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Buchklub in Fürstenfeldbruck: Fortsetzungsroman – Fürstenfeldbruck | ABC-Z

Ausnahmsweise herrscht Einigkeit am Tisch. Es geht um die Erzählung „Yoga“. In einer Mischung aus Autobiografie, Essay, Chronik und Roman schildert Emmanuel Carrère darin die Suche nach Wahrhaftigkeit in einer krisengeschüttelten, hyperventilierenden Welt. Die Reaktionen am Tisch? Reichen von „Hat meine Erwartungen nicht erfüllt“ bis „mir fehlte da die Story, ich hab’s trotzdem bis zum Schluss durchgezogen.“ So eindeutig fällt das Votum hinter den Bücherstapeln freilich selten aus. Gerade das macht den Reiz der Diskussionen aus: An Büchern scheiden sich die Geister. Und die fünf Leserinnen, die sich zu diesem eingeschworenen Buchklub in Fürstenfeldbruck zusammengefunden haben, suchen geradezu die kontroverse Debatte. Über Pflichtlektüren vom Schlage von „Der alte Mann und das Meer“ von Ernest Hemingway. Aber auch über Werke, die sie „gar nicht auf dem Schirm gehabt hatten“, bevor sie irgendwann auf diesem Tisch lagen.

Im März 2021 fängt alles an. Camilla, Caro, Lisa, Patricia und Steffi (die nur mit Vornamen genannt werden wollen), heute alle zwischen 40 und 44 Jahre alt und berufstätig, kennen sich noch aus der Schule oder vom Ballett. Als Corona das Leben herunter dimmt, schalten sie sich zunächst am Bildschirm zusammen. Sie tauschen sich über Familiäres aus, reden über Gott und die Welt. Dabei wird immer deutlicher, dass sie nicht nur auf einer Wellenlänge liegen, sondern auch ein gemeinsames Hobby haben. Patricia: „Lesen erweitert den Horizont.“ „Wir teilen die Leidenschaft für Bücher“, ergänzt Camilla. Für bedrucktes Papier, das raschelt beim Umblättern. Das Eselsohren bekommt. Werke, die mit bis zu 500 Seiten schwer in der Hand liegen. Denen man ansieht, dass sie nicht nur im Regal stehen, um Belesenheit zu suggerieren. Vor allem aber: die im Gegensatz zu den allgegenwärtigen, kurzatmig geschnittenen Videos in den sozialen Medien Raum für Fantasie und Interpretation lassen. Die Bilder entstehen im Kopf und liefern Stoff für angeregte Diskussionen.

Das Spektrum recht vom Klassik-Bestseller bis zum Geheimtipp. (Foto: Stefan Salger)

Aus dem Treff im virtuellen Raum wird nach der Pandemie eine eingeschworene Runde, die sich vorzugsweise von Angesicht zu Angesicht trifft. Der informelle kleine Buchklub ist so etwas wie das Korsett, ein verbindlicher Anlass, um sich regelmäßig zu sehen. Es kam schon vor, dass sie auf die Uhr schauten und feststellten: Da sind gerade vier Stunden wie im Flug vergangen.

Eine Begeisterung, wie sie 1984 in dem Kinodrama „Club der toten Dichter“ zum Ausdruck kommt, das sich um den Stellenwert freien Denkens und der Poesie dreht. Themen, über die die fünf Frauen gewiss aus dem Stegreif referieren könnten. Der Streifen ist gleichwohl kein Vorbild. Ebenso wenig wie andere, meist größere Gesprächskreise oder Lesezirkel – wie es sie etwa im Umfeld der Büchereien in Fürstenfeldbruck, Puchheim oder München gibt. Dieser Bücherklub will nicht wachsen und nichts ändern an der Frauenquote von hundert Prozent.

Treffpunkt ist meistens ein Café – an diesem Tag das Dailys im Fürstenfeldbrucker „Hardy’s Fitness“. Es komme schon mal vor, dass andere Gäste verwundert fragen, was es mit den Bücherstapeln auf sich habe, erzählt Camilla. Vom Nebentisch aus kommt man dort nun sogar in den Genuss einer kleinen Lesung. Denn Patricia trägt eine Passage aus dem Buch „Knife – Gedanken nach einem Mordversuch“ vor, mit dem Salman Rushdie autobiografisch das Attentat auf sich verarbeitet. Es ist das 29. Werk, dem sich der Brucker Buchklub widmet.

Camilla, Lisa, Patricia, Steffi und Caro (von links) mit ihrer jeweiligen Buchempfehlung. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Das Spektrum reicht von Thriller über Roman und Biografie bis hin zu Lebensratgeber. Verpönt sind wissenschaftliche Literatur und Sachbücher. Übers Heimwerken, Stricken, Kochen oder die Geschichte Griechenlands lässt sich kaum diskutieren. Ebenso wenig über „lustige Liebesgeschichten und seichte Frauenliteratur“. Das seien „No-Gos“, findet Caro. Bei den Treffen läuft alles nach bewährtem Schema ab: Auf dem Tisch liegen die Bücher, die zur Auswahl stehen. Jede Teilnehmerin hat zwei Favoriten mitgebracht und stellt mindestens einen davon vor. Unter den „Finalisten“ wird letztlich ein Buch ausgelost. In sechs bis acht Wochen gilt es, sich der Lektüre zu widmen – möglichst von der ersten bis zur letzten Seite. Es folgen die gemeinsame Besprechung und die nächste Verlosung.

Enttäuscht werden die Erwartungen, wie im Fall von „Yoga“, eher selten. Zu den aktuellen Favoriten, die der Klub einmütig empfehlen kann, zählen die Gesellschaftsromane „Zwischen Welten“ sowie „Über Menschen“ von Juli Zeh. Und „Eine Frage der Chemie“ von Bonnie Garmus, in dem es um eine furchtlose Feministin geht, die ohne Rücksicht auf eigene Blessuren für die Rechte der Frauen kämpft.

Die Chemie zwischen den fünf Frauen des kleinen Buchklubs stimmt. Und so hoffen sie, dass noch viele Kapitel in dieser Erfolgsgeschichte geschrieben werden.

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