Tee ist der neue Wein – Stil | ABC-Z

Dass ausgerechnet Gold Bedarf an Tee hat, ist natürlich kein Zufall. Schon in frühen Jahren seiner Karriere suchte er – angestrengt vom allgegenwärtigen Druck in der Gastronomie „mitzutrinken“ – nach einer gleichwertigen Alternative zu Alkohol, oder viel mehr: zu Champagner, der in der Sterneküche als Aperitif und Begleiter eine wichtige Rolle spielt. Ein japanischer Gast schenkte Gold einst eine Kombucha-Kultur, damit fing alles an. Und daraus entwickelte der Koch seine eigene Manufaktur „Combuchont“. Kalt in Flaschen abgefüllter Tee mit dem Anspruch, ein ebenbürtiger Ersatz für Schaumwein zu sein. „Ich habe mich immer gefragt, warum wir alles importieren müssen“, sagt er. „Wenn wir Wein anbauen können, warum nicht auch Tee?“
Klemens Gold ist hier im Pechgraben aufgewachsen und will das ehemalige Wirtshaus seiner Familie gemeinsam mit seiner Frau in die Zukunft führen. Der Michelin-Stern für sein naturfokussiertes Restaurant „Rau nature based cuisine“ gibt ihm recht, auf dem richtigen Weg zu sein. Schon als Kind sei die Natur in den umliegenden Wäldern sein Spielzimmer gewesen, erzählt er. Entsprechend früh hat die Faszination für Biologie und Botanik auch seine Küche geprägt. Als viele andere Köche auf neue Trends setzten, vertiefte er sich in die Chemie und Mikrobiologie von Lebensmitteln, experimentierte mit Fermentation, Reifung und Gärung.

In seiner modernen Edelstahlküche – dem „Labor“, wie er sie nennt –, verarbeitet der Spitzenkoch heute Blätter, Nadeln, Kräuter und Rinden. Klemens Gold interessiert die Zwischenform aus Küche und Garten mit ihren unendlichen geschmacklichen Möglichkeiten. Diese kreativen Mischungen aus hier wachsenden Feigenblättern, Stevia oder Kräutern und traditionellen Tees wie Gyokuro bringen das Lokalkolorit in seine Getränke-Kreationen, die er in Flaschen abfüllt.
„Für Tee ist der Pechgraben mit sehr viel Lehm als Wasserspeicher ein Geschenk“, sagt Gold zwischen seinen gerade einmal knöchelhohen Pflänzchen. Noch braucht seine Plantage Entwicklungsarbeit. Und ein bisschen missionarischen Eifer. Aber wenn die Pflanzen einmal ihren Weg ins europäische Klima und in die Köpfe der Landwirte gefunden haben, so hofft Gold, dann könnte es ein Ende haben mit dem Stiefkind-Dasein von Tee in der deutschsprachigen Gastronomie. Tee ist in unserer Kultur vielfach noch ein in Beutel gezwängter Abklatsch dessen, was diese Pflanze an Vielfalt und Aromatik eigentlich leisten kann.
Alkoholfrei ist ein Trend, den die Gastronomie erst noch verstehen muss
Die Münchner Spitzensommelière Julia Kolbeck hält das Potenzial von Tee für eine große Chance, für einen ungehobenen Schatz, den die Gastronomie in Europa aber erst noch bergen muss. Kolbeck führt mit zwei Geschäftspartnern ihr eigenes Lokal „Mokum“ im Münchner Westend. Jahrelang hat sie in führenden Sternerestaurants wie „Tohru“ oder „Jan“ neben den Weinen auch die alkoholfreie Begleitung verantwortet. Jetzt, da die Weinbegleitung im Gourmetrestaurant längst keine Pflicht mehr ist und viele Gäste bewusst auf Alkohol verzichten, sieht sie eine Veränderung. „Früher hieß es sofort: ‚Trink doch wenigstens ein Glas!‘“, sagt sie. Inzwischen sei es normal, dass am Tisch zwei Leute nichts trinken. Und das Publikum ist offen: „Viele Gäste sind heute neugierig. Wenn man ihnen etwas anbietet, das Handwerk zeigt, nehmen sie es dankbar an.“

Für sie ist das keine vorübergehende Bewegung, sondern Teil eines kulturellen Wandels. „Alkoholfrei ist kein Trend. Es ist eine neue Normalität – aber die Gastronomie muss das erst verstehen.“ Tee ist ein Produkt, das ähnlich komplex ist wie Wein: Er kennt Terroir, Sorten, Jahrgänge, Fermentation. Er kann bitter oder fruchtig, wach oder beruhigend sein. Nur hat sich hierzulande bisher kaum jemand die Mühe gemacht, ihn als gleichwertigen Begleiter zu begreifen – auch abseits von gekühlten Kombuchas.
„Am Ende ist Tee sehr gleichwertig und hat oft sogar mehr Aromen als Wein“, sagt Kolbeck. „Wenn man mit Aufgüssen arbeitet, kann man super viel variieren.“ In seiner Struktur mit Gerbstoff, Bitterkeit und Säure sei er mit dem Wein gewissermaßen ohnehin verwandt. „Es ist nicht das Ziel, Wein zu kopieren“, sagt sie. „Aber Tee kann das, was Wein kann – nur anders.“
In einem improvisierten Lager steht Klemens Gold umgeben von Rüttelbrettern, wie man sie aus der klassischen Schaumwein-Flaschengärung kennt. Sein Combuchont soll in Zukunft in der Gastronomie eine Lücke füllen – als eine der unendlichen Möglichkeiten, Tee zu trinken. „Es geht nicht um Ersatz“, sagt er, „sondern um ein neues Kapitel: Was passiert, wenn wir Genuss vom Alkohol befreien?“ Wie Wein kann auch Tee reifen. „Drei Jahre, fünf Jahre. Wenn du’s richtig machst, wird er runder, tiefer, feiner.“
Beim Kreieren seiner Tees geht Gold ähnlich vor wie ein Winzer bei einer Cuvée. Er kombiniert verschiedene Sorten. „Ich mache meine Assemblage im Kopf. Ich weiß, was der eine Tee kann, was der andere trägt. Das ist wie beim Wein – du komponierst Aromen, aber ohne Alkohol.“ Seine Arbeit sei Brauerei und Winzerei zugleich. Dass er die Mikrobiologie und Chemie als Arbeitsbasis verinnerlicht hat, hilft ihm enorm – in der Küche wie in seiner Teemanufaktur. „Ich will keine Limonade, sondern ein Getränk, das Struktur hat. Das Gerbstoff, Süße, Säure und Länge kann.“
Die Teepflanze Camellia sinensis ist die Grundlage für die Vielzahl der Tees in allen Fermentationsstufen und Qualitäten – vom weißen bis zum schwarzen Tee. Für die Nuancen ist allein der Verarbeitungsprozess verantwortlich, nicht – wie oft angenommen – eine andere Tee-„Art“. Kräuteraufgüsse tragen den Namen streng genommen zu Unrecht.
Wenn Gold einmal eine Plantage mit Teepflanzen hat, die erste Ernte ist nach frühestens fünf Jahren möglich, beginnt mit dem Grad der Oxidation das nächste Lernen. Weißer Tee wird kaum verarbeitet und nur schonend getrocknet, grüner kurz erhitzt, um die Fermentation zu stoppen, schwarzer vollständig oxidiert. Dazwischen liegen unzählige Schattierungen wie gelber Tee oder Oolong, die Geschmack, Farbe und Duft bestimmen.

Der Kombucha, die Basis für Golds „Combuchont“, entwickelt den Tee mikrobiologisch weiter: Eine symbiotische Kultur aus Hefen und Bakterien, die den fertigen Aufguss fermentiert und ihm Säure, Frische und feine Kohlensäure verleiht.
Mit genau dieser unendlichen Varianz spielt auch Spitzenköchin Adeline Grattard. Sie lebt in ihrem Pariser Restaurant „Yam’Tcha“ vor, was gehobene Teekultur als Menübegleitung bedeuten kann. Nachdem sie mit ihrem Mann Chi Wah Chan die Teekultur seiner Heimat China erlebt hatte, kam sie verändert zurück und dachte um. „Tee-betrunken“ nennt sie den Zustand, den sie in Frankreich reproduzieren wollte – mit Erfolg, wie zum Beispiel in der Netflix-Dokumentation „Chef’s Table France“ zu sehen ist. Auch in London ist die Teekultur etablierter und schon näher an die Gastronomie herangerückt, was auch eine Folge der Kolonialgeschichte ist. Der bekannte „Clove Club“ zum Beispiel bietet Tee-Pairings an. Und im berühmten Sternerestaurant „Hiša Franco“ im gastronomisch progressiven Slowenien sind Tee-Getränke längst kreativ perfektioniert.
Julia Kolbeck hat allerdings festgestellt, dass auch viele ihrer Gäste in München für das Thema durchaus aufgeschlossen wären. „Bei uns fehlt das Fundament wie in Asien, dass es völlig normal ist, zum Essen Tee zu trinken.“ Aber man müsse es den Leuten nur zeigen. „Wenn man es einmal erlebt hat, ist das selbstverständlich.“
Während die Alkoholfrei-Entwicklung in der Gastronomie dem Tee eine Chance bietet, verlangen Klemens Golds Pflanzen dem Koch noch Geduld ab. Er hat nie in Asien Teeplantagen besucht, keine Schulen durchlaufen. Er wollte bewusst hier vor der Haustür beginnen und lernen, ohne Vorbild. „Ich muss verstehen, wie sich Tee unter unseren Bedingungen verhält“, sagt er. „Was in Japan funktioniert, wird hier nicht eins zu eins gehen – das Klima, der Boden, die Ernte sind völlig anders.“ Er möchte Tee in Mitteleuropa nicht imitieren, sondern neu denken – als handwerkliche Kultur, die aus der Region heraus wächst.
„Ich muss jetzt die Pflanzen verstehen, damit in zehn Jahren andere damit arbeiten können“, sagt er. Denn er sieht darin keine Einzelinitiative, sondern eine Perspektive. Aktuell züchtet er viermal so viele Setzlinge, wie er selbst kultivieren wird. Mit sieben weiteren Bauern möchte er später ein ganzes Gebiet zum Tee-Land entwickeln. „Was hier entsteht, könnte für unsere Region sein, was der Weinbau einst für andere Landschaften war: eine neue landwirtschaftliche Identität.“
Noch ist das nur Zukunftsmusik, die Symbiose zwischen Tee und Küche für viele noch kaum vorstellbar. Aber Tee müsse nicht exklusiv oder kompliziert sein, sagt Julia Kolbeck, nur besser behandelt werden. Auch die Temperatur spiele eine große Rolle und trägt zu den Variationsmöglichkeiten bei. „Ich mag Tee lauwarm bis warm, nicht eiskalt. Das ist besser verträglich und klärt – gerade bei fettigen Gerichten –, spült das Fett weg und legt sich nicht auf die Zunge.“
Es mag noch dauern, bis in München zum Schweinebraten Tee statt Bier serviert wird. Doch Kolbeck hätte da schon eine Idee. „Zum Schweinebraten würde ich kräftigen Grüntee servieren und ihn länger ziehen lassen für mehr Gerbstoffe – vielleicht mit einer Scheibe Ingwer.“
Welcher Tee passt wozu?
Ein paar Empfehlungen von Sommelière Julia Kolbeck
Weißer Tee: Fein und zurückhaltend – ideal als Aperitif oder Erfrischung. Passt zu hellem Geflügel oder Fisch und allem, was sanft gegart statt gegrillt ist. Auch zu Desserts mit Trocken- Obst, Mandel oder heller Schokolade.
Grüner Tee: Bringt Frische und vegetabile Noten. Nach kurzer Ziehzeit passt er zu vegetarischer Küche, Salaten, Sushi oder rohem Fisch – überall dort, wo Leichtigkeit gefragt ist. Länger gezogen entwickelt er mehr Gerbstoffe und Tiefe, wie im kräftigen Grüntee, der sogar zum Schweinebraten passen kann.
Oolong: Perfekt bei viel Umami – etwa bei Sojasauce oder Pilzen. Liegt zwischen grünem und schwarzem Tee, bringt Struktur, ohne zu dominieren.
Schwarzer Tee: Vollständig fermentiert, mit Körper und Tiefe. Begleitet kräftige Speisen oder Schmorgerichte, harmoniert mit Röstaromen und Gewürzen. Sorten wie Assam oder Darjeeling bringen Wärme und Gerbstoff, ohne aufdringlich zu sein.
Lapsang Souchong / Pu-Erh: Kraftvoll und rauchig. Passt warm oder kalt aufgegossen zu Gerichten mit Textur und Röstaromen – zu dunklem Fleisch, Wild oder herzhaftem Gemüse.
Kräuterauszüge: Greifen die Aromen des Gerichts auf oder ergänzen sie. Minztee passt zu orientalischer oder sehr aromenstarker Küche und kühlt bei Schärfe. Thymian und Zitronenthymian passen zu würzigen Gerichten – etwa zu geschmortem Lamm mit Kreuzkümmel.
Kombucha: Fermentierter, kalter Tee mit natürlicher Säure, Fermentationsnote und zum Teil leichter Kohlensäure – in unzähligen Variationsmöglichkeiten. Funktioniert dort, wo Frische und Spannung gefragt sind – um zu begleiten oder Schwere zu brechen. asa





















