Borussia Dortmund: Vielleicht hätte Nuri nein sagen sollen | ABC-Z
In unserer Kolumne “Grünfläche”
schreiben abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich und Anna
Kemper über die Fußballwelt und die Welt des Fußballs. Dieser Artikel ist Teil
von ZEIT am Wochenende,
Ausgabe 03/2025.
Am Anfang der Saison musste ich in der Familien-Tipprunde
angeben, welcher Trainer wohl als Erstes entlassen wird. Ich habe auf Nuri Şahin getippt. Obwohl ich BVB-Fan bin. Oder deswegen?
Natürlich habe ich mir das nicht gewünscht, und es ist ja
auch nicht so gekommen, unter anderem die Nachbarn aus Bochum waren schneller.
Aber es spricht einiges dafür, dass der BVB nach der katastrophalen Leistung
gegen Kiel bald nachzieht.
Nur 5 Punkte haben die Dortmunder bisher auswärts gesammelt.
Das Spiel gegen Frankfurt gilt als Entscheidungsspiel – für den angeschlagenen Möchtegern-Titelkandidaten.
Und für den Trainer.
Ich mag Nuri Şahin. Als er in Dortmund noch spielte, wohnte er in der Straße meiner Eltern, in einem bescheidenen, kleinen, ganz normalen Haus. Er ist ein Dortmunder Junge. Er hat tolle Spiele für
den BVB gemacht. Er ist ein sehr sympathischer Typ. Und vielleicht hat er auch
das Zeug dazu, ein sehr guter Trainer zu werden. Ich hatte aber eben schon am
Anfang der Saison das Gefühl, dass es jetzt noch nicht reichen würde. Trainiert
hatte Şahin bis dahin nur den türkischen Verein Antalyaspor, eineinhalb Jahre
lang, zuletzt wäre der Verein fast abgestiegen.
Borussia Dortmund verfolgt schon lange das Konzept, junge,
vielversprechende Spieler zu kaufen, sie weiterzuentwickeln, ihnen eine große
Bühne zu bieten, um sie dann zu den ganz Großen weiterzugeben. Gleichzeitig
auch noch ein Trainertalent zu entwickeln, kann nicht aufgehen. Eigentlich
braucht man gerade mit so einem Konzept jemanden, der Erfahrung hat und einen richtig guten Plan.
Der BVB hatte diese Trainer schon mal gefunden. Aber gerade die, die einen eigenen Plan und Erfahrung mitbrachten, hatten es in der Vereinsführung schwer gegen das Erbe des übermächtigen Klopp. Man hat das Gefühl, Aki Watzke hat niemandem mehr danach vertraut. Thomas Tuchel scheiterte, weil er mit seiner kühleren Art das Gegenmodell zu
Jürgen Klopp war, nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus ging sein ohnehin
schwieriges Verhältnis zur Vereinsführung in die Brüche. Lucien Favre war wiederum
ganz anders, grüblerischer, zweifelnder, er stand von Anfang an in der Kritik.
Beide mussten gehen, obwohl sie bis heute die Trainer mit der besten
Punktebilanz in der Vereinsgeschichte sind.
Ich weiß, dass es nicht einfach ist, einen guten, passenden Trainer zu finden. Aber manchmal habe ich in der Bundesliga den Eindruck, viele Entscheidungen für einen Trainer fallen, weil der Kandidat halt gerade zu haben ist. Dann hoffen die
Verantwortlichen mit einem Stoßgebet, dass es irgendwie passt. Umso
leichtsinniger, sich von sportlich erfolgreichen Trainern zu trennen. Und umso
größer das Glück, wenn man den richtigen gefunden hat. So wie es Leverkusen mit
Xabi Alonso passiert ist.
Der Blick auf Alonso ist auch in anderer Hinsicht
interessant: Auch er hatte nicht viel Erfahrung, als er in die Bundesliga
wechselte. Aber er suchte sich den Verein aus mit den besten Arbeitsbedingungen
für einen jungen Trainer: ein maximal ruhiges Umfeld, stabile finanzielle
Möglichkeiten und keine vereinsinternen Altvorderen, die sich nach vorn
drängen. Und auch nach der Meistersaison griff er nicht vorschnell nach höheren
Posten (die er alle hätte haben können: englische Nationalmannschaft, Bayern,
Liverpool), sondern entschied, in Leverkusen zu bleiben, um zu lernen, wie man
nach dem Erreichen des großen Ziels und dem damit verbundenen Motivationsabfall
bei der Mannschaft weiter erfolgreich ist. Wie es gut weitergeht nach dem Flow.
Das hat er geschafft.
Vielleicht hätte Nuri Şahin auch nein sagen sollen,
als der BVB ihn rief. Und erst mal woanders Erfahrungen sammeln müssen, wo nicht
mindestens der zweite Platz Saisonziel ist. Von dem redet mittlerweile keiner
mehr in Dortmund. Selbst die Champions League ist in Gefahr. Mein BVB-Herz hofft
nicht darauf, aber mein BVB-Verstand sagt deshalb: Diese Mannschaft braucht einen Trainer, der es schafft, dass sie über ihrem eigentlichen Niveau spielt. Und eine Vereinsführung, die ihm nicht misstraut.