Bundestagswahl: Die Linke setzt auf ihre Silberlocken | ABC-Z
Auf ihrem Parteitag in Berlin spricht sich die Linke mit ihren prominenten Alten Mut zu: Ramelow, Gysi und Bartsch treten an, um der Partei doch noch zum Einzug in den Bundestag zu verhelfen – sollte es mit der Fünfprozenthürde nicht klappen. Wichtige Wahlkampfthemen aber kommen zu kurz.
Vom Filmemacher Herbert Achternbusch stammt das Bonmot: „Du hast keine Chance, aber nutze sie!“ Das könnte auf die Linkspartei gemünzt sein, die am Samstag in Berlin ihren außerordentlichen Bundesparteitag unter dem Motto abhielt: „Alle wollen regieren. Wir wollen verändern.“ Was übersetzt heißt: „Niemand will mit uns regieren.“ Wie dennoch verändern ohne regieren geht, macht allerdings gerade eine Partei auf der anderen Seite des politischen Spektrums vor. Der Mainstream ist nicht mehr links, wenn er es je wirklich war.
In Umfragen dümpelt die Linke zwischen drei und vier Prozent. Dennoch will Vorsitzender Jan van Aken eine „klare Tendenz nach oben“ erkennen. Seine Co-Chefin Ines Schwerdtner ergänzte beim Briefing vor dem Parteitag: Der Antritt Donald Trumps in den USA und die Kandidatur einer „faschistischen“ Partei bei der Bundestagswahl seien „ein Geschenk“ für eine linke Partei.
So wird der Parteitag eröffnet mit „In the Middle of the Night“ von Magic Affair. Nach dem Motto: Am dunkelsten ist es kurz vor Sonnenaufgang. Oder wie es der Chef des Berliner Landesverbands den 452 Delegierten zuruft: „Wenn der Merz vorbei ist, kommt der Frühling!“
Tatsächlich aber setzt die Partei eher auf den Herbst: „Mission Silberlocke“ heißt der Plan B, falls die Partei an der Fünfprozenthürde scheitert. Ex-Parteichef Gegor Gysi, 77, Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow, 68, und Ex-Fraktionschef Dietmar Bartsch, 66, sollen in Berlin, Erfurt und Rostock mithilfe ihrer Prominenz Direktmandate erringen und mit dieser Aktion sicherstellen, dass die Linke in den Bundestag einziehen kann. Ehrlicherweise sollte die Linke zugeben, dass der „Seniorenexpress“ ihr Plan A ist.
Der „kürzeste Linken-Parteitag aller Zeiten“, so van Aken, ist vor allem eine Feel-Good-Veranstaltung. Die Linke möchte sich einreden, dass die Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) – der „Kreml-Partei“, wie sie van Aken abfällig nennt – die Partei gestärkt habe. Von einer „Eintrittswelle“ ist die Rede, darunter viele junge Menschen.
Sicher ist, dass der Weggang Wagenknechts und Oskar Lafontaines und ihrer Parteigänger die Re-Sozialdemokratisierung der Linken vorantreibt. Deshalb stellt van Aken die Forderung nach einem Mietendeckel und einer Vermögenssteuer in den Mittelpunkt seiner Rede: „Die Miete ist die soziale Frage unserer Zeit“, so der Parteichef.
Das Problem ist: Die Losungen ziehen offensichtlich nicht wirklich. Mehr pflichtschuldig als begeistert erheben sich die Delegierten von ihren Sitzen, um van Aken und die durchaus bürgerlich auftretenden und gemäßigt redenden Alten, Ramelow, Gysi und Bartsch, zu applaudieren. Die meisten Genossen und Genossinnen wollen lieber einen Antifa-Wahlkampf führen, wie ihn Schwerdtner andeutet: „Merz will das Land zur Hölle für arbeitende Menschen machen!“, ruft sie, gegebenenfalls „auch mit der AfD“. Deshalb müsse die Losung der Partei lauten: „Kein Fußbreit den Faschisten!“
Die einzigen stehenden Ovationen während der drögen Generaldebatte erhält die 28-jährige Delegierte Mersedeh Ghazaei aus Stuttgart mit einer leidenschaftlichen Rede gegen die AfD, „eine Partei, die es gar nicht geben dürfte“. Warum allerdings eine Frau wie Ghazaei, die als Kind iranischer Immigranten in Deutschland geboren wurde und sich als Aktivistin für Frauenrechte im Iran hervorgetan hat, ihre politische Heimat in der Linkspartei findet, bleibt dem Beobachter unerfindlich. Tickt doch die Basis der Partei im Zweifel immer antiamerikanisch, antiwestlich und postkolonial und kann daher wenig mit jenen Kräften anfangen, die gegen den Islamofaschismus der Mullahs kämpfen und dabei auch auf Unterstützung durch die USA hoffen.
Im Übrigen fällt auf, dass der Parteitag, wie ein türkischstämmiger Delegierter aus Berlin beklagt, eine fast rein „biodeutsche“ Veranstaltung ist. Bei jeder CDU-Veranstaltung würde man mehr Kopftücher – man zählt ein einziges – und mehr Menschen mit Migrationshintergrund sehen. „Wir stehen an der Seite der Migranten!“, ruft van Aken aus; aber ob Migranten an der Seite der Linkspartei stehen?
Jedenfalls meidet der Parteitag das Thema Migration wie der Teufel das Weihwasser. Abstrakt beklagt man den Rassismus, aber weder werden die Probleme der Migranten und Schutzsuchenden angesprochen noch die Probleme, die durch unzureichend gesteuerte Migration entstanden sind. Eher reden sich die Delegierten die Köpfe heiß über den „US-Imperialismus“, die Nato, Sanktionen gegen Russland und so weiter.
Wirtschaft und Wachstum sind kein Thema
Und ein weiteres Thema bleibt außen vor: Wirtschaft und Wachstum. Der Parteitag findet statt in der „Event-Location Station Berlin“, dem früheren Dresdener Bahnhof, einem Denkmal des industriellen Aufstiegs im Kaiserreich. Damals schaffte das Land in wenigen Jahrzehnten eine Transformation vom Agrar- zum Industrieland. Wie Deutschland jetzt die Transformation zum digitalen, post-fossilen Wirtschaften schaffen und dabei die Grundlagen jenes Reichtums erhalten kann, den die Linken umverteilen wollen – das scheint auf diesem Parteitag keinen zu interessieren.
Kein Wunder also, dass die Linkspartei nicht regieren will. Die Partei stelle keinen Kanzlerkandidaten auf, „weil wir uns nicht lächerlich machen wollen“, so Gysi. Das ist als Hieb gegen Sahra Wagenknecht gemeint, könnte aber auch als Selbstkritik gedeutet werden.