Kultur

Bürgermeister von Kauswagan: „Wir haben den Krieg gewonnen, ohne eine einzige Kugel abzufeuern“ | ABC-Z

Wir leben in Zeiten, die Kopfzerbrechen bereiten. Deshalb fragen wir in dieser Serie Stimmen des öffentlichen Lebens, was sie gegenwärtig bedenkenswert finden. Heute antwortet der Kommunalpolitiker Rommel Arnado.

Rommel Arnado ist Bürgermeister von Kauswagan, einer Stadt mit rund 30.000 Einwohnern auf der philippinischen Insel Mindanao. Für sein Programm „From Arms to Farms“ zur Befriedung terroristischer Separatisten wurde er 2016 mit dem Friedenspreis des Weltrates der Gemeinden und Kommunen und im Herbst 2024 mit dem Zukunftspreis des World Future Council für vorbildhafte politische Initiativen und Gesetze ausgezeichnet. © Bernward Geier

ZEIT ONLINE: Rommel Arnado, worüber denken Sie gerade nach?

Rommel Arnado: Mich beschäftigt, wie die Friedensarbeit, die in meiner Stadt Kauswagan so erfolgreich gelungen ist, gesichert und ausgebaut werden kann. Ich wäre froh, wenn wir unser Programm From Arms to Farms zum Vorbild machen könnten, überall dort, wo es ähnliche Gewaltkonflikte gibt wie früher bei uns.

ZEIT ONLINE: Waffen zu Bauernhöfen, Schwerter zu Pflugscharen: Wie konnten Sie dieses biblische Projekt auf der Insel Mindanao voranbringen?

Arnado: Als ich vor 15 Jahren Bürgermeister in Kauswagan wurde, war die Gegend vom Bürgerkrieg zerrüttet. Jeden Tag gab es Raubüberfälle und Zusammenstöße zwischen dem Militär und den Rebellen der Moro Islamic Liberation Front. Die MILF hatte die Stadt schon zweimal eingenommen. Wir konnten über die Jahre 5.000 frühere und aktive Kämpfer der MILF entwaffnen und sie zu Biolandwirten machen.

ZEIT ONLINE: 5.000 von landesweit zeitweilig bis zu 40.000, manche sagen auch 90.000 …

Arnado: Heute arbeiten sie friedlich mit uns zusammen. Seit 13 Jahren herrscht Ruhe in unserer Region.

ZEIT ONLINE: Sie kamen damals von außen, hatten ein Vierteljahrhundert lang als Grundstücksmakler in den USA gelebt. Was hat Sie zu solcher Friedensarbeit befähigt?

Arnado: Befähigt hat mich wenig, ich kannte mich kaum mit Landwirtschaft aus, mein einziger Berührungspunkt mit Politik war mein Vater. Der war auch schon einmal Bürgermeister in Kauswagan. Aber als ich meine Herkunftsregion 2008 nach Jahren wieder besuchte, war ich emotional sofort entflammt und zugleich entsetzt von den Zuständen. Ich wollte etwas tun, habe einfach kandidiert und bin gleich gewählt geworden. Wahrscheinlich war meine Entschlossenheit glaubwürdig. Die Leute waren von den Regierenden extrem enttäuscht.

ZEIT ONLINE: Wäre es nicht Aufgabe der nationalen Regierung gewesen, die MILF-Guerilleros zu entwaffnen?

Arnado: Es gab auch damals nationale Demobilisierungsprogramme. Wer seine Waffe abgab, dem wurde eine schöne Summe angeboten. Aber abgesehen davon, dass einigen Soldaten mehr versprochen wurde, als sie tatsächlich bekamen: Ich habe immer kritisiert, dass man auf falsche Motive setzt, wenn die Leute wegen des Geldes abdanken. So erreicht man keine langfristige Sicherheit.

ZEIT ONLINE: Wie sind Sie denn vorgegangen?

Arnado: Die Rebellen sollen uns nicht ihre Waffen überreichen, sondern ihre Herzen. Wir fordern niemanden auf, nur wer ohne Einladung auftaucht, ist ernsthaft motiviert. Außerdem machen wir konkrete Angebote für die Entwicklung der Menschen und ihrer Region – während sich die Regierung für die Ursachen des Konflikts offenbar nicht interessiert hat. Man muss genau hinschauen: Warum kommt es zu den Angriffen, warum flackert die Gewalt immer wieder auf? Nach meiner Wahl zum Bürgermeister haben wir erst einmal vier Monate lang mit den Leuten gesprochen, und letztlich war die Antwort einfach: Die Gemeinschaften im Hinterland lebten in Not, sie fühlten sich übersehen und diskriminiert. Sie hatten von niemandem auch nur ein Saatkorn bekommen.

Die Rebellen sollen uns nicht ihre Waffen überreichen, sondern ihre Herzen.

Rommel Arnado

ZEIT ONLINE: Wer nicht genug zu essen hat, ist leicht rekrutierbar?

Arnado: Wenn Sie Hunger haben, denken Sie nur an eines: Wie kann ich meine Familie ernähren? Irgendwann nehmen Sie dafür auch Gewalt und Kriminalität in Kauf.

ZEIT ONLINE: Aber wenn dann nach so vielen Jahren auf einmal so ein Bürgermeister aus den USA auftaucht: Reagieren Rebellen nicht mit Abwehr?

Arnado: Im Gegenteil, sie sind auf uns zugekommen. Drei Kommandeure beklagten sich: „Die Regierung hat uns landwirtschaftliche Geräte und Speicher für die Ernte versprochen, aber geschehen ist nichts. Vielleicht können Sie uns ja helfen.“ Ich habe geantwortet: „Garantieren kann ich nichts, aber ich schaue, was ich tun kann.“ Geld und Rat fand ich dann bei der Assisi Development Foundation, einer katholischen Entwicklungsorganisation, die mit Universitäten zusammenarbeitet. So ging es los.

ZEIT ONLINE: Und wie kamen Sie ganz praktisch vom Schießen zum Sprießen?

Arnado: Wir haben MILF-Kämpfer, die zur Wiedereingliederung bereit waren, in Methoden des biologischen Landbaus ausbilden lassen. Die Leute, die ihren Kurs besucht hatten, bekamen eine Anstellung, damit sie weitere Kollegen beraten konnten. Buchhaltungs- und Wirtschaftskurse haben wir auch angeboten, Landmaschinen und Geräte zum Ausleihen besorgt, die erste Ernte subventioniert und den Bauern eine Abnahmegarantie zum Festpreis versprochen. Schlaglöcher in den vernachlässigten Straßen wurden ausgebessert, damit die Produkte auch zu den Märkten kommen.

ZEIT ONLINE: Warum muss es eigentlich Bio sein?  

Arnado: Dafür gibt es viele Gründe, aber einer ist, dass Dünger und Pestizide zu teuer waren und agrarökologische Methoden in unseren Breiten schneller bessere Ernten bringen. Neben dem landwirtschaftlichen Projekt haben wir Friedensgespräche und kulturelle Dialoge auf Gemeindeebene organisiert, Schulen eingerichtet, Stipendien besorgt, ein kleines Anti-Drogen-Programm aufgelegt.

ZEIT ONLINE: Wie schwierig war das alles? Junge, fanatische Männerbanden sind vermutlich irgendwann daran gewöhnt, sich zu nehmen, was sie brauchen. Wie bringt man sie dazu, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen?

Arnado: Sie meinen die troublemakers? Wie gesagt: Man muss es vor allem ernst meinen, muss überzeugen. Man verspricht nichts, das man nicht halten kann, und wenn man etwas verspricht, dann hält man es. Mit ihrem Bedürfnis nach Vertrauen in Politiker sind diese Männer doch nicht anders als wir alle. Und dann sind sie ja in ihren Projekten auch gut beschäftigt gewesen. Kaum waren sie von ihren ersten Trainings zurück, klangen sie schon wie Experten. Das macht stolz.

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