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Borussia Dortmund torlos bei Klub-WM: „Die Südamerikaner sind motivierter“ | ABC-Z

Große Unterschiede zeigen sich oft in Kleinigkeiten. In New Jersey am Dienstagmittag zum Beispiel nach 33 Spielminuten, als der Innenverteidiger Juan Pablo Freytes an der Grenze zum eigenen Strafraum unter Druck gerät, weil Borussia Dortmunds Pascal Groß auf ihn zuläuft – und er den Ball dann über Groß hinweg aus dem Strafraum lupft. Welcher europäische Verteidiger wagt das in dieser Situation? Fast keiner. Und man kann gleich darauf sehen, warum es keiner wagt: Sekunden später ist Freytes‘ Team, Fluminense, den Ball beinahe los.

Aber weil die Spieler von Fluminense CF aus Rio de Janeiro an diesem Tag nicht nur gewitzter spielen als die Dortmunder, sondern auch, wie der anlaufende Pascal Groß später sagen wird, „intensiver“, gewinnt Fluminense die nächsten Zweikämpfe. Und deshalb wird aus dieser Szene keine Torchance für Borussia Dortmund, sondern eine für Fluminense. Keine 30 Sekunden nach dem Lupfer fliegt der Torwart Gregor Kobel durch die Luft, weil er sich mal wieder nach einem Torschuss strecken muss.

Man kann bei diesem 0:0 im MetLife-Stadium in East Rutherford, New Jersey, manches von dem beobachten, was einige der südamerikanischen von einigen der europäischen Fußballer bei dieser Klub-WM unterscheidet. Da ist ein Unterschied im Spielwitz, ein Unterschied in der Intensität – und da ist der Stellenwert, den dieses Turnier für beide Seiten einnimmt. Ein Stellenwert, den Gregor Kobel nach dem Ende dieses Spiels, das Borussia Dortmund vor allem wegen Gregor Kobel nicht verloren hat, so beschreibt: „Für die ist es ein Wahnsinnsturnier.“ Dann schiebt er hinterher: „Es ist auch für uns ein geiles Turnier, aber ich habe das Gefühl, die Südamerikaner sind nochmal ein bisschen motivierter.“

Am Ende oder am Anfang?

Das ist etwas euphemistisch formuliert. Während die Fußballspieler aus Europa gerade nicht genau wissen können, ob sie am Ende einer langen Saison stehen oder vor dem Beginn der nächsten langen Saison, befinden sie sich in Südamerika mitten in der Spielzeit. Die Spieler sind fit. Und während in Europa viele Fußballfans nicht so genau wissen, ob sie sich eigentlich noch darüber freuen, wenn Fußball gespielt wird, oder ob sie nicht selbst als Zuschauer mal eine Pause bräuchten, hat dieses Turnier für viele in Südamerika einen ideellen Wert. Vor allem das Duell mit Europa.

Dieses Duell, das zwischen den Besten Europas und den Besten Südamerikas, ist von 1960 bis Anfang dieses Jahrtausends einmal im Jahr offiziell ausgetragen worden: als Weltpokal. Und obgleich es aus europäischer Sicht mit der Zeit uninteressanter wurde, weil die besten Argentinier und Brasilianer ohnehin in Europa spielten, blieb bei manchem Brasilianer der Wunsch, die Europäer zu besiegen.

„Für uns ist es riesig“, sagt Bernardo, als er eine Stunde vor Spielbeginn vor dem Stadion steht, hinter ihm ein singender, etwa hundertköpfiger Haufen aus rot, weiß und grün. „Wann haben wir sonst die Chance gegen europäische Teams zu spielen?“ Der alte Weltpokal, sagt er, „war die Möglichkeit, etwas zu beweisen, zu zeigen, dass wir die Europäer schlagen können“. Und das jetzt? Das fühle sich an wie eine echte Weltmeisterschaft. Nur dass er für seinen Verein intensiver fühle als für die Nationalmannschaft.

So hört sich dann auch an, was die brasilianischen Fans im Stadion in New Jersey treiben. Ihre andauernden Gesänge hauchen dem MetLife-Stadium Leben ein, einem gigantischen Bau auf einem noch größeren Parkplatz, gleich neben der Autobahn. Es ist das Stadion, in dem in 367 Tagen das Finale der Weltmeisterschaft, der normalen Weltmeisterschaft stattfinden wird. Dann dürfte es voll sein, ganz egal, wer spielt.

An diesem Dienstagnachmittag leuchtet auf der Anzeigetafel irgendwann die Zahl 34.736 auf. Wenn die Zahl stimmt, ergibt das 47.764 freie Plätze. Und eine Quote, die trotzdem noch besser ist als am Vortag beim Spiel zwischen Chelsea London und Los Angeles FC. Oder am späten Nachmittag im anderen Spiel der Dortmunder Gruppe, zwischen Mamelodi Sundowns und Ulsan HD: Da zählt die FIFA 3412 Zuschauer, so wenige hat dieses Turnier bis dahin noch nicht gesehen.

Zusammen 84 Jahre alt

Die Brasilianer, die am Dienstag nach East Rutherford gekommen sind, sehen nach dreieinhalb Minuten den ersten Torschuss ihrer Mannschaft und nach fünfeinhalb den zweiten; sie sehen, dass ihr Flügelstürmer Jhon Arias immer wieder zu schnell und zu stark für den Dortmunder Außenverteidiger Daniel Svensson ist – aber auch, dass Arias es nie schafft, nach diesen Duellen so gezielt aufs Tor zu schießen wie nötig.

Und sie sehen, dass ihr Torwart Fábio und ihr Innenverteidiger Thiago Silva zusammen zwar 84 Jahre alt sind, mit den Dortmunder Angriffen aber keine Probleme haben. Alles in allem sehen sie eine Mannschaft, die wirkt, als spiele sie das erste Spiel eines wichtigen Wettbewerbs, und eine, die wirkt, als hätte sie keinen Sommerurlaub gehabt.

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Fluminense gilt als eine der schwächeren unter den vier brasilianischen Mannschaften. Vor zwei Jahren gewann der Klub die Copa Libertadores, den großen Kontinentalwettbewerb Südamerikas, mit einem Straßenfußball, der damals Taktiknerds und Romantiker begeisterte. Aber es folgte ein kleiner Absturz, dann ein Trainerwechsel, und so sehen Fans von Fluminense dieses Turnier als einmalige Chance. Sie glauben nicht, dass sie sich so bald wieder für diesen Wettbewerb qualifizieren.

Eine Million Dollar für ein torloses Unentschieden

Trotzdem ist diese Mannschaft wohl die stärkste, auf die der BVB in dieser Gruppenphase trifft. Auch deshalb können die Dortmunder Spieler hinterher sagen, Druck verspürten sie nicht nach diesem 0:0, das ein 0:0 bleibt, weil Gregor Kobel einen Nachschuss aus einem halben Meter Entfernung hält. Und weil Fluminenses Stürmer Everaldo nach etwas weniger als einer Stunde Spielzeit zu viel Zeit hat, um sich zu überlegen, ob er lupfen, schießen, verzögern, oder den Ball abspielen soll. Er entscheidet sich erst für das Verzögern, dann für das Abspielen, und nach dem Schuss, den der Außenverteidiger Augustin Canobbio daraufhin abgibt, kann Kobel den Ball vom Boden auflesen.

Canobbio sagt nach dem Spiel im Interviewzelt vor dem Stadion, es schraube die Motivation schon nochmal nach oben, wenn man gegen eine große europäische Mannschaft wie den BVB spiele. Das ist ein Unterschied; in der Szene, die mit Canobbios Abschluss endet, wird dann allerdings noch ein Unterschied sichtbar: eine gleichsam frische, intensiv spielende Dortmunder Mannschaft wäre mit solchen Chancen vermutlich besser umgegangen.

Aber weil die einen die Chancen nicht nutzen und die anderen die Chancen nicht haben, teilen sie sich am Ende die Prämie, die der Weltfußballverband für dieses Spiel ausschüttet. Und immerhin, eine Million Dollar für ein torloses Unentschieden, das ist ja auch schon etwas.

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