Borussia Dortmund : Ach, Jürgen | ABC-Z
In unserer Kolumne “Grünfläche”
schreiben abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich und Anna Kemper über
die Fußballwelt und die Welt des Fußballs. Dieser
Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 44/2024.
Es würde mich wirklich interessieren, wie viele Menschen im
Land noch Jahre und Jahrzehnte nach Beendigung der Schule sehnsüchtig an ihre
große Liebe aus Schulzeiten zurückdenken. Diese eine, magische, aufregende
Liebe damals, mit der das Leben so leicht schien, die Knutscherei auf der
Klassenfahrt, das Händchenhalten an einem Morgen nach der Abiparty, als die
Zukunft leuchtend vor einem lag, die allgemeine Leichtigkeit des Seins an der
Seite von jemandem, mit dem man all das erstmals spürte. Aber dann ging eben
das echte Leben los, oder zumindest sein sprichwörtlicher Ernst, und wie es
eben so spielt, trennte man sich, verlor sich aus den Augen, ging seiner Wege.
Und zurück blieb die Sehnsucht.
Womit wir bei Borussia Dortmund wären. Seit Jürgen Klopps
Abschied nämlich kommt mir der BVB vor wie ein Club im kollektiven
Liebeskummer. Ein emotional rastloser, fahriger Verein, der seiner alten Liebe
nachhängt und darüber völlig unfähig geworden ist, eine neue Beziehung
einzugehen. Thomas Tuchel, Peter Bosz, Lucien Favre, Marco Rose – alles tolle
Typen, mit denen es aber nie ernst wurde, die immer lediglich Affären blieben,
die nach einem Jahr entnervt ihre Zahnbürste aus dem Bad holten und wieder
verschwanden, aufgerieben in einer toxischen Beziehung, in der der andere sich
weigerte, die Fotos vom Ex von der Anrichte zu nehmen.
Aktuell steht Nuri Şahin an der Seitenlinie, noch, möchte
man unken, ein Ur-Dortmunder, wie schon sein Vorgänger Edin Terzić. Sie beide
sind Wiedergänger Klopps, Variationen, wenn man so will, emotionale Typen mit
Stallgeruch und “BVB-Gen”, wie es bei Şahins Vorstellung hieß, emotionales
Methadon für die Fans, die sich nach den Klopp-Jahren verzehren. Terzić trällerte
einst im Sportstudio gar ein paar Fangesänge, und man kann ihn sich durchaus
schmachtend mit Gitarre unter dem Fenster des BVB vorstellen, wo er Wonderwall
spielt. Genützt hat es nichts.
Denn ganz so wie früher wird es nicht mehr werden. Ach,
Jürgen, wähnt man den BVB abends beim einsamen DAB an der Theke denken, an der er
rast- und ratlos sitzt, gefangen im Tabellenmittelfeld der eigenen Gefühle, Matthias
Reim aus den Boxen, im Kopf die Frage, warum das damals mit dem Jürgen so blöd
auseinandergegangen ist und man sich nun von Affäre zu Affäre hangelt, One-Season-Stands,
machstenochmaleins, obwohl man eigentlich schon ganz woanders im Leben stehen
müsste, verdammt, Familie, Kinder, mal eine Meisterschaft oder so, und dann
noch das vergeigte Champions-League-Finale, es hakt irgendwie, und irgendwie
hat das damals doch angefangen zu haken, so ein Mist, wenn man nur die Zeit
zurückdrehen könnte, Mensch, Jürgen, war doch schön damals, oder? Denkst du
manchmal noch an uns?
Das ist, woran sich Trainer in Dortmund messen müssen, auch
2024 noch, neun Jahre nach Klopps Abschied. Der übrigens vor wenigen Wochen
kurz zurückkehrte. “Das ist das, wovon ich immer geträumt habe, dass man sich
irgendwann wiedertrifft im Leben und dann einfach eine gute Zeit zusammen hat”,
sagte Klopp, als er für das Abschiedsspiel von Łukasz Piszczek und Jakub Błaszczykowski für einen Tag im Westfalenstadion weilte. Klingt schmerzhaft
nach: Lass uns Freunde bleiben. Auf der Tribüne sah man Fans mit “Danke
Kloppo”-Schals, wenige Monate zuvor, im April, hatte es an selber Stelle noch
eine riesige Choreografie gegeben, in der ein überlebensgroßer Jürgen Klopp
triumphierend die Faust über die Südtribüne reckte.
In der Liga ist Dortmund
unter Şahin aktuell Siebter, im Pokal gerade ausgeschieden. Der nächste
Klopp-Nachfolger steht also auf der Kippe. Bereits Terzić schlug erstaunlicher Spott entgegen, das Umfeld des
BVB wirkt teils fast zynisch. Aber wie soll in Dortmund auch je Ruhe einkehren,
wenn jeder Neue noch immer im Schatten der verflossenen großen Liebe von damals
steht?
Zumindest ein Gutes könnte Klopps Wechsel zu Red Bull also
haben: Der Mann hat sich mit einem Handstreich entzaubert. Seine Erfolge mit
Dortmund wird sein Engagement für RB nicht schmälern, aber der Blick der Fans
auf ihn wird sich ändern. Und das könnte etwas Heilsames haben: Als würde man
die große Liebe von damals wiedersehen und sie hat ganz und gar nichts
Magisches, Aufregendes mehr, sie ist auch nur ein Mensch und einem wird klar,
dass sie eher Symbol einer sorglosen Zeit ist, die man vermisst, die aber eben
einfach vorbei ist.
Vielleicht kehrt so die Einsicht ein, dass man sich mal
auf jemand Neues einlassen müsste, dass eine neue Liebe Zeit braucht und eine
funktionierende Beziehung immer auch Arbeit ist. Und dass man eben auch an sich
arbeiten muss, an der notorisch ungenügenden Kaderplanung etwa, oder den vielen,
vielen Verletzten, die es jede Saison zu beklagen gibt. All das eben, was den
BVB zurückhält. Ob das passiert? Liebe ist ja selten rational, und der
Fußball schon mal gar nicht.
In unserer Kolumne “Grünfläche”
schreiben abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich und Anna Kemper über
die Fußballwelt und die Welt des Fußballs. Dieser
Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 44/2024.
Es würde mich wirklich interessieren, wie viele Menschen im
Land noch Jahre und Jahrzehnte nach Beendigung der Schule sehnsüchtig an ihre
große Liebe aus Schulzeiten zurückdenken. Diese eine, magische, aufregende
Liebe damals, mit der das Leben so leicht schien, die Knutscherei auf der
Klassenfahrt, das Händchenhalten an einem Morgen nach der Abiparty, als die
Zukunft leuchtend vor einem lag, die allgemeine Leichtigkeit des Seins an der
Seite von jemandem, mit dem man all das erstmals spürte. Aber dann ging eben
das echte Leben los, oder zumindest sein sprichwörtlicher Ernst, und wie es
eben so spielt, trennte man sich, verlor sich aus den Augen, ging seiner Wege.
Und zurück blieb die Sehnsucht.