Aussichten fürs zweite Quartal: Besteht Crash-Gefahr? | ABC-Z

An den Aktienmärkten geht es so turbulent zu wie schon lange nicht mehr. Die Ereignisse überschlagen sich und die Anleger kommen kaum noch hinterher. ntv.de hat mit drei Finanzmarktexperten diskutiert, wohin die Reise bei Aktien, Anleihen und Gold geht.
ntv.de: US-Präsident Donald Trump verunsichert mit seinem Hin und Her bei Strafzöllen oder Waffenlieferungen an die Ukraine im großen Stil die Finanzmärkte. Sehen wir in den USA den Beginn einer Korrektur oder handelt es sich nur um ein Durchatmen?

Michael Wittek leitet das Portfoliomanagement bei Albrecht, Kitta & Co. und ist für die Anlagestrategie der Vermögensverwaltung verantwortlich.
Michael Wittek: Sicher ist, dass die Börse die zweite Amtszeit von Donald Trump etwas zu positiv eingeschätzt hat. Ob es nun zu einer Korrektur oder einer Verschnaufpause kommt, hängt entscheidend davon ab, wie sich die US-Wirtschaft im zweiten Quartal entwickelt. Trump wird dabei eine nicht unwesentliche Rolle spielen.
Reinhard Pfingsten: Die Sorgen um eine wirtschaftliche Abkühlung in den USA nehmen bei den Investoren zu und die Stimmung im Land ist längst nicht mehr so euphorisch wie noch bei der Amtsübernahme von Trump. Dies spiegelt sich auch in der Eintrübung des Konsumklimas der US-Bürger wider. Dennoch rechnen wir für die USA weiterhin mit einem Wirtschaftswachstum von rund zwei Prozent. Eine Korrektur am US-Aktienmarkt auf breiter Front sehen wir nicht. Allerdings dürfte der Hype um die “Magnificent 7” vorerst vorbei sein.


Reinhard Pfingsten arbeitet seit September 2023 als Chief Investment Officer bei der Deutschen Apotheker- und Ärztebank. Diese Funktion übte der studierte Mathematiker bereits zuvor bei der Bethmann Bank und Hauck & Aufhäuser Privatbankiers aus.
Nietho Bruhn: Das sehen wir ähnlich. Nach unserer Einschätzung war nach der Wahl von Donald Trump mit einer höheren Volatilität zu rechnen. Bereits aus seiner ersten Amtszeit war bekannt, dass er sehr unorthodox vorgeht, um seine Ideen umzusetzen. Die aktuell höheren Schwankungen an der Wall Street sehen wir nicht als Trendwende, sondern eher als Einstiegschance für Anleger, die derzeit noch mit geringeren Aktienquoten investiert sind als perspektivisch geplant.
US-Präsident Trump verhängt in großem Stil Strafzölle oder kündigt diese zumindest an. Höhere Preise für Importgüter ermöglichen es auch amerikanischen Produzenten, Preiserhöhungen durchzusetzen. Dadurch steigen perspektivisch die Gewinne der US-Unternehmen, aber auch die Inflation könnte anziehen. Sind Strafzölle aus Sicht der Aktienmärkte unter dem Strich positiv oder negativ?


Nietho Bruhn ist seit Oktober 2022 als Seniorberater bei der Qcoon-Invest tätig. Zuvor war er bei der Bethmann Bank für die Begleitung vermögender Privatpersonen und Unternehmen verantwortlich.
Bruhn: Strafzölle sind tendenziell eher negativ, da sie die Produkte auf beiden Seiten verteuern. Zudem bringen sie in der Regel Gegenzölle und Marktverunsicherung mit sich.
Pfingsten: Wir glauben nicht, dass er mit seinen Maßnahmen die Industrieproduktion in den USA wie erhofft stärken wird. Und ob die inflationären Effekte der Zölle wirklich nur temporär sind, lässt sich noch nicht abschließend sagen.
Wittek: Eine eindeutige Antwort wäre zu einfach. Fakt ist, dass es in den vergangenen zehn Jahren eher mehr als weniger Zölle gegeben hat und die Aktienmärkte auf oder in der Nähe ihrer Allzeithochs notieren. Der Bogen darf nur nicht überspannt werden.
Außerdem will Trump massenhaft illegale Einwanderer abschieben und die Grenzen schließen. Vor allem im Niedriglohnsektor könnten Arbeitskräfte knapp werden, zum Beispiel in der Landwirtschaft. Dadurch könnten die Löhne steigen, was auch die Inflation stützen würde.
Wittek: Man muss Trump zwar ernst, aber nicht beim Wort nehmen. Seine Regierung will 500.000 Migranten pro Jahr ausweisen. Unter Barack Obama hat es durchschnittlich circa 300.000 Abschiebungen pro Jahr gegeben. Das Thema ist für die USA also nicht neu.
Pfingsten: Abgesehen von der Frage, wie schnell und in welchem Umfang illegale Einwanderer überhaupt abgeschoben werden können, ist der US-Arbeitsmarkt nach wie vor in guter Verfassung, sodass ein Rückgang des Arbeitskräfteangebots den Lohndruck wieder erhöhen dürfte.
Weniger Einwanderung, 100.000 entlassene Regierungsangestellte und Verunsicherung bei den amerikanischen Verbrauchern – das alles belastet den Konsum. Trump selbst spricht schon von einer möglichen Rezession. Wie groß ist die Gefahr dafür?
Bruhn: Das Risiko einer kommenden Rezession in den USA schätzen wir als gering ein. Nicht zu vernachlässigen ist, dass Trump selbst aus der Wirtschaft kommt. Er will als Präsident in Erinnerung bleiben, der gemäß seinem Slogan “Make America Great Again” eine blühende Wirtschaft hinterlässt. Dass die Durchsetzung seiner politischen Interessen mit der Brechstange zunächst zu Verunsicherung und damit zu Volatilität an den Kapitalmärkten führt, mag dabei ein bewusst in Kauf genommenes Kalkül sein.
Pfingsten: Auch wir rechnen nicht mit einer Rezession in den USA, haben aber unsere US-BIP-Wachstumsprognose von 2,5 Prozent zu Jahresbeginn auf 2 Prozent nach unten korrigiert. Dabei unterstellen wir allerdings, dass es nicht zu einem globalen Handelskrieg kommt. Das Risiko einer US-Rezession im laufenden Jahr sehen wir bei maximal 20 Prozent.
Trump will aber auch die Steuern senken und die Wirtschaft von Regulierungen befreien, was die Börsianer eigentlich gut finden. Sieht die Wall Street derzeit nur die negativen Auswirkungen seiner Politik und blendet die positiven aus?
Pfingsten: Die positiven Effekte aus den angekündigten Steuersenkungen und der Deregulierung der Wirtschaft sind unseres Erachtens vom Markt bereits eingepreist worden. Derzeit überwiegt die Unsicherheit über das US-Wirtschaftswachstum, gepaart mit der Sorge über steigende US-Inflationszahlen.
Bruhn: Investoren reagieren eher auf kurzfristige Impulse wie steigende Zinsen und Verunsicherung durch Strafzölle. Solche Unsicherheiten überwiegen dann kurzfristig auch ein sich perspektivisch weiter verbesserndes Investitionsumfeld – also ja, derzeit überlagern die lauteren negativen Aspekte die positiven.
Wittek: Wir dürfen aber nicht vergessen, wie stark gerade die amerikanischen Börsen in den vergangenen Jahren gelaufen sind. Würden nur die negativen Szenarien gespielt, wäre die Korrektur bereits größer.
Sind amerikanische Aktien gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis oder an der Dividendenrendite vielleicht einfach zu teuer?
Wittek: In der Tat sind amerikanische Aktien historisch hoch bewertet.
Pfingsten: Die höhere Bewertung des US-Aktienmarktes ist aber keine neue Erkenntnis. Anleger sollten jetzt nicht den Fehler machen, den US-Aktienmarkt ganz zu meiden. Er ist immer noch der wichtigste Aktienmarkt der Welt und nicht alle Aktien sind gleich hoch bewertet.
Bruhn: Ja, auf den ersten Blick schon. Ein Unternehmen, beispielsweise aus dem Technologiesektor, welches jedes Quartal seine Umsätze deutlich steigert, muss mit anderen Maßstäben bezüglich der klassischen Kennzahlen bewertet werden als ein Unternehmen aus der “old economy”, das jedes Quartal stabile, aber nicht großartig steigende Ergebnisse abliefert.
Besteht in den USA eine Crash-Gefahr?
Bruhn: Nein, die sehen wir aktuell eher nicht.
Pfingsten: Die sehen wir auch nicht.
Wittek: Ein Crash kommt nur dann, wenn niemand damit rechnet und es einen plötzlichen Auslöser gibt. Der berühmte schwarze Schwan. Er ist also nicht vorhersehbar.
Seit dem Jahreswechsel sind der Euro Stoxx 50 und der Dax deutlich besser gelaufen als der S&P 500. Das kommt eher selten vor. Handelt es sich um eine kurzfristige Entwicklung oder um eine längerfristige Trendwende?
Bruhn: Das halten wir eher für eine kurzfristige Entwicklung, getrieben durch die Verunsicherung durch das derzeitige Handeln der US-Regierung.
Pfingsten: Das sehe ich etwas anders. In einem schwächeren Kapitalmarktumfeld ist es schon häufiger vorgekommen, dass sich der europäische Aktienmarkt besser entwickelt hat als sein US-Pendant. Seit dem Ende der Finanzkrise konnten solche Phasen durchaus bis zu neun Monate andauern. Sollte dem europäischen Aktienmarkt bereits jetzt die Puste ausgehen, wäre dies eindeutig eine der kürzeren Phasen.
In Deutschland will die voraussichtliche GroKo-Regierung Hunderte Milliarden Euro in Verteidigung und Infrastruktur investieren, wovon auch börsennotierte Unternehmen hierzulande profitieren sollten. Was überwiegt: die drohenden US-Strafzölle oder das geplante Konjunkturprogramm?
Wittek: Kurzfristig sicherlich die drohenden Zölle. Mittelfristig überwiegt das hoffentlich sinnvoll investierte Konjunkturprogramm.
Bruhn: Kurzfristig betrachtet sehen auch wir die Strafzölle als negativ. Mit Blick auf die neuen Milliarden, die nicht nur Deutschland in Rüstung und Infrastruktur investieren will, stellen sich zwei zentrale Fragen. Zum einen, wie schnell die Mittel zur Verfügung stehen und welcher bürokratische Aufwand damit verbunden ist. Zum anderen, welche europäischen Unternehmen über ausreichend Kapazitäten verfügen, um die entsprechenden Aufträge anzunehmen und umzusetzen. Von der Beantwortung dieser Fragen dürfte der künftige Einfluss dieser Konjunkturmaßnahmen abhängen.
Nach der Ankündigung des wahrscheinlich nächsten Bundeskanzlers Friedrich Merz, für Investitionen massiv neue Schulden aufzunehmen, sind die Renditen von Staatsanleihen so stark gestiegen wie seit rund 30 Jahren nicht mehr. Entsprechend sind die Kurse gefallen. Wie hoch schätzen Sie derzeit die Risiken am Rentenmarkt ein?
Pfingsten: Eine höhere Verschuldung wird auch mit einem noch weiter steigenden Renditeniveau einhergehen, allerdings betonen ja auch selbst die Rating-Agenturen, dass Deutschland dringend wieder Wirtschaftswachstum braucht. Zudem wird die Staatsverschuldung Deutschlands gemessen am BIP immer noch deutlich niedriger sein als in allen anderen großen europäischen Volkswirtschaften oder auch den USA.
Wittek: Mittelfristig sind weitere Renditesteigerungen und damit sinkende Anleihekurse möglich. Daraus ergeben sich jedoch interessante Kaufgelegenheiten.
Die Inflation spielt sowohl bei Aktien als auch bei Anleihen und Gold eine entscheidende Rolle. Ist hier eine Entspannung in Sicht, die der US-Notenbank Fed oder der EZB Spielraum für weitere Zinssenkungen geben würde?
Wittek: Spielraum für weitere Zinssenkungen haben die Notenbanken nur bei einer schwächeren Konjunktur.
Pfingsten: In Europa lassen die voraussichtlich ab dem Frühjahr wieder sinkende Inflation und das schwache Wachstum weitere Leitzinssenkungen vor allem in der ersten Jahreshälfte erwarten. Anders sieht es in den USA aus. Hier könnten die politischen Pläne von Trump die Inflation wieder anheizen, nicht nur durch höhere Zölle. Daher wird die Fed vorerst abwarten müssen.
Der Goldpreis steigt seit anderthalb Jahren wie am Schnürchen und notiert auf Rekordniveau. Ist das gerechtfertigt oder eine gefährliche Blase?
Bruhn: Anleger sollten sich von den beeindruckenden Kursgewinnen der vergangenen 18 Monate nicht blenden lassen. Wir sehen hier keine Blasenbildung. Gold bleibt als stabilisierende Beimischung sinnvoll.
Pfingsten: Als Reaktion auf das Einfrieren russischer Guthaben im Westen haben zahlreiche Zentralbanken von Schwellen- und Entwicklungsländern begonnen, ihre strategischen Goldbestände massiv aufzustocken – allen voran die chinesische Zentralbank. Im Kern geht es diesen Ländern nicht um Spekulationsgewinne, sondern darum, im Falle westlicher Sanktionen weniger verwundbar zu sein. Wir halten diesen Trend für strukturell bedingt und sehen für Gold weiteres Aufwärtspotenzial.
Haben Sie in den vergangenen Wochen in den Depots Ihrer Kunden zwischen den verschiedenen Anlageklassen oder regional umgeschichtet? Und haben Sie den Cash-Anteil erhöht, um später vielleicht preiswerter nachkaufen zu können?
Wittek: In der Tat halten wir Cash für Aktienkäufe in der Hinterhand. Und wenn die Renditen weiter steigen, können wir kurzfristige Anleihen in längerfristige umschichten.
Pfingsten: Wir haben bereits in unserem Jahresausblick 2025 eine Untergewichtung von Aktien und eine Übergewichtung von Anleihen empfohlen und halten daran fest. Darüber hinaus haben wir im Januar von US-Aktien in europäische Papiere umgeschichtet und damit für unsere Kunden einen Mehrertrag erzielt. Auch unsere Goldposition trug zur guten Performance der Kundenportfolios bei.
Bruhn: Aufgrund der stark gestiegenen Unsicherheit kann es sich durchaus lohnen, den Aktienanteil im Depot um 10 bis 20 Prozent zu reduzieren.
In welcher Bandbreite sehen Sie den Dax und den Goldpreis im Laufe des Jahres?
Bruhn: Beim Dax halten wir einen Test der 24.000 Punkte durchaus für möglich, auf Jahressicht gehen wir aber davon aus, dass der derzeit erhebliche Vorsprung seit Jahresbeginn sowohl gegenüber den US-Börsen als auch im Vergleich zum MSCI World wieder schmelzen wird. Beim Goldpreis halten wir einen weiteren Anstieg bis in den Bereich von 3400 Dollar je Feinunze für möglich.
Pfingsten: Wenn weitere Störfeuer aus der US-Politik ausbleiben und der neuen Bundesregierung ein überzeugender wirtschaftspolitischer Start gelingt, trauen wir dem Dax auch den Sprung über die Marke von 24.000 Punkten zu. Den großen Einbruch erwarten wir nicht, aber eine Korrektur von zehn Prozent ist am Aktienmarkt grundsätzlich nicht auszuschließen. Das untere Ende der Bandbreite sehen wir daher bei 21.000 Punkten. Beim Gold gehen wir davon aus, dass sich der Preis pro Unze längerfristig über der Marke von 3000 US-Dollar halten wird.
Wittek: Man tut gut daran, so wie wir taktisch immer auf Sicht zu fahren und sich nicht an gesteckten Kurszielen festzuhalten. Entscheidend ist, dass die Portfolios auf der Basis eines langfristigen Anlagehorizonts strategisch gut ausgerichtet sind.
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