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Buchmesse bietet kritischen Stimmen aus Italien Raum | ABC-Z

Sage mir, wo auf der Buchmesse du Italien lauschst – und ich sage dir, wo du stehst: So wird sich die Kultur Italiens auf der Buchmesse präsentieren. Schon am ersten Messetag sind die Gräben überdeutlich, die zwischen dem Ehrengast-Programm liegen, das der Beauftragte der italienischen Regierung von Giorgia Meloni, Mauro Mazza, verantwortet, und jenen, die deren Politik als neofaschistisch kritisieren.

Was den Autoren unter den Nägeln brennt

Während der Ehrengast-Pavillon unter dem Motto „Wurzeln in der Zukunft“ mit einem Lob der Schönheit eröffnet, lädt der PEN Berlin zur Diskussion über die „Wurzeln in der Gegenwart“ ein. Es solle, so die PEN-Ko-Vorsitzende Eva Menasse, über das gesprochen werden, was den italienischen Autorenkollegen unter den Nägeln brenne und was „möglicherweise“ vom offiziellen Programm nicht abgedeckt werde. Angesichts des Lobs auf die „piazza italianissima“, das der Philosoph Stefano Zecchi im Ehrengast-Pavillon äußert, und der banalen Bemerkungen der Bestsellerautorin Susanna Tamaro zu hässlichen Autos und Hunden, die die Schönheit der Natur wahrnähmen, dürfte vieles nicht abgedeckt werden.

Der „Frankfurt Pavilion“ auf der Agora, das neue „Zentrum Wort“ für Literatur und Übersetzung, wo zur Eröffnung Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Die Grünen) vom „Kulturkampf“ und düsteren Zeiten sprach, werden außer den Bühnen der Verlage die Orte sein, an denen viele Autoren auftreten, die entweder vom Ehrengast nicht eingeladen wurden – oder die von sich aus abgesagt haben. Wie Francesca Melandri, Paolo Giordano und Antonio Scurati, hochgeschätzt, auch international, die nun beim PEN im „Pavilion“ als Erste über das gegenwärtige Italien sprechen.

Über das Gegenwärtige sprechen

„Ich bin nicht hier, um schlecht über die Regierung zu reden. Aber ich lade ein, sich mit der italienischen Kultur der Gegenwart zu beschäftigen“, sagt Scurati, dessen vierter Band der Mussolini-Romanbiographie „M.“ soeben auf Deutsch erschienen ist. Ein Umdeuten der Geschichte, zumal des Faschismus, beobachtet er nicht nur in Italien, sondern in vielen Ländern, die rechte, autoritäre Regierungen haben. Er selbst hat wegen einer abgesagten Rede auf den italienischen Befreiungstag Verleumdung, Hass und Bedrohungen erlebt.

d’Annunzios Dekadenz statt Blick ins Heute

Doch ihm geht es nicht um seine Person, sondern um das Ganze. Mit Melandri, Giordano und knapp 40 weiteren Autoren hatte er im Sommer einen offenen Brief geschrieben, als Roberto Saviano nicht vom Ehrengast-Team eingeladen worden war. Im Grunde, sagt Giordano, hätten zwei Jahre Regierung geholfen, ihm klarzumachen, auf welcher Seite er stehe. Medienkontrolle und Medien, die willfährig der Regierung zu Diensten seien, Einschränkung der freien Meinungsäußerung, Disziplinierung von missliebigen Kritikern, auf das Persönliche zielende Kampagnen, all das sprechen diese ersten kritischen Autoren an.

Währenddessen plaudern im Ehrengast-Programm Giordano Bruno Guerri, der Direktor des Vittoriale, der megalomanen Wohnstatt Gabriele d’Annunzios am Gardasee, die bei Rechten höchst beliebt ist, und der Autor Giuseppe Culicchia vor schütterem Publikum über „Il Piacere“ (1889), einen frühen dekadenten Roman d’Annunzios. Die Wurzeln der Zukunft muss man da lange suchen.

Dass die Uhren anders ticken bei diesem Ehrengast-Auftritt, so gelungen die historischen Kabinette des Pavillons auch sind, zeigt auch die Ausstrahlung in die Stadt: Die großen Ausstellungen, wie Carol Rama in der Schirn oder die Grafik des Barocks im Städel, sind ohne Beteiligung des Ehrengasts zustande gekommen. Während der in der Alten Oper italienische Volkstänze präsentiert, findet der Tanz der Diskurse anderswo statt. Dass es dafür, auf der Buchmesse und in der Stadt, Orte gibt, ist schon am ersten Tag deutlich geworden.

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