Brioni jetzt auch für Frauen: Design-Direktor im Interview | ABC-Z

Norbert Stumpfl steht im ersten Stock des herrschaftlichen Hauses an der Via Senato und begrüßt die Gäste. An den Kleiderpuppen hängen Mäntel, Jacketts und Blusen. Der Design-Direktor von Brioni spricht mit leiser Stimme, lächelt freundlich, nimmt sich Zeit, die Kollektion zu erklären, und verabschiedet jeden Besucher persönlich. Der Auftritt von Brioni während der Mailänder Modewoche setzt sich ab vom hektischen Treiben am Laufsteg, wo es vor und nach den Defilees wimmelt, laut ist und man den Designer backstage hinter den Menschentrauben kaum zu sehen bekommt. Dass es Brioni anders macht, passt zu dem, was die Marke an diesem Tag präsentiert: eine kleine, aber edle Kollektion, die den schlichten Titel La Donna trägt.
Mode für die Frau – das ist erst einmal überraschend, denn Brioni ist eine der bekanntesten italienischen Marken – für den Mann. 1945 von dem Schneider Nazareno Fonticoli und dem Unternehmer Gaetano Savini in Rom gegründet, etablierte sich Brioni schnell zum führenden Modehaus für maßgeschneiderte Herrenanzüge. Seit vielen Jahrzehnten werden die hochwertigen und hochpreisigen Anzüge von Geschäftsmännern, Politikern und Hollywoodstars wie Pierce Brosnan und Brad Pitt getragen. Es dauerte fast achtzig Jahre, bis die Marke, die nach den brionischen Inseln in der Adria benannt ist, sich dazu entschließen sollte, auch Mode für die Frau zu machen.
Den Wunsch, eine Damenkollektion herauszubringen, habe es schon länger gegeben, sagt Designer Norbert Stumpfl im Gespräch. Schon immer gehörten auch Frauen zu den Kundinnen, die Brioni-Hemden und Brioni-Jacken kauften. „Ihnen gefielen die maskulinen Schnitte und die Leichtigkeit der Stoffe. Dinge, die auf dem Markt kaum zu finden sind.“ Und sie fragten regelmäßig nach, wann es endlich auch Kleidung für die Frau geben werde. 2022 war es schließlich so weit, Brioni brachte eine Handvoll Modelle heraus, die gemeinsam mit der Herrenkollektion präsentiert wurden.
In der Regel läuft es umgekehrt: Große Luxusmarken von Dior über Prada bis zu Gucci fingen mit Damenmode an, bevor sie auch eine Herrenlinie auf den Markt brachten, die am Ende aber trotzdem nicht die Aufmerksamkeit wie die Damenlinie bekam. Es gibt Ausnahmen, wie etwa bei dem Modehaus Dior, das zum Luxuskonzern LVMH gehört und wo in den Nullerjahren mit großem Aufwand Dior Homme auf den Markt gebracht wurde und Designer Hedi Slimane den stilprägenden Slim-Look für Männer kreierte.
Brioni geht die Sache anders an. Stumpfl, der aus Österreich stammt und seit 2018 die Herrenmode verantwortet, tastet sich mit kleinen Schritten vor. Womenswear ist ihm nicht fremd, schließlich hat der Absolvent der Londoner Modehochschule Central Saint Martins vor Brioni unter anderem in den Designteams von Lanvin, Louis Vuitton und Balenciaga gearbeitet. Die ersten La-Donna-Modelle 2022 bestanden aus Jacken der Männerkollektion, die schmaler geschnitten wurden. „Wir reduzierten auch die Schultern, aber beließen es bei einer geraden Linie“, erklärt Stumpfl.
„Oft ist die Herrenmode bessere Streetwear“
In vielen Modehäusern werden die Damen- und Herrenkollektion komplett getrennt voneinander kreiert. „Oft ist die Damenmode anspruchsvoller und die Herrenmode bessere Streetwear. Aber bei Brioni stehen die Kollektionen ebenbürtig nebeneinander. Das gefällt mir sehr, weil man damit eine einheitliche Botschaft in die Welt hinausträgt“, sagt Stumpfl. Noch immer ist der Ausgangspunkt bei der Damen- und der Herrenkollektion derselbe. „Es geht um den Stoff, die hochwertige Verarbeitung und das ‚made in Italy‘, also um herausragende Handarbeit.“
Saison für Saison tastete sich das Designteam vor. „Wir nutzen nach wie vor Stoffe von der Herrenkollektion, aber in den vergangenen Jahren erweiterten wir das Vokabular“, so Stumpfl. Das heißt: femininere Schnitte als Ergänzung, wie taillierte Jacketts oder Röcke. Details wie ein Taillenband, Gürtelschlaufen und die Knöpfung, die wie bei einem Herrenjackett ist, sind weiter an die Männerkollektion angelehnt.

Und wer ist die Frau, die Brioni trägt und die Stumpfl im Kopf hat, wenn er seine Kollektion entwirft? „Zunächst dachten wir, es sei die Frau unserer männlichen Kunden“, sagt er. „Jetzt sehen wir die Selfmadefrau, die erfolgreich ist. Sie kann eine CEO sein, eine Klinik leiten oder als Architektin arbeiten.“ In jedem Fall sei es eine selbstbestimmte Frau, die nicht die Zeit habe, sich zu viele Gedanken über ihre Kleidung zu machen. „Aber sie möchte gut angezogen sein und reist vielleicht viel. Deshalb muss es bequem sein.“ Stumpfl investiert viel Zeit darin, eine größtmögliche Leichtigkeit herzustellen, „denn Kleider sollten einen nicht beschweren. Man sollte sie den Tag über einfach vergessen.“
Dazu passen auch die „roomy shapes“ in der La-Donna-Kollektion – sehr weiche, bequeme Formen, in die man sich zurückziehen kann. Bei Pullovern sind zum Beispiel die Ärmel vorne eingesetzt, während hinten eine Raglankonstruktion für Bewegungsfreiheit sorgt. „Das Wichtigste für mich ist, die Garderobe für unsere Kundin so simpel wie möglich zu machen“, sagt Stumpfl.
Abendjacken in kräftigen Farben
Mittlerweile besteht die La-Donna-Linie aus 25 Teilen. Die aktuelle Frühjahr-Sommer-Kollektion, die seit Kurzem auch in den Onlineshops von Brioni erhältlich ist, zeigt ultraleichte Stoffe und fließende Linien. Neben klassischen Farben wie Navy, Weiß, Beige und Hellblau, fällt sie mit kräftigen Farben auf wie dem Tomatenrot. Stumpfl verweist auf die Brioni-Tradition. Denn anders als vermutet, ging es auch in der Herrenmode nicht immer nur um Schwarz, Weiß und Anthrazit. „Unsere Gründer haben zum Beispiel Abendjacken für Herren in kräftigen Farben entworfen. Damals durften Männer Elfenbein, Marineblau oder Schwarz tragen, manchmal auch Dunkelgrün, Gelb, Orange oder Fuchsia.“ Brioni sei damals avantgardistisch gewesen, es habe sogar Zeitungsartikel gegeben, die von einem neuen Ausdruck sprachen. Später sei es dann mehr um hohe Qualität und schöne Schnitte gegangen.
Auch wenn Stumpfl Brioni modernisiert und zu einer Lifestylemarke entwickelt hat, die auch Freizeitkleidung und Accessoires bietet, liegt der Fokus in dem Unternehmen weiter auf dem Handwerk. Und das ist in diesen Zeiten umso wichtiger, denn reiche Kunden und Kundinnen suchen nicht nach Massenprodukten, die überall und für jeden verfügbar sind. „Es gibt nur eine Handvoll Unternehmen, die auf hochwertige Handarbeit setzen und im Moment sehr erfolgreich sind, weil viele Menschen diesen leeren Luxus satthaben.“ Schon aufgrund der hochwertigen Verarbeitung könnte das Unternehmen, das seit 2011 zum französischen Luxuskonzern Kering gehört, nicht im großen Stil produzieren. Ein maßgeschneiderter Brioni-Anzug wird in mehr als 24 Stunden Handarbeit hergestellt, ein Smokingjackett in 32 Arbeitsstunden, und ein Ready-to-wear-Jackett braucht immerhin noch 16 Arbeitsstunden, um gefertigt zu werden.

Der Aufwand macht sich auch in der Damenkollektion bemerkbar. „Wir verwenden zunehmend Haute-Couture-Stoffe. Zum Beispiel Seide aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren, die wir bei einer Weberei in Como in den Archiven fanden. Das knüpft an eine Brioni-Tradition an, denn in den Fünfzigerjahren haben die Gründer der Marke auch schon Couture-Stoffe verwendet.“ In diesem Winter hat Brioni zudem gemeinsam mit dem französischen Hersteller Dormeuil einen extrafeinen Stoff herausgebracht. „Er heißt Utopia Super 220 und ist so weich und so schön, weicher als Kaschmir“, schwärmt Stumpfl.
In der Abendgarderobe der Herbst-Winter-Kollektion ist ein Set aus Seidenjacquard zu finden, das mit dreidimensionalen Blumenmotiven in Perlenstickerei verziert ist. Gefertigt wurde es auf traditionellen Webstühlen in Brionis hauseigenen Ateliers in den Abruzzen. Damit die handwerklichen Fähigkeiten auch in Zukunft erhalten bleiben, hat Brioni in Penne, einem Zentrum für Schneiderkunst, das Ausbildungsprogramm „Alta Sartoria“ ins Leben gerufen, im Rahmen dessen junge Menschen die alten Techniken erlernen. „Es zeigt, was wir mit unseren Händen alles machen können. Das ist wichtig, weil heute alles automatisiert ist. Alles dreht sich darum, so schnell wie möglich alles Mögliche zu produzieren, wir verlieren dabei viel an Seele“, sagt Stumpfl.
Kontinuität zwischen den Hypes
Mit dieser Herangehensweise hofft Brioni, sich gegen den Trend zu behaupten. Die Luxusbranche schwächelt, 2024 ist der Umsatz für Luxusgüter weltweit um sechs Milliarden Euro zurückgegangen. Dass vor allem asiatische Kundinnen nicht mehr so kauffreudig sind, ist das eine. Das andere ist das Thema Nachhaltigkeit. „Es gibt immer mehr Menschen, die hinterfragen, was sich in der Mode tut. Ich als Designer kann mich glücklich schätzen, bei Brioni zu sein, denn wir entwerfen Kleidungsstücke, die man lange liebt und tragen kann. Es ist nicht so, dass man sie nach sechs Monaten wechseln oder wegwerfen möchte.“ Stumpfl glaubt, es sei einfach nicht mehr modern, Dinge schnell zu entsorgen, um gleich das nächste Konsumobjekt zu kaufen. In der Mode gebe es so viel Hype, da suchten viele nach Kontinuität, damit man die Kleider länger tragen kann. Ein Brioni-Mantel sei eine Anschaffung fürs Leben, denn er sei nie so modisch, dass er aus der Zeit fallen könnte. Die Marke setze außerdem auf hochwertige Fasern und verzichte auf überflüssige Logos und komplexe synthetische Mischmaterialien.
Damit bedient Brioni den Quiet-Luxury-Trend, den stillen Luxus, der nicht laut und schrill daherkommt. Dazu passt, dass Norbert Strumpfl sich in Mailand mit einem Handschlag verabschiedet, bevor er den Besuchern ein leises „Ciao“ mit auf den Weg gibt.