Bundesländer schmieden neues Medienkonzentrationsrecht | FAZ | ABC-Z

Im Jahr 2009 riefen in Kalifornien Jan Koum und Brian Acton Whatsapp ins Leben. Die App entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit weltweit zum neuen Kommunikationsstandard. In Deutschland ist Whatsapp nach Zahlen von 2023 mit circa 58 Millionen Nutzern (über 80 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung von 14 Jahren an) nicht nur der beliebteste Messenger, sondern die gefragteste mobile App überhaupt. Gut zehn Jahre früher waren Larry Page und Sergey Brin ebenfalls in Kalifornien auf die Idee gekommen, eine Suchmaschine für Internetinhalte zu programmieren: Google. Mehr als 90 Prozent aller Suchanfragen in Deutschland, auch zu politischen und zeitkritischen Themen, erfolgen über die algorithmengesteuerte Plattform.
Diese Entwicklung hatten die Bundesländer nicht vorausgesehen, als sie die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) 1997 gründeten. Die KEK hat bis heute den Auftrag, die Einhaltung der Bestimmungen zur Sicherung der Meinungsvielfalt im bundesweiten privaten Fernsehen zu prüfen. Im aktuellen Medienstaatsvertrag heißt es: „Erreichen die einem Unternehmen zurechenbaren Programme im Durchschnitt eines Jahres einen Zuschaueranteil von 30 vom Hundert, so wird vermutet, dass vorherrschende Meinungsmacht gegeben ist. Gleiches gilt bei Erreichen eines Zuschaueranteils von 25 vom Hundert, sofern das Unternehmen auf einem medienrelevanten verwandten Markt eine marktbeherrschende Stellung hat.“ So wurde von der KEK, als auch vom Bundeskartellamt, 2006 die Fusion von Axel Springer mit ProSiebenSat.1 untersagt.
Doch die Fernsehnutzung ist innerhalb von 15 Jahren zwischen 2009, dem Gründungsjahr von Whatsapp, und 2024 von 76,4 Prozent der Bevölkerung auf 62,2 Prozent zurückgegangen. Damit ist auch die Relevanz der TV-Angebote für die Meinungsbildung gesunken. Dem Medienvielfaltsmonitor der Bayrischen Landeszentrale für Medien (BLM) zufolge hat das Internet an der Meinungsbildung heute einen Anteil von 36 Prozent, das Fernsehen nur noch von 29 Prozent. Die Zuschaueranteile (Zuschauer ab drei Jahren) betrugen 2024 nach Angaben der AGF Videoforschung für die RTL-Gruppe 21,5 Prozent, für ProSiebenSat.1 14,2 Prozent.
Deutlicher Wandel in der Mediennutzung
Eine Entwicklung, die auch die verantwortliche Kommission der Landesmedienanstalten mit Sorge verfolgt: „Die KEK hat gerade ihren achten Konzentrationsbericht mit dem Titel ‚Social Media, KI & Co. – Neue Gefährdungslagen für die Meinungsvielfalt‘ veröffentlicht. Darin wird ein deutlicher Wandel in der Mediennutzung belegt, weg von der Nutzung klassischer Medienangebote hin zur Nutzung von internetbasierten Medienangeboten. Inzwischen stellt das Internet den wichtigsten Zugang zu Nachrichten dar und hat zudem das größte Meinungsbildungsgewicht. Die Informationsvermittlung verlagert sich und wird zunehmend von den großen global agierenden US-Plattformen dominiert. In diesem Zusammenhang ergäben sich neue Vielfaltsgefährdungen, sagte dazu Georgios Gounalakis, Vorsitzender der KEK, der F.A.Z.
Seit Jahren fordert die KEK deshalb eine Änderung der staatsvertraglichen Regelung und damit ihrer Befugnisse. Bereits 2015 heißt es im fünften Konzentrationsbericht, dass Regelungen zur Sicherung der Meinungsvielfalt technologieneutral und zukunftsfähig sein müssten. Das gegenwärtige Medienkonzentrationsrecht berücksichtige die Veränderungen in der Mediennutzung nicht angemessen. „Medienvielfalt gründet auf Angebots- und Anbietervielfalt. In beiden Bereichen sind wir in Deutschland zwar weiterhin gut aufgestellt, wie der achte Konzentrationsbericht der KEK belegt“, sagt der Rechtswissenschaftler Gounalakis. „Die vermeintliche Angebotsvielfalt im Netz ist genauer besehen aber keine wirkliche Vielfalt. Die Medienwirklichkeit zeigt, dass sich die tatsächliche überwiegende Nutzung auf einige wenige große Anbieter – Google, Youtube, Instagram, Tiktok, X und Co. – konzentriert, die eine große Reichweite und auch eine lange Verweildauer generieren.“ Hinzu kämen neue Herausforderungen, etwa im Zusammenhang mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz.
Wiederholt hat die Rundfunkkommission der Länder in den vergangenen Jahren einen Paradigmenwechsel angekündigt, ohne dass Taten folgten. Das soll sich mit dem Digitale-Medien-Staatsvertrag ändern.
Gefahren für die freie Meinungsbildung
Zu den Bundesländern, die für eine radikale Neuausrichtung der Medienvielfaltsicherung plädieren, gehört Schleswig-Holstein, das die Arbeitsgruppe zur Novellierung der Medienkonzentrationskontrolle leitet. Eine solche Reform sei längst überfällig und zwingend notwendig, sagte Dirk Schrödter, Chef der Staatskanzlei in Kiel, der F.A.Z. Auch das Medienkonzentrationsrecht müsse endlich dem veränderten Mediennutzungsverhalten gerecht werden und den Gefahren, die von großen Plattformen für die freie Meinungsbildung ausgehen, etwas entgegensetzen.
Die zurzeit geltenden Regeln seien fernsehzentriert und umfassten digitale Plattformen wie Streamingdienste, soziale Medien und Onlinenachrichtenseiten nicht. „Eine Reform, die alle Sektoren in den Blick nähme, ist für den Erhalt der Meinungsvielfalt und zur Vorbeugung von Wettbewerbsverzerrungen deshalb notwendig, um die Monopolbildung und Marktkonzentration von großen Medienkonzernen zu verhindern oder mindestens zu erschweren. Der Schutz der Meinungsvielfalt in einer demokratischen Grundordnung steht dabei an höchster Stelle“, sagt Schrödter. In diesem Zusammenhang spricht sich der Staatskanzleichef auch für die Einführung einer Digitalabgabe oder -steuer aus. Das dabei erzielte Aufkommen sollte eingesetzt werden, um die Medienvielfalt zu sichern.
Ein anachronistisch fernsehzentrierter Ansatz
Der Gesetzgeber arbeite gegenwärtig an einem sogenannten „Sektorenmodell“, das den anachronistisch fernsehzentrierten Ansatz der Vielfaltssicherung überwinden könne, sagt der KEK-Chef Gounalakis. Bei dem Sektorenmodell sollen anhand verschiedener Parameter einzelne für die Meinungsbildung relevante Bereiche abgegrenzt und auf das Vorliegen von „Störungen“ hin untersucht werden können. Eine Störung liege etwa vor, wenn ein medienrelevanter Anbieter durch sein Verhalten oder seine Stellung auf einem für die Meinungsbildung relevanten Sektor unbilligen Einfluss mit bundesweiter Relevanz auf die individuelle und öffentliche Meinungsbildung nimmt.
„Die Stärke dieses Modells liegt in seiner Flexibilität im Hinblick auf die Bestimmung des Untersuchungsgegenstandes: So können Vielfaltsverengungen etwa mit Blick auf das Informationsverhalten in bestimmten Alterskohorten – zum Beispiel der 14- bis 29-Jährigen, die im Netz besonders aktiv sind – oder losgelöst von Mediengattungen in Bereichen wie etwa der digitalen Werbung als Finanzierungsgrundlage für Medienangebote untersucht werden“, sagt der KEK-Vorsitzende. Die Verzahnung des Europäischen Medienfreiheitsgesetzes (EMFA), das von Deutschland umgesetzt werden muss, mit dem Sektorenmodell wäre nach Ansicht von Gounalakis ein wichtiger Schritt für eine zeitgemäße und effektive Vielfaltssicherung.
Im Rahmen des Digitale-Medien-Staatsvertrages planen die Länder noch im Herbst dieses Jahres ein Eckpunktepapier, wie die Medienvielfalt hinsichtlich digitaler Plattformen, bei gleichzeitiger Sicherung der Meinungsfreiheit, erhalten werden könne, berichtet Schrödter im Gespräch mit der F.A.Z.
Die Medienvielfalt müsse, so sagt er, durch das Zusammenwirken nationaler und europäischer Regulierung garantiert werden. „Es bedarf einer Plattformregulierung, welche die Onlinedienste verpflichtet, bestimmte Standards bei Meinungsvielfalt, Transparenz und Nutzerrechten einzuhalten. Außerdem müssen Strategien gegen Desinformation und Fake News weiterentwickelt werden. Zudem können wir Meinungsvielfalt durch eine Förderung von regionalen und unabhängigen Medienprojekten erreichen, um eine breite Vielfalt an Medienangeboten zu gewährleisten.“ Im Medienstaatsvertrag sollten insbesondere die Verantwortung von großen, digitalen Plattformen gestärkt, Transparenz gefördert und Maßnahmen gegen Desinformation und Medienkonzentration ausgeweitet werden, sagt der schleswig-holsteinische Medienpolitiker.
KEK-Chef Gounalakis unterstützt die Überlegungen der Rundfunkkommission, verweist aber auch darauf, dass die Wirksamkeit neuer Vorschriften letztlich von den Ermittlungs- und Durchsetzungsbefugnissen der Regulierungsbehörde abhänge. Für die konkrete Umsetzung könne das Kartellrecht mit seinen weitreichenden Ermittlungs- und Durchsetzungsbefugnissen, die dem Bundeskartellamt zugewiesen sind, als Vorbild dienen. Die Frage bleibt, bei allen Bemühungen, wie schärfere Regeln angesichts globaler Macht der Medienplattformen, praktisch umgesetzt werden können.