Bundestagswahl 2025 in Dachau: Was Erstwählerinnen und -wähler bewegt – Dachau | ABC-Z
Rund 110 000 Menschen aus dem Landkreis Dachau haben am 23. Februar die Möglichkeit, ihre Stimme bei der Bundestagswahl abzugeben. Für manche wird es das erste Mal sein, dass sie mitentscheiden, wie sich das Parlament in Berlin zusammensetzt. Auch Lina Widder ist eine dieser Erstwählerinnen. Die 20-jährige Studentin fühlt sich schlecht vorbereitet, wie sie sagt. Politik interessiere sie grundsätzlich schon, aber sie finde oft keine Zeit, sich intensiv damit auseinanderzusetzen: „Ich weiß oft einfach nicht, wo ich anfangen soll.“
Wie viele Erstwähler aus dem Landkreis an der Bundestagswahl teilnehmen, hat das Landratsamt noch nicht erfasst. Ein grobes Stimmungsbild unter Erstwählern lässt sich trotzdem einholen. Es zeigt sich, dass sich viele so überfordert fühlen wie Lina Widder. „Leider habe ich wenig Ahnung von Politik – ich wäre gerne besser informiert“, sagt beispielsweise die Studentin Katharina Warncke. Informationen über Politik bekomme sie meist online über Videos auf Youtube Videos oder Beiträgen auf Instagram, Zeitungen lese sie eher nicht. Bei den anderen Dachauer Jungwählerinnen und -wählern, mit denen man spricht, scheint das ähnlich zu sein. Die politische Situation verfolgen sie auf den Plattformen „X“ und „Bluesky“. Damit liegen sie im Durchschnitt: 45 Prozent der deutschen Jugendlichen greifen laut der Shell Jugendstudie 2024 auf Onlinekanäle zurück, um sich zu informieren.
Viele junge Menschen kommen erstmals während ihrer Schulzeit mit politischen Themen in Berührung. Anne Röpke arbeitet als Medienpädagogin beim Kreisjugendring (KJR) mit Jugendlichen in Dachauer Schulen zusammen. Sie nimmt bei den Schülern zwar ein großes Politikinteresse wahr. „Das Problem ist eher, dass sie von Erwachsenen dort nicht abgeholt werden“, sagt Röpke. Im Februar wird der KJR – wie schon bei den Europawahlen – mit dem „Demokratiemobil“ Dachauer Schulen besuchen, um dort mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Daniel Wagner, Demokratietrainer beim KJR, bedauert, dass dafür wegen der vorgezogenen Wahlen nur so kurz Zeit bleibt: „Eigentlich ist für nächstes Jahr eine umfassende Kampagne zu den Wahlen geplant gewesen.“
Katalin Karádi kennt das Demokratiemobil bereits von vergangenen Wahlen. Mit 15 Jahren darf die Schülerin zwar noch nicht wählen – das hindert sie allerdings nicht daran, sich politisch zu engagieren. Unter anderem wirkt sie im Dachauer Jugendrat mit. In der Schule fühlt sich Karádi in ihrem Interesse nicht bestärkt: „Wir haben drei Fächer – Geografie, Geschichte und Politik – in einem. Für politische Inhalte bleibt da wenig Platz“, kritisiert sie.
Die Gesellschaft rückt nach rechts, die Jugend geht mit
Magdalena Hübner hat die Schule bereits abgeschlossen, doch auch sie erinnert sich an dieses Gefühl zurück: „Ich habe mich damals als Schulsprecherin für demokratische Beteiligung eingesetzt. Das war nicht immer leicht“, sagt die 21-Jährige. Inzwischen ist Hübner im Vorsitz des KJR und arbeitet in München in der aufsuchenden Sozialarbeit mit Jugendlichen zusammen. Dabei komme sie oft mit jungen Menschen in Kontakt, die Politik nur auf der Videoplattform Tiktok erleben würden, erzählt sie: „Dort werden ihnen vorrangig Inhalte der AfD vorgespielt, das prägt die Jugend sehr stark.“ Einer Studie der Universität Potsdam zufolge ist die AfD auf Tiktok bei den Erstwählerinnen und -wählern doppelt so erfolgreich wie alle anderen Parteien zusammen. Das spiegelt sich auch in Wahlergebnissen wider: Bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg erzielten die dortigen rechtsextremen AfD-Landesverbände Spitzenergebnisse – bei keiner Altersgruppe hatte die Partei so viel Zulauf wie bei den jüngsten Wählerinnen und Wählern.
Dass sich die politische Ausrichtung junger Menschen in Deutschland geändert hat, verwundert KJR-Demokratietrainer Daniel Wagner nicht. „Da geht ein Ruck durch die gesamte Gesellschaft, von dem die Jugend natürlich nicht ausgenommen ist“, sagt er. Man müsse verstehen, dass die junge Generation in einer Welt voller politischer Krisen aufgewachsen sei: „Es ist verständlich, dass sie sich in komplexen Situationen an einfache Antworten wenden.“
„Ich fühle schon, dass sich eine gewisse Ohnmacht breitmacht“
Für die Dachauer Erstwähler, mit denen man sich unterhält, sind Themen wie Klimaschutz, Gleichberechtigung und Rechtsextremismus wahlentscheidend. Deutschlandweit sind laut Shell Jugendstudie 2024 zudem die Angst vor einem Krieg in Europa und vor Armut an erste Stelle gerückt. Kay Kollross ist 20 Jahre alt und macht derzeit ein Freiwilliges Soziales Jahr beim KJR. Vor allem die Rechte von Minderheiten sieht Kollross aktuell in Gefahr: „Als queere Person finde ich die politische Situation beängstigend.“
Die Jungwählerinnen und -wähler nehmen die Konsequenzen der Angst oft unmittelbar in ihrem Freundeskreis wahr. „Ich spüre vor allem den Missmut über die Untätigkeit der Politik“, sagt Magdalena Hübner. Einige ihrer Freunde seien daher psychisch belastet und ausgebrannt. Auch Daniel Seidl von der Knabenkapelle Dachau spürt in seiner Umgebung viel Frust und Resignation. Gewählt hat der 26-Jährige schon öfter, aber: „Es ist mit Abstand die frustrierendste Wahl.“ Keine Partei entspreche wirklich seinen Vorstellungen, viele Ansichten seien rückwärtsgewandt: „Da fehlt mir selbst der Optimismus.“
Ein wenig positiver sieht das Fabian Handfest. Der 23-Jährige ist Vorsitzender des Freiraum e. V., einem selbstverwalteten Jugendkulturzentrum in Dachau: „Ich fühle schon, dass sich eine gewisse Ohnmacht breitmacht. Aber ich nehme auch eine Aufbruchsstimmung wahr“, sagt er. Handfest ist überzeugt: Wer eine Stimme hat, sollte sie nutzen. „Es ist der einzige Weg, mit dem die Jugend gegen rechtsextremistische Gruppen vorgehen und sich wehren kann.“
Auch Lukas Stolze, Sprecher des Jugendrats Dachau, bewahrt Hoffnung: „Dynamische Bewegungen entstehen schneller als man denkt: Da kann auch bei den Jugendlichen noch etwas kommen.“ Stolze ist 21 Jahre alt, es ist seine erste Bundestagswahl. Wen er wählen wird, weiß er noch nicht. „Wichtig ist mir vor allem soziale Gerechtigkeit – die Parteien treiben derzeit einen Keil in die Gesellschaft, das kann nicht gut sein.“