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Bombenentschärfung: „Da darf dann kein Fehler vorbeigehen“ – Panorama | ABC-Z

Roter oder blauer Draht? Mit Roulette-Szenarien, wie man sie aus Actionfilmen kennt, haben Bombenentschärfungen in der Wirklichkeit nichts zu tun. Worauf es vielmehr ankommt, weiß Ubbo Mansholt, der in Hagen beim Kampfmittelbeseitigungsdienst Westfalen-Lippe arbeitet, einem von zwei solchen Diensten, die sich in Nordrhein-Westfalen die Arbeit teilen. Mansholt ist als Dezernent zuständig für die Luftbildauswertung und den operativen Bereich.

SZ: Herr Mansholt, in Deutschland werden jährlich noch immer etwa 5000 Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden,1500 bis 2000 davon allein in Nordrhein-Westfalen. Warum sind es hier so viele?

Ubbo Mansholt: Wir haben hier eine extrem hohe Bombenlast abbekommen. Die Alliierten wollten einerseits die Industrie im Ruhrgebiet treffen. Und zweitens war der Westen des ehemaligen Deutschen Reichs für die Amerikaner und Engländer natürlich leichter zu erreichen.

Warum gab es eigentlich so viele Blindgänger?

Das ist schwer zu beantworten. Ein technischer Fehler innerhalb des Zünders kann zum Beispiel dazu führen, dass eine Bombe nicht explodiert. Manchmal kann sich der Zünder auch beim Aufprall entfernt haben oder bei einem Bombenangriff durch die Detonation anderer Bomben beschädigt worden sein. Und teilweise, aber das ist natürlich nur ein verschwindend geringer Teil, finden wir auch unbezünderte Bomben. Womöglich wurden die so abgeworfen, der Zünder also schon am Flugplatz in England vergessen.

Bei den jetzt in Köln gefundenen Bomben handelt es sich um drei amerikanische Bomben, zwei 20-Zentner-Bomben und eine Zehn-Zentner-Bombe. Alle drei haben sogenannte Aufschlagzünder. Was ist die wahrscheinlichste Erklärung dafür, dass eine solche Bombe nicht losgeht?

Wenn diese Bomben in einem bestimmten Winkel auf dem Boden aufkommen, kann es passieren, dass der Zünder, der sich am Heck der Bombe befindet, nicht ausgelöst wird. Die Alliierten haben auch Bomben abgeworfen, die nicht sofort explodieren sollten. Diese waren häufig mit einem chemisch-mechanischen Langzeitzünder ausgestattet, sozusagen eine eingebaute Verzögerung.

Zu welchem Zweck?

Um die Aufräumarbeiten zu stören. Diese Bomben sollten ins Erdreich dringen und dann erst nach Stunden oder wenigen Tagen explodieren. An dieser Mechanik kann natürlich auch immer etwas schiefgehen, aber Fälle mit solchen Zündern haben wir selten. Die meisten Bomben, die wir finden, haben Aufschlagzünder.

Wie gehen Ihre Kollegen vor, wenn Sie eine Bombe räumen müssen? 

Die Entscheidung, ob gesprengt oder entschärft wird, wird immer direkt an der Bombe getroffen. Unsere Entschärfer haben ein präzises Wissen über die Zünder, das ist ihre Lebensversicherung. Sie müssen den Zustand der Bombe, den Zustand des Zünders, die Gesamtsituation einschätzen. In den allermeisten Fällen wird dann entschärft, also der Zünder entfernt. Nur in sehr wenigen Fällen kommt es zu einer Sprengung, bei uns ein- bis zweimal pro Jahr.

Wann kommt man an einer Sprengung nicht vorbei?

Wenn es sich um einen chemisch-mechanischen Langzeitzünder handelt oder wenn der Zustand des Zünders eine sichere Entschärfung nicht erlaubt.

Worin besteht das größte Risiko?

Am gefährlichsten wäre es, wenn der Zünder falsch identifiziert wird, wenn also Maßnahmen an der Bombe gewählt werden, die nicht zur Situation, nicht zum Zünder passen. Aber wir haben das Glück, dass sich nichts verändert, alle Zünder sind, soweit wir wissen, bekannt. Deswegen ist eine gute Ausbildung wichtig. Bei uns arbeiten sehr erfahrene Leute, die sich dann unten im Loch die Lage genau anschauen, alles ertasten, auch beraten und dann eine Entscheidung treffen. Und da darf dann kein Fehler passieren.

Schwächt das hohe Alter der Bomben ihre mögliche Detonationswucht, oder macht es sie sogar noch gefährlicher?

Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass manche Zünder unter gewissen Umständen eventuell gefährlicher werden, aber für die Bombe selbst und für den Sprengstoff hat das Alter, zumindest diese 80 Jahre plus X, keine Auswirkungen. Die Bomben liegen selten oberflächennah, meist eher in drei bis sieben Metern Tiefe. In der Regel bleiben die Bomben dort intakt, sie rosten nicht, weil sie fast immer unter Luftabschluss unter der Erde gefunden werden.

Sie arbeiten auch mit historischen Aufklärungsfotos der Alliierten, um mögliche Blindgänger zu entdecken.

Richtig, wir haben ungefähr 250 000 Luftbilder zur Verfügung, die wir von den Alliierten bekommen haben. Die wurden während des Krieges gemacht, nicht zufällig, sondern sehr gezielt. In England stand eine riesige Organisation dahinter, die im Grunde Luftaufklärung betrieben und sowohl vor den Bombenangriffen als auch danach mit speziellen hochfliegenden Aufklärungsflugzeugen bei gutem Wetter Bilder gemacht hat. Die Aufnahmen wurden dann ausgewertet, um festzustellen, ob die jeweiligen Ziele erreicht wurden, und um neue Ziele festzulegen. Und diese Luftbilder nutzen wir sehr erfolgreich bei der Suche nach Blindgängern.

Wie gehen Sie da vor?

Wir machen unsere Luftbildauswertung beispielsweise im Zuge von Baugenehmigungsverfahren, das heißt, wir betrachten eine spezifische Stelle und versuchen anhand der Luftbilder, den Kriegsverlauf dort nachzuvollziehen. Wenn Sie im großstädtischen Bereich zum Beispiel ein Baugrundstück auswerten, gibt es dort immer zwischen 300 und 1000 Luftbilder, die im Kriegsverlauf aufgenommen wurden. Auf Grundlage dieser Hinweise werden Sondierungen vorgenommen und unsere Spezialisten aus der Detektion und Geophysik werten die Messdaten aus und können dann sehr genau sagen: Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit haben wir an der Stelle X in der Tiefe Y einen Blindgänger.

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