Bundestagswahl: Europapartei Volt hofft auf Zustimmung – Politik | ABC-Z
Wasser und Vitalgebäck, serviert auf blau-weißem Geschirr. Mit diesem schlichten Genuss möchte Volt in Frankfurt Bürger gewinnen. Im Nachbarschaftscafé im Stadtteil Nordend stellen sich die Direktkandidaten Mariana Habemus, 43, und Johannes Hauenschild, 27, vor. Sie, die Politikwissenschaftlerin, steht mit kurzen Haaren und grauem Pulli samt lila Volt-Schriftzug am runden Stehtisch. Er, der Stadtverordnete und Masterstudent, mit dick gerahmter Brille und ruhigem Duktus. Doch eigentlich kennt man sich schon: Die meisten der rund 15 Anwesenden sind bereits in der Partei.
Abwechselnd erzählen die Kandidaten, welche Forderungen im Wahlprogramm ihnen besonders wichtig sind. Ein Zuhörer möchte wissen, was ihnen an der Agenda nicht gefällt. Hauenschild gibt zu, dass er das Wahlprogramm nicht „super ausführlich“ gelesen hat; zum Zeitpunkt dieses Bürgertreffs Mitte Dezember ist es auch noch gar nicht endgültig beschlossen. Mit einigen Punkten ist er nicht einverstanden, aber das sei „aushaltbar“. Konkreter wird Hauenschild nicht. „Das ist schon eine richtige Politikerantwort“, ruft jemand. Die Runde lacht.
Kann Volt vom Frust über die Ampelparteien profitieren?
Dabei will sich Volt, 2017 gegründet, ja von den etablierten Parteien abgrenzen. Bei der Europawahl 2024 erzielte sie einen Überraschungserfolg: Die paneuropäische Partei verteidigte nicht nur ihren einzigen Sitz im Europaparlament, sondern gewann vier weitere dazu. In Deutschland erreichte sie 2,6 Prozent der Stimmen, bei den unter 25-Jährigen sogar sieben Prozent – damit lag sie in dieser Gruppe gleichauf mit der FDP. Seitdem sei Volt bekannter, berichtet ein Mitglied. Die meisten Menschen würden nicht mehr zuerst an den Essenslieferanten Wolt mit dem blau-weißen Logo denken, sondern an die Kleinpartei mit violettem Emblem.
Angesichts des Frusts über die Ampelparteien sehen die Anwesenden bei der Bundestagswahl im Februar Chancen für sich. 2021 reichte es nur für 0,4 Prozent, rund ein Prozent unter dem Resultat der Tierschutzpartei. Nun hoffen die Europafreunde, mit ihrem politischen Angebot mehr Wähler zu überzeugen. Ihre Kernforderungen: Die Verwaltung müsse so digital werden wie in Estland, die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel sowie klimaschädliche Subventionen müsse bis 2026 gestrichen und der Bildungsföderalismus abgeschafft werden.
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Überzeugungsarbeit muss an diesem Abend kaum geleistet werden. Dass so wenige interessierte Bürger gekommen sind, erklärt man sich mit der Vorweihnachtszeit, die es schwer mache, Außenstehende zu erreichen. Die Gesprächsrunde wird mit Bier vom Kiosk nebenan eröffnet, ein Mann in seinen Dreißigern stellt sich in den Kreis dazu. Ein Frankfurter SPD-Mitglied, den einige bereits kennen.
Seit zwei Jahren beobachtet er die Partei, erzählt er später. Weil er kein politisches Amt innehat und als Privatperson gekommen ist, möchte er anonym bleiben. Er sieht mit Volt ein mögliches Bündnis, sei aber aus einem anderen Grund hier: Von der Partei möchte er eine klare Haltung zur Vermögensverteilung. Volt will den Spitzensteuersatz „moderat“ für sehr hohe Einkommen anheben und Vermögen, die einen mehrstelligen Millionenbetrag übersteigen, progressiv besteuern. So steht es jedenfalls im Wahlprogramm.
Das geht dem SPD-Mitglied nicht weit genug. Warum die Zurückhaltung? „Schau dich doch mal um, hier sind doch nur Leute, die sehr privilegiert sind.“ Tatsächlich repräsentiert die kleine Runde ein gut situiertes Milieu: Viele haben studiert, einer arbeitet bei der Bundesbank, eine ist Dezernentin in Frankfurt. Auch der Direktkandidat Hauenschild passt in das Bild des jungen, akademisch gebildeten, westdeutschen Volt-Wählers. Sein Studium an der Frankfurt School, einer bekannten Privatuniversität, finanziert er mit einem Kredit, den er selbst abzahlt, wie er betont. Hauenschild vermutet, dass das Klischee der elitären Partei sich auch hält, weil das bekannteste Gesicht von Volt, der EU-Abgeordnete Damian Boeselager, aus einer einflussreichen Adelsfamilie stammt.
Die Spitzenkandidatin baut auf die Zweitstimmen
Wie alle Parteien will Volt möglichst viele Menschen ansprechen. Im ländlichen Raum soll das mit der Forderung nach flexiblen ÖPNV-Angeboten, dem Erhalt von Dorfschulen und mehr ärztlichen Versorgungszentren gelingen. Ob das reicht? Auf dem Land lag Volt vielerorts unter einem Prozent, in Unistädten wie Heidelberg, Hamburg und München dagegen bei mehr als fünf Prozent.
Zudem kämpft Volt unter erschwerten Bedingungen: Wahllisten aufstellen, Parteiprogramm beschließen, Unterstützer finden – das ist für Kleinparteien wegen der kurzen Frist bis zur Neuwahl nicht leicht. Volt muss nach eigenen Angaben über 27 000 Unterschriften sammeln, um antreten zu dürfen. Die Unterstützung sei groß, man werde das Ziel bis zum 20. Januar locker erfüllen, erklärt Maral Koohestanian, Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, auf Anfrage. Sie erwartet aber, dass die Partei über Zweitstimmen in den Bundestag einziehen wird, nicht in allen 299 Wahlkreisen hat sie Kandidaten aufgestellt. Die größere Schwierigkeit bestehe darin, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Bislang wird Volt in Umfragen unter „Sonstige“ geführt.
Für viele Volt-Anhänger besteht kein Zweifel, dass sich die Partei auf nationaler Ebene behaupten kann. Etliche sitzen seit Jahren in Stadträten, haben kommunale Ämter. Auch Koohestanian, die Smart-City-Dezernentin in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden ist.
Allerdings treibt die Partei die Fünf-Prozent-Hürde um, ein Hindernis, das bei Europawahlen nicht existiert. Ist eine Stimme für Volt bei der Bundestagswahl womöglich eine verschenkte Stimme? Auch das ist im Nachbarschaftscafé ein Thema: Ein Teilnehmer sagt, er sei „vorsichtig positiv“, ein anderer gesteht ein grummeliges Bauchgefühl ein. Das werde ihn aber nicht davon abhalten, in der Januarkälte Plakate aufzuhängen und am Infostand zu stehen: „Ich muss einfach daran glauben.“