Bundestagsabgeordnete aus dem Landkreis Freising: Richtig überrascht ist niemand – Freising | ABC-Z
Es war denkwürdiger Tag, der 6. November 2024, der sicher in die Geschichte eingehen wird. Die Wählerinnen und Wähler in den Vereinigten Staaten haben in Donald Trump einen Mann zum Präsidenten gewählt, dessen Tauglichkeit für dieses Amt durchaus angezweifelt werden darf. Und damit nicht genug, entlässt Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Finanzminister Christian Lindner. Scholz will jetzt im Januar die Vertrauensfrage stellen, im März nächsten Jahres wird es zu Neuwahlen kommen. Die SZ Freising hat bei den Bundestagsabgeordneten aus dem Landkreis Freising sowie FDP-Politikern nachgefragt, wie sie die Ereignisse vom Mittwochabend einordnen und was dies für Konsequenzen für den Wahlkampf hat.
Für Erich Irlstorfer (CSU) lag der Bruch der Koalition in den vergangenen Monaten in der Luft. Das Papier, das Lindner in der vergangenen Woche veröffentlicht hat, dürfte seiner Meinung nach erheblich dazu beigetragen haben. „Der Kanzler hat das als Provokation aufgefasst“, mutmaßt Irlstorfer. Es sei wohl zwischen den beiden auf der persönlichen Ebene viel kaputtgegangen, glaubt der CSU-Bundestagsabgeordnete. Letztendlich habe dies zur Trennung geführt.
Den Zeitpunkt, die Vertrauensfrage erst im Januar zu stellen, hält Irlstorfer für den verkehrten Weg. Scholz sollte dies möglichst früh tun, sagt er. Bis zum Jahresende gebe es für die Abgeordneten noch einiges zu tun. In zweiter und dritter Lesung gelte es Gesetze auf den Weg zu bringen. Ob dies gelingt, hält Irlstorfer jedoch für wenig realistisch. Bis zu den Neuwahlen sieht er ein gewisses politisches Vakuum. Er kann sich nicht vorstellen, dass CDU/CSU für die Vorschläge aus der nunmehr geplatzten Koalition stimmen.
Was den Wahlkampf anbelangt, macht sich Irlstorfer keine Sorgen. Er selbst ist nicht mehr als Bundestagsabgeordneter aufgestellt. Die CSU selbst, sagt er, sei auf diesen Fall vorbereitet gewesen. „Wir sind startklar.“
FDP-Kreisvorsitzender Timo Ecker bedauert, dass Kanzler Scholz nicht auf die Angebote von Lindner eingegangen ist. „Die Wirtschaft ist die größte Baustelle.“ Die FDP sieht den Wohlstand in Deutschland gefährdet. „Es braucht eine Wende“, sagt Ecker. Der Forderung der SPD und Grünen, die Schuldenbremse auszusetzen, komme für die Liberalen nicht infrage. Für Ecker ist der Bruch der Koalition bedauerlich, aber doch notwendig. Dies sei nicht mehr die Politik gewesen, welche die FDP habe mittragen können.
FDP-Kreisrat Tobias Weiskopf war vom Auftritt des Bundeskanzlers überrascht und schockiert, wie er sagt. Er habe „niederträchtig“ auf Lindner eingedroschen. „Das ist eines Kanzlers nicht würdig.“ Weiskopf war schon beim Besiegeln des Koalitionsvertrages mit zwei linken Parteien klar, dass viele Kompromisse eingegangen werden müssten, zum Beispiel beim Heizungsgesetz. Zuletzt habe sich die Lage der Wirtschaft zunehmend verschärft. Die FDP sei vertrauensvoll in den Koalitionsausschuss gegangen, doch Scholz habe Verbesserungsvorschläge nicht akzeptiert.
Der Bundeskanzler habe immer wieder darauf bestanden, die Schuldenbremse auszusetzen. Für Weiskopf kommt das einem Verfassungsbruch gleich. Die Schuldenbremse dürfe nur im Notfall ausgesetzt werden. Die Wahl von Trump sei aber keine solche Ausnahme. Und ausgerechnet Scholz, der sich weigere, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, bezichtige die FDP, nicht genügend zu deren Unterstützung im Abwehrkampf gegen Russland zu tun. Nach dem Empfinden Weiskopfs hatte Scholz eine Agenda. „Das Statement war vorbereitet. Er wollte Lindner entlassen.“ Der FDP-Vorsitzende habe einen eleganten Regierungswechsel im Sinn gehabt. Dass Scholz die Vertrauensfrage erst im Januar stellen will, hält Weiskopf für verkehrt. Es sei unverantwortlich, die Neuwahl so lange hinauszuzögern. Die FDP im Wahlkreis will in den kommenden Wochen noch einen eigenen Kandidaten nominieren. Die Liberalen seien auf den Bruch der Koalition vorbereitet gewesen, sagt Weiskopf.
Leon Eckert, Bundestagsabgeordneter der Grünen im Wahlkreis Freising, Pfaffenhofen, Schrobenhausen, hat am 6. November in seinem Berliner Büro recht unmittelbar von der Entlassung Lindners erfahren. „Im Anschluss ging es dann in die Fraktionssitzung.“ Wie war dort die Stimmung? Von Erleichterung könne jedenfalls keine Rede sein, sagt der 29-Jährige: Wer könne jetzt erleichtert sein, angesichts der „extremen Verwerfungen“ in den USA und der Tatsache, dass Deutschland als volkswirtschaftlich drittstärkstes Land der Welt nun ohne Haushalt für 2025 dastehe.
Durch die „Verantwortungsflucht der FDP“ sei es trotz aller Bemühungen nicht gelungen, „den Haushalt 2025 hinzubekommen“. Ein vorläufiger Haushalt werde „für einige Härten sorgen“, davon ist der Grünen-Abgeordnete überzeugt. So stünden zum Beispiel die Integrationskurse auf der Kippe, dies müsse auf jeden Fall verhindert werden. Er hoffe, dass sich die von SPD-Kanzler Olaf Scholz gezeigte Führung nicht in dessen Rede vom 6. November erschöpfe.
Den Terminplan bringt die neue Entwicklung für Eckert nicht wirklich durcheinander, wie er sagt. Seine Aufstellung für eine weitere Bundestagskandidatur sei bereits in allen drei Landkreisen „mit breiter Akzeptanz“ vorgenommen worden, „der Support ist da“, die Strukturen stehen, sagt Eckert. „Jetzt drehen wir halt den Wahlkampf früher auf einhundert Prozent.“
Für den Freisinger SPD-Bundestagsabgeordneten Andreas Mehltretter war der Bruch der Ampel-Koalition „jetzt nicht mehr die ganz große Überraschung, auch wenn er vermeidbar gewesen wäre, wenn man gewollt hätte“. Es habe sich in den vergangenen Tage schon abgezeichnet, „dass es um die große Frage gehen wird, ob die FDP bereit ist, noch mal den Kompromiss zu suchen“, gerade jetzt, nach der Wahl Trumps zum US-Präsidenten.
„Mit diesem Papier“, das Christian Lindner zur Wirtschaftspolitik vorgelegt habe, sei aber absehbar gewesen, „dass das zwei Dinge sind, die nicht zusammengehen – ich kann nicht als Finanzminister sagen, ich will Steuern senken, aber überhaupt nichts an der Schuldenbremse ändern“. Insofern, so Mehltretters Einschätzung, sei dahinter eine Strategie zu erkennen. Die Strategie Lindners, die Koalition platzen zu lassen.
Für ihn selbst werde sich durch die vorgezogene Neuwahl des Bundestags nicht viel ändern. Als Direktkandidat der SPD für den Wahlkreis stand er bereits fest „und die Landeslistenaufstellung ist am 7. Dezember, es gibt keinen Grund, an diesem Termin etwas zu ändern“. Der Wahlkampf beginne für ihn nach der geplanten Vertrauensfrage des Kanzlers im Januar. „Bis dahin habe ich als Bundestagsabgeordneter in Berlin ja noch was zu tun.“ Bei der in diesem Jahr noch anstehenden Verabschiedung wichtiger Gesetze sieht der 32-Jährige auch die Union in der Pflicht. „Die hatte das Ziel, die Ampel auszuknipsen, das hat Christian Lindner für sie erledigt – jetzt ist es für die Union die Chance, Verantwortung zu übernehmen.“