in dem etwa europäische oder britische Truppen auf die eine oder andere Art und Weise bei einem Waffenstillstand die Kontaktlinie bewachen, niemals zustimmen wird, sollte klar sein. Aber auch sonst ist fraglich, ob grundsätzliche Ideen des Trump-Lagers Putins Interesse wecken könnten. Denn im Kern geht es dabei um das Einfrieren des Krieges entlang der Frontlinie, den Verzicht der Ukraine auf die NATO-Mitgliedschaft, dafür aber die Fortsetzung der Waffenlieferungen an Kiew, damit Russland nicht wieder angreift. Vor allem mit dem letzten Punkt dürfte Moskau, welches weiterhin die sogenannte „Entmilitarisierung“ der Ukraine anstrebt, größere Probleme haben.

Rhetorisch hat Selenskyj die Wende schon vollzogen

Wie naiv oder realitätsfern die Vorschläge des Teams um Donald Trump auch sein mögen, Kiew kann die neue politische Realität in Washington nicht ignorieren. Schon seit Mitte 2024 hat sich die öffentliche Rhetorik von Präsident Wolodymyr Selenskyj deutlich verändert. Seitdem sagt er offen, dass die Ukraine nicht zwingend alle besetzten Gebiete militärisch zurückerobern müsse. Nach Trumps Wahlsieg fand eine weitere rhetorische Wende statt. Nun spricht Selenskyj weniger über einen „Sieg“, sondern vor allem vom „gerechten Frieden“ und von „Frieden durch Stärke“ – einem Konzept, das Trump offenbar besonders gefällt. Wie die meisten Ukrainer stellt sich Selenskyj nicht prinzipiell gegen einen Waffenstillstand, sagt aber, etwa dem US-Podcaster Lex Fridman, was seine Landsleute mehrheitlich denken: Es komme auf die Sicherheitsgarantien für die Ukraine für die Zeit nach dem Krieg an – und einen ernsthaften Schutz für sein Land könne es ohne aktive US-Beteiligung nicht geben. Dass Selenskyj Fridman fast drei Stunden widmete, zeigt eindeutig, dass sein Team der Meinung war, dadurch Trumps Umgebung, eventuell gar den kommenden Präsidenten selbst zu erreichen. Auch Trump selbst war schon bei Fridman zu Gast.

Im Hintergrund geben im politischen Kiew so gut wie alle zu: So oder so werden sich die Beziehungen zwischen der Ukraine und Washington völlig verändern. Selenskyjs Stab hatte bei aller Unzufriedenheit mit unzureichender und oft zu später Hilfe direkten Kontakt ins Weiße Haus. Zwar waren die Beziehungen des US-Außenministeriums mit der Präsidentschaftskanzlei von Selenskyj schwierig. Sein mächtiger Stabschef und de facto außenpolitischer Berater Andrij Jermak pflegte aber eine enge Beziehung zu Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan. Die beiden telefonierten mindestens einmal pro Woche, manchmal häufiger. Ob Jermak auch im Zusammenspiel mit der Trump-Regierung eine derart führende Rolle spielen wird, ist unklar. Als er im Dezember in den USA unterwegs war, traf er unter anderem den kommenden Vizepräsidenten J.D. Vance. Der designierte Sonderbeauftragte für die Ukraine, Keith Kellogg, hatte jedoch offenbar keine Zeit für ihn.

„Sehr schlechte Nachricht für die Ukraine“

Alleine werde Jermak es nicht mehr richten können, schätzen die Politikjournalisten Roman Krawez und Roman Romanjuk in ihrem Podcast UP2 ein. „Jermaks Beziehungen mit Sullivan haben manche in beiden Ländern genervt. Doch sie halfen, einige Entscheidungen blitzschnell durchzusetzen. Nun braucht man stattdessen gefühlt 20 Menschen – und bei Trump kommt es oft darauf an, wer ihm was als Letzter gesagt hat.“ Jedenfalls ist zu erwarten, dass die Ukraine bald einen neuen Botschafter in den USA bekommen wird. Nach dem Selenskyj-Besuch im September, als er eine Rüstungsfabrik in Pennsylvania in Begleitung des demokratischen Gouverneurs besuchte und deswegen von Mike Johnson, dem Sprecher des Repräsentantenhauses, zur Entlassung von Botschafterin Oksana Markarowa aufgefordert wurde, war klar: Sollte Trump die Wahlen gewinnen, wäre ein Botschafterwechsel unausweichlich. Tatsächlich hat Markarowa gute Beziehungen vor allem zur Demokratischen Partei aufgebaut, während sie mit vielen republikanischen Vertretern der ukrainischen Diaspora Streitereien hatte. Markarowa, ehemalige Finanzministerin der Ukraine, dürfte im Februar ersetzt werden, so wie der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, voraussichtlich auch.

Sonst ist die große Hoffnung der Ukrainer mit Blick auf Trump eindeutig: Da Gespräche zwischen Washington und Moskau fast zwangsläufig zum Scheitern verurteilt sind, da der Kreml von den USA faktisch eine diplomatische Kapitulation erwartet, würde die Ukraine gern eine Verstärkung der Ukraine-Hilfen sehen. Der ukrainische Publizist Witalij Portnykow glaubt aber nicht an ein solches Szenario: „Es ist viel wahrscheinlicher, dass Trump es einfach sein lässt und die Schuld Biden gibt. So nach dem Motto: Er hat alles falsch gemacht – und es war schon viel zu spät, um das Ding zu drehen.“ Dass der Republikaner Mike Turner als Vorsitzender des Geheimdienstausschusses des US-Repräsentantenhauses abgezogen wurde, ist jedenfalls kein gutes Zeichen. Turner galt als großer Ukraine-Unterstützer, ersetzt wurde er durch einen Gegner der Ukraine-Hilfen. „Das ist eine sehr schlechte Nachricht für die Ukraine, weil wir einen großen Freund in einem Schlüsselamt verlieren“, kommentierte die ukrainische Abgeordnete Oleksandra Ustinowa.

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