Kultur

Brennende Manuskripte: Wenn das Singen auf der Straße verboten wird … | ABC-Z

E s gibt eine „tröstliche“ Formel, die man gern nach Woland in Bulgakows „Meister und Margarita“ zitiert: „Manuskripte brennen nicht.“ Doch wird sie manchmal gebraucht, um die Verantwortung von denen abzuwälzen, die diese Manuskripte vernichteten und ihre Autoren verfolgten. „Was wollt ihr denn?“, heißt es dann. „Die Manuskripte sind doch nicht verbrannt!“

Bulgakow aber wusste sehr wohl, was ein Zensurverbot für einen Schriftsteller bedeutet: „Die Ursache meiner Krankheit ist die jahrelange Hetze und dann das Schweigen“, schrieb er verzweifelt in einem Brief an die Behörden. Manuskripte „brennen“ nicht nur dann, wenn ihre Autoren physisch vernichtet werden – wie es in der Zeit der Massenterrors geschah. Auch jene, die überlebten, bezahlten einen hohen Preis: Ihr Leben wurde vergiftet durch den ständigen Kampf mit der Zensur.

Die Bolschewiki führten Zensur sofort nach der Machtergreifung ein. Sie beriefen sich dabei auf den Bürgerkrieg. Doch auch nach dessen Ende erklärte Lenin, dass Pressefreiheit für die neue Macht ein Selbstmord sei – und so erfasste die Zensur immer mehr Bereiche. Ihre Funktion war die Einschüchterung der Autoren. Man musste von Anfang an darüber nachdenken, was die Zensur durchlassen würde.

Bolschewiki trieben die Zensur auf die Spitze

In ihrem Eifer, „Schädlinge“ zu entdecken, trieb die Zensur die Absurdität auf die Spitze. Zensoren hielten Zeitungen gegen das Licht, betrachteten mit der Lupe Briefmarken – und fanden natürlich Verdächtiges. Mal glaubte man, auf der Streichholzschachtel das Porträt Trotzkis zu erkennen, mal auf einer Briefmarke ein Hakenkreuz.

Nach Stalins Tod lockerte sich der Griff der Zensur etwas. Doch auch dann wurden jene verfolgt, die in den Augen der Zensoren an den ideologischen Grundlagen rührten. So erging es dem beschlagnahmten Manuskript von Wassili Grossmans Roman „Leben und Schicksal“ oder den Filmen, die „auf das Regal“ gelegt wurden.

Das Regime wird die Zensur zweifellos weiter verschärfen. Aber ebenso sicher ist: Der Kampf gegen die Zensur bleibt ein wesentlicher Teil des Widerstands

Die Zensur wachte über die Informationen, die durch den Eisernen Vorhang zu sickern drohten. Westliche Radiosender wurden gestört, Untergrundliteratur verfolgt. In der stalinistischen Zeit war der oberste Zensor oft Stalin, der das, was ihm besonders wichtig erschien, selbst redigierte. Doch auch 1962 konnte die Entscheidung, Solschenizyns „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“ zu veröffentlichen –das Thema Gulag zuzulassen –, nur von Chruschtschow selbst getroffen werden.

Die Zensur vergiftete nicht nur das Leben der Autoren – Leser und Zuschauer wurden über Jahrzehnte hinweg der Möglichkeit beraubt, zu lesen und zu schauen, was für sie geschaffen worden war, aktuell, aufrüttelnd war. Das Verbot nicht nur einzelner Werke, sondern ganzer künstlerischer Richtungen führte zu einem allgemeinen kulturellen Niedergang.

Perestroika bannte die Macht der Zensur

Kein Zufall also, dass Perestroika mit Glasnost, mit der Offenheit, begann. Das zerstörte nicht nur die Zensur, sondern auch die Macht, die sie hervorgebracht hatte.

In Putins Russland ist seit Beginn des Krieges die Zensur mehrmals verschärft worden. Schon das Wort „Krieg“ ist verboten und durch „spezielle militärische Operation“ ersetzt.

Namen von Autoren werden gelöscht; der Staat blockiert das Internet. Strafverfahren entstehen wegen eines Links, einer Geste gegen den Krieg, eines Straßenliedes. Das Regime wird die Zensur weiter verschärfen – daran habe ich keinen Zweifel. Aber ebenso sicher ist: Der Kampf gegen die Zensur bleibt ein wesentlicher Teil des Widerstands.

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