Bundespräsident erlaubt Kickl als Kanzler: Dafür steht der Österreicher | ABC-Z
Wien – Um 13.17 Uhr öffnet sich am Montag die berühmte rote Tapetentür in der Wiener Hofburg, Bundespräsident Alexander Van der Bellen tritt hinaus. Mehr als eine Stunde lang war FPÖ-Chef Herbert Kickl bei ihm zum Gespräch, Van der Bellen wollte ausloten, ob die extrem Rechten die Mehrheit für eine stabile Regierung zusammenbekommen können.
Sie können, meint der Präsident, und er müsse “die Mehrheit achten, die sich findet”. Denn die konservative ÖVP hat sich am Vortag bereit gezeigt für eine Koalition als Juniorpartner mit der FPÖ unter einem Kanzler Kickl.
ÖVP hatte sich lange gegen FPÖ-Zusammenarbeit gewehrt
Dieser erhält also vom Präsidenten einen Regierungsauftrag. Kickl traue sich “tragfähige Lösungen zu”, so Van der Bellen, “und er will diese Verantwortung”. Nun werden Freiheitliche und Konservative verhandeln. Österreich ist auf dem Weg zu einer Rechts-Regierung.
Binnen weniger Stunden hatte die ÖVP am Sonntag eine 180-Grad-Wende hingelegt. Ihr abgetretener Kanzler Karl Nehammer hatte eine Zusammenarbeit mit der Kickl-FPÖ immer ausgeschlossen. Viele Parteigranden taten das ebenso. Der jetzige Interims-Parteichef und potentielle Verhandler Christian Stocker etwa hat Kickl als “nicht regierungsfähig” bezeichnet, als “Gefahr für die Demokratie und die Sicherheit”.
Weitere Beispiele: Noch-Ministerin und ÖVP-Hoffnung Caroline Edtstadler meinte, sie möchte mit Kickl “nicht an einem Tisch sitzen”. Und Claudia Pakolm von der Volkspartei-Jugend: “Kickl ist ein absolutes No-Go.” Die Kärntner Politik-Professorin Kathrin Stainer-Hämmerle bezeichnet das mit dem schönen Adjektiv “situationselastisch”.
Kickl ist gescheiterter Student
Wer ist dieser 56-jährige Herbert Kickl, und welche Gefahr geht von ihm aus? “Er ist ein Einzelgänger und kontaktscheu”, beschreibt der Journalist Gernot Bauer vom österreichischen Nachrichtenmagazin “Profil” Kickls Persönlichkeit.
Bauer hat sich tief in die Person reingearbeitet und mit seinem Kollegen Robert Treichler eine Biografie veröffentlicht. Kickl stammt aus einem nicht FPÖ-affinen Elternhaus in Kärnten, einer Arbeiterfamilie.
In seiner Jugend zeigte er einen Hang zum Rebellentum. “Und dann kam Jörg Haider”, sagt Bauer. Die FPÖ-Ikone übernahm 1986 die Partei, da war Kickl 17 Jahre alt. Er wurde zu einem glühenden Fan. Als Student in Wien ist Kickl gescheitert, er erhielt aber einen Job bei der FPÖ-Parteiakademie.
Rasch avancierte er zu Haiders Impulsgeber und Redenschreiber. Nach dessen Tod blieb er weiterhin in der zweiten Reihe. In den vergangenen Jahren – seit Juni 2021 führt er die Partei an – radikalisierte sich Kickl mehr und mehr.
Kickl wettert gegen das “Establishment”
Rückblick. 7. September 2024, Messehalle Graz, der FPÖ-Chef startet in den Wahlkampf. Herbert-Herbert-Rufe. Frontal geht Kickl erst einmal die anderen Parteien an, die er allesamt als “Einheitspartei” bezeichnet.
Man habe eine “anti-demokratische Brandmauer gegen die eigene Bevölkerung” hochgezogen, ruft er, “wie damals in der DDR”. Kickl wettert gegen das “Establishment” und das “System”.
Er nennt sich den künftigen “Volkskanzler” – wohl wissend, dass dies ein von den Nazis verwendeter Begriff ist. Und er sieht nahezu alle Schuld bei den Ausländern, den “Fremden”. Nach Österreich seien keine Fachkräfte eingewandert, sondern “Messerexperten”.
Einheimische stünden “in der Gefahr, die Minderheit zu sein”, die Polizei müsse sich um “Straßenschlachten von irgendwelchen Ausländerbanden” kümmern. Er sagt: “Natürlich brauchen wir Remigration.” Kurios ist, wenn er dann noch meint: “Nichts von dem, was ich sage, ist rechtsextrem, sondern es ist ganz normal.”
Der künftige Kanzler hat Kontakt zu Rechtsradikalen
Biograf Bauer stellt weiter fest: “Man kann Kickl ohne die Corona-Krise nicht verstehen.” Mit seiner drastischen Ablehnung der Schutzmaßnahmen, seiner verschwörungsgläubigen Haltung und seinem Einprügeln auf angebliche Corona-Verbrecher habe er “sein Talent als Volkstribun” entdeckt. Privat weiß man von ihm nur, dass er verheiratet ist, einen Sohn hat und in Purkersdorf bei Wien wohnt.
Kickl weiß sehr genau, dass er rechtsradikales Gedankengut verbreitet. Es gibt viele Kontakte zur Identitären Bewegung, und er spricht vom “Bevölkerungsaustausch”, Interviews gewährt er am liebsten dem rechtsradikal-verschwörerischen Sender “Auf 1”.
Doch dürfte er nicht all seine radikale Programmatik als Bundeskanzler auch durchsetzen. Denn im Gegensatz zu Autokraten wie Viktor Orbán in Ungarn besitzt die FPÖ keine absolute Mehrheit.
Gernot Bauer meint, Kickls Ziel sei eine “illiberale Demokratie” mit Maßnahmen gegen Minderheiten, dem Streichen von Kulturgeldern, Schwächung der NGOs sowie Angriffen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ORF.
Wirtschaftlich haben FPÖ und ÖVP große Schnittmengen bei ihrer unternehmensfreundlichen Politik. Außenpolitisch hingegen drohen viele Probleme, denn die FPÖ fährt einen Anti-EU-Kurs und ist Russland-freundlich bis -hörig. Der Experte Bauer sieht das Land aber dennoch nicht am Abgrund: “Österreich ist stabil und hat stabile Gerichte.” Für die Demokratie bestünde “keine unmittelbare Gefahr”.