Borussia Mönchengladbach: Giovanni Reyna und der Re-Start für den amerikanischen Traum | ABC-Z

Giovanni Reyna zählte einst zu den heißesten Aktien im Weltfußball. Doch der große Durchbruch gelang ihm bei Borussia Dortmund nicht. Der Amerikaner konnte sich nur bedingt auf seinen Körper und sein Umfeld verlassen. Mit 22 unternimmt er einen nun neuen Anlauf in Mönchengladbach.
Erling Haaland ist kein Freund großer Worte. Doch an diesem Tag hielt der norwegische Topstürmer sie für angebracht. Was er über Giovanni „Gio“ Reyna sagen könne, wurde er gefragt. „He is the American Dream“, antwortete Haaland – und Reyna, der während des Interviews neben ihm stand, lächelte verlegen. „Gio ist erst 17 Jahre alt, aber was er auf dem Spielfeld macht, ist außergewöhnlich. Er hat eine große Zukunft vor sich“, so Haaland. Das wollte er unbedingt loswerden.
Fünfeinhalb Jahre ist das her. Reyna hatte bei einem dieser „Geisterspiele“ in der Corona-Zeit für Borussia Dortmund sein Startelf-Debüt in der Bundesliga gegeben. Der BVB siegte 2:0 bei RB Leipzig. Und Reyna hatte tatsächlich schier unglaubliche Dinge gemacht: Dribblings gewonnen, blitzsaubere Pässe gespielt – und das 1:0 für Haaland aufgelegt. Viele, die dabei waren, dachten: Dieser junge US-Amerikaner, dem so viel Veranlagung bescheinigt wird, steht am Anfang einer großen Karriere. „Wenn du seine Qualitäten nicht siehst, bist du blind“, sagte der damalige Dortmund-Trainer Lucien Favre.
Giovanni, der Sohn des früheren Bundesligaprofis Claudio Reyna, war Ende der 10er-Jahre eine der heißesten Waren auf dem globalen Markt für junge Highflyer. Europäische Spitzenvereine hatten ihn auf dem Zettel. Die Dortmunder machten das Rennen um den Teenager, der beim New York City FC und in den US-Juniorenmannschaften spielte. Der BVB war besonders früh dran.
Der Anfang war vielversprechend: Reyna spielte regelmäßig, auch in der Champions League lief er auf. Doch je mehr Zeit verging, desto häufiger wurden die Enttäuschungen. Reynas Rolle in Dortmund wurde von Jahr zu Jahr unbedeutender. Bereits im Januar 2024 war er an Nottingham Forest ausgeliehen worden. Auch dort saß es meist auf der Bank.
Ohne Perspektive kehrte er zurück zum BVB. Unter dem neuen BVB-Trainer Niko Kovač schaffte es Reyna gegen Ende der Saison mal nicht mehr in den Kader. Sein Marktwert sank von über 40 Millionen Euro auf sieben Millionen. Der amerikanische Traum schien geplatzt.
Reyna: „Dieser Test war für mich sehr wichtig“
Vor ein paar Tagen spielte Reyna wieder – erneut vor einer kleinen Kulisse. Borussia Mönchengladbach, der Klub, zu dem er kurz vor Beginn der neuen Bundesligasaison gewechselt ist, hatte ein Testspiel gegen den Zweitligaklub FC Schalke 04 angesetzt. Reyna durfte im offensiven Mittelfeld ran.
Es war eine unspektakuläre Partie – die allerdings ein Highlight bereithielt: Mit einem perfekten Steckpass bediente Reyna den durchgestarteten Luca Netz, der das 1:0 erzielen konnte. „Dieser Test war für mich sehr wichtig, 70 Minuten habe ich lange nicht mehr gespielt. Mein Körper fühlt sich jeden Tag besser an“, sagte Reyna anschließend. Er freue sich, schrieb er auf Instagram an die Adresse der Gladbacher Fans, „vor euch eine hoffentlich gute Leistung zu zeigen.“
Sollte Trainer Gerardo Seoane ihn aufstellen, wird der mittlerweile 22-Jährige am Sonntag gegen Werder Bremen (17.30 Uhr/live DAZN) sein erstes Bundesligaspiel für Gladbach absolvieren. Es wäre für ihn ein Markstein. Reyna sehnt sich einem Re-Start entgegen – für seine Karriere, die aus verschiedenen Gründen, von denen einige immer noch diffus scheinen, vollkommen ins Stocken geraten war.
Unstrittig ist: Reyna konnte sich nur bedingt auf seinen Körper verlassen, er musste immer wieder länger pausieren. Auffällig: Es waren beinahe ausnahmslos Muskelverletzungen, die ihn zurückwarfen. Dann es gibt noch einen Aspekt: Reyna ist, aller Veranlagung zum Trotz, kein Kämpfer. Es fällt ihm schwer, sich aus Tiefs herauszuarbeiten. Möglicherweise auch, weil ihm sein engstes Umfeld in Krisen nur bedingt geholfen hat.
Bei der Weltmeisterschaft 2022 in Katar war es zu einer Abfolge von Ereignissen gekommen, die Reyna auch seinen letzten Wohlfühlort nahmen. Wenn es in Dortmund auch schlecht lief – im US-Team hatte er immer psychisch auftanken können. Hier galt er nach wie vor als Hoffnungsträger.
Doch in Katar eröffnete ihm der damalige Nationaltrainer Gregg Berhalter, dass er nur noch eine untergeordnete Rolle spielen werde. Reyna reagierte ungehalten, ließ sich im Training hängen. Berhalter nahm dann in einer Pressekonferenz Bezug auf einen „problematischen Profi“, der kurz davor gestanden hätte, nach Hause geschickt zu werden.
Kurz später ging beim US-Verband ein Hinweis ein: Berhalter soll seine Frau Rosalind misshandelt haben. Der Verband kündigte eine Untersuchung an. Berhalter räumte öffentlich ein, seiner späteren Frau 1991 während eines Streits vor die Beine getreten zu haben. Er habe sich nach dem lange zurückliegenden Vorfall, für den es „keine Entschuldigung“ gebe, professionelle Hilfe gesucht – und sei ein halbes Jahr später wieder mit Rosalind zusammengekommen.
Reynas Mutter gab US-Verband einen Hinweis
Die Hinweisgeberin outete sich kurz darauf: Es war Reynas Mutter Danielle Egan – eine alte Freundin von Berhalters Frau. Nach diesem Drama mit Zügen einer Seifenoper verschloss sich der introvertierte Reyna noch mehr.
„Gio ist ein junger, kreativer Spieler“, sagt Roland Virkus, der Gladbacher Sportgeschäftsführer. Virkus wollte Reyna trotz der Probleme unbedingt haben – und der BVB war froh, ihn von der Gehaltsliste streichen zu können.
Reyna unterzeichnete einen Drei-Jahres-Vertrag. „Das ist ein Transfer, wo wir normalerweise keine Chancen haben. Aber Gio will bei uns noch einmal neu starten. Deswegen sollten wir stolz sein, dass der Junge sich für die Borussia entschiedenen hat“, so Virkus.
Reyna könnte das Gladbacher Spiel auf ein höheres Niveau hieven – vorausgesetzt, es gelingt, ihn fit zu bekommen und ihm neues Selbstvertrauen einzuhauchen. Die Chancen dafür, glaubt Virkus, stehen gut. „Ein bisschen Restrisiko bleibt immer. Aber wir kriegen einen hervorragenden Jungen, den wir unter normalen Umständen nicht bekommen.“
Was helfen könnte: Gio Reyna weiß, dass er eine gute Saison spielen muss, um im kommenden Sommer bei der WM in den USA, Mexiko und Kanada für sein Land spielen zu können.
Es ist noch nicht zu spät für seinen amerikanischen Traum.
Oliver Müller ist Fußball-Reporter der WELT. Der Journalist schreibt vor allem über die Klubs aus dem Westen Deutschlands und besucht regelmäßig die Spiele von Borussia Dortmund. Er kennt Reyna seit Jahren.