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Borussia Dortmund: Die komplizierte Trainersuche des BVB | ABC-Z

Borussia Dortmund sucht nach der Trennung von Nuri Sahin nach einem neuen Trainer. Doch das gestaltet sich kompliziert, mehrere Namen und Varianten werden diskutiert. Da tut es gut, dass Interimslösung Mike Tullberg seinen Vorgesetzten Zeit verschafft.

Nach dem Schlusspfiff rief Mike Tullberg die Mannschaft in die Kabine. Dann tat der Interimstrainer von Borussia Dortmund etwas, was seinen Spielern sehr guttat, obwohl sie auch an diesem Samstag wieder nicht gewinnen konnte. Doch Tullberg, der das strauchelnde Team erst am Mittwoch übernommen hatte, bedankte sich dennoch bei ihnen – und das auf eine sehr persönliche Art.

„Ich habe den Jungs gesagt, dass ich sie als Gewinner sehe. Ich habe Menschen auf dem Platz gesehen, die sich zerrissen und alles gegeben haben“, berichtete der 39-Jährige anschließend. Insofern können sich die Spieler auch als moralische Sieger fühlen – selbst wenn sie beim 2:2 (1:0) gegen Werder Bremen de facto einen 2:0-Vorsprung verspielt hatten. „Doch ich glaube, nur wenige haben gedacht, dass der BVB hier heute überhaupt noch etwas holt – aber wir haben es getan“, so Tullberg.

Tatsächlich musste das Schlimmste befürchtet werden. Es sah stark danach aus, als ob sich die schwarz-gelbe Krise, die in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch mit dem Rauswurf von Cheftrainer Nuri Sahin und der Übernahme durch Tullberg ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hatte, nahtlos fortsetzen würde. Schon nach acht Minuten verlor der BVB mit Felix Nmecha seinen zentralen Mittelfeldspieler wegen einer Knieverletzung. Und nach 21 Minuten sah Innenverteidiger Nico Schlotterbeck wegen einer Notbremse die Rote Karte. In diesem Augenblick war es mucksmäuschenstill in Deutschlands eigentlich stimmungsvollsten Stadion.

Doch diesmal ergaben sich die Dortmunder, denen so oft Mentalitätsschwächen nachgesagt worden sind, nicht in ihr Schicksal. Das hatte zwar nicht nur – aber eben auch mit Tullberg zu tun.

„Tullberg hat uns emotional erreicht“, sagt Can

„Er hatte ja kaum Zeit, groß etwas Taktisches zu verändern und kaum Zeit, um mit uns zu trainieren. Aber er ist direkt gekommen und selbstbewusst aufgetreten. Er hat eine gute Energie“, sagte Torhüter Gregor Kobel. Der U19-Trainer habe „ein gewisses Maß an Lockerheit reingebracht“, befand Kapitän Emre Can: „Er hat uns emotional erreicht.“

Tatsächlich machte der BVB, der noch am Dienstag bei der 1:2-Niederlage in der Champions League in Bologna deutliche Zeichen von Verunsicherung gezeigt hatte, sein bestes Spiel in diesem Jahr. Denn auch in Unterzahl spielten die Dortmunder weiter entschlossen nach vorn, gingen durch Serhou Guirassy (28. Minute) in Führung, bauten diese durch ein Eigentor von Bremens Abwehrchef Marco Friedl (51. Minute) sogar aus und hatten dabei das Glück auf ihrer Seite. Der Treffer hätte wegen einer Abseitsstellung nicht zählen dürfen, wie der DFB später offiziell mitteilte.

Die Dortmunder brachen erst gegen Ende, als die Kräfte schwanden, ein. Doch es reichte, um die fünfte Pflichtspielniederlage in Folge zu verhindern – und dem Verein eine Zerreißprobe zu ersparen. Diesmal wurde die Mannschaft zum Abschied von den Fans nicht ausgepfiffen.

„In den wenigen Tagen, die wir zusammen hatten, hatten wir ein paar Ansätze: Attitüde, Körpersprache, Leidenschaft – und mutiges Spiel nach vorn. Ich finde, die Jungs haben alles umgesetzt“, sagte Tullberg. Er sei zufrieden, so der Däne, der in den vergangenen Tagen eher Therapeut als Trainer war. Er führte viele Gespräche. Sein Ziel: Blockaden in den Köpfen zu lösen. Er nahm die erfahrenen Spieler in die Pflicht, sprach Mut zu. Offenbar mit Erfolg – denn am Samstag steckten die BVB-Profis die Nackenschläge aus der Anfangsphase erstaunlich gut weg.

Ricken verlängerte Tullbergs Amtszeit umgehend

Das sei in der prekären Situation nicht selbstverständlich gewesen. „Wenn es scheiße läuft, dann läuft es scheiße“, erklärte Tullberg. Auch er selbst hatte Befürchtungen, nachdem Schlotterbeck den Bremer Marco Grüll kurz vor der eigenen Strafraumkante zu Fall gebracht hatte und dafür von Schiedsrichter Christian Dingert des Feldes verwiesen wurde. „Das kann doch wohl nicht wahr sein“, habe er gedacht – doch sich dann an seine eigenen Worte erinnert. „Wir hatten uns vorher gesagt: Es gibt keine Ausreden“, so Tullberg.

Die positive, authentische Art des Jugendtrainers hat der Mannschaft geholfen – und dem Verein Zeit bei der Suche nach einem neuen, dauerhaften Cheftrainer verschafft. Sportgeschäftsführer Lars Ricken verkündete gleich nach dem Schlusspfiff, dass der Coach, den er 2019 zur Nachwuchsabteilung des BVB geholt hatte, auch am kommenden Mittwoch im Champions League-Spiel gegen Schachtar Donezk auf der Bank sitzen werde. „Das war eigentlich schon vorher klar“, so Ricken. Er habe dies Tullberg nur vor der Partie gegen Bremen nicht gesagt, weil er alles aus ihm herauskitzeln wollte: „Ich hatte ihm gesagt: `Das Bremen-Spiel, darum geht’s.` Weil ich 100 Mike Tullberg haben wollte – und den habe ich auch bekommen. Wir alle haben ihn bekommen.“

Es ist allerdings nicht nur die Erkenntnis, dass Tullberg seiner Aufgabe gewachsen zu sein scheint, die zu dieser Entscheidung geführt hat – sondern auch die Tatsache, dass die Trainersuche länger dauert und durchaus kompliziert ist. „Wir nehmen uns die notwendige Zeit“, betonte Ricken, der sich bewusst ist: Der BVB kann sich, nachdem das Engagement von Nuri Sahin schon nach gut einem halben Jahr beendet werden musste, keinen Fehler erlauben.

Dauerhaftes Engagement von Tullberg unwahrscheinlich

Gesucht wird deshalb ein erfahrener Coach, der die Liga kennt. Jemand mit einer natürlichen Autorität, der es schaffen kann, das Team dauerhaft zurück in die Spur zu bringen. Niko Kovac, der bis vergangenen März den VfL Wolfsburg trainiert hatte, ist derzeit aussichtsreichster Kandidat. Auch soll es Überlegungen geben, im kommenden Sommer an Sebastian Hoeneß oder Roger Schmidt heranzutreten.

Hoeneß hat in seinem Vertrag mit dem VfB Stuttgart sogar eine Ausstiegsklausel. Schmidt, derzeit ohne Verein, hatte zuletzt klargestellt, dass er nicht in der laufenden Saison einsteigen will. Ob Kovac jedoch unter diesen Umständen als Übergangstrainer kommen würde, bleibt abzuwarten.

Ein dauerhaftes Engagement von Tullberg als Cheftrainer ist eher unwahrscheinlich. „Die erste Aufgabe, die ich bekam, war es, die Mannschaft von Mittwoch bis Samstag zu trainieren. Die nächste Aufgabe ist es, die Mannschaft bis Mittwoch zu trainieren. Das ist das Einzige, was ich dazu sagen kann“, erklärte er. Sollte der BVB jedoch gegen Donezk gewinnen und so die Chancen auf das Erreichen des Achtelfinales wahren – es wäre nicht völlig ausgeschlossen, dass Tullberg noch eine weitere Aufgabe bekommt.

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