Politik

Senator Paz gewinnt Präsidentschaftswahl in Bolivien – Politik | ABC-Z

Mit dem Sieg des Senators Rodrigo Paz Pereira bei der Stichwahl ums Präsidentenamt in Bolivien steht das südamerikanische Land vor einem politischen Umbruch. Nach Auszählung fast aller Stimmen kommt der Kandidat der christdemokratischen Partei „Partido Demócrata Cristiano“, die der politischen Mitte zugerechnet wird, auf rund 55 Prozent – laut Wahlbehörde ein „unwiderruflicher Vorsprung“.

Im Volksmund und in den Medien wird der 58 Jahre alte Wahlsieger meist nur Paz genannt. Sein Gegner in der Stichwahl, Ex-Präsident Jorge Quiroga von der rechtsgerichteten Partei „Libertad y Democracia“, gratulierte dem Ökonomen bereits, auch wenn er betonte, das offizielle Endergebnis noch abwarten zu wollen. Im November wird der neue Präsident sein Amt für fünf Jahre antreten.

Die Abstimmung markiert einen historischen Einschnitt für Bolivien, das hatte schon vor der Schließung der Wahllokale am Sonntag festgestanden. Nach beinahe 20 Jahren bekommt das Land wieder einen Präsidenten, der kein Sozialist ist.

Seit 2006 hatte der Movimiento al Socialismo (MAS) in dem Andenstaat regiert, die meiste Zeit unter Evo Morales, einem ehemaligen Kokabauern und Gewerkschaftsführer. In der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen im August war der MAS jedoch ins Bodenlose gestürzt. Bei den Präsidentschaftswahlen vor fünf Jahren hatten sie noch 55 Prozent erhalten, nun kamen sie gerade noch auf drei Prozent – und schafften es so nicht einmal mehr in die Stichwahl am Sonntag.

Morales’ Sieg vor zwei Jahrzehnten war ein Einschnitt, der für Bolivianer in etwa mit der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten 2008 vergleichbar ist. In einem Land, in dem weite Teile der Bevölkerung von Indigenen abstammen, wurde zum ersten Mal einer von ihnen Staatschef.

Unter Morales rutscht Bolivien in eine politische und wirtschaftliche Krise

Es war diese Herkunft, die Morales’ Politik maßgeblich prägte. In seinen ersten Jahren im Amt legte er Sozialprogramme auf und ließ Schulen, Straßen und Krankenhäuser bauen, was vor allem den eher ärmeren und in strukturschwachen Gegenden lebenden Indigenen zugutekam. Millionen Bolivianer schafften es heraus aus der Armut. Morales profitierte dabei – ähnlich wie andere linke Regierungen in Lateinamerika – von einem weltweiten Rohstoffboom.

Nach und nach aber geriet das Land immer tiefer in eine politische und wirtschaftliche Krise, die auch damit zusammenhängt, dass Morales nicht von der Macht lassen wollte. Anders als ursprünglich von der Verfassung vorgesehen, wich er nach zwei Amtszeiten als Präsident nicht von der Macht. 2019 wollte er sich zum vierten Mal wählen lassen, doch es tauchten Wahlfälschungsvorwürfe auf, die Lage eskalierte, Morales setzte sich ins Ausland ab.

2020, als nach Neuwahlen sein Gefolgsmann Luis Arce, ebenfalls vom MAS, Präsident geworden war, kehrte Morales zurück. Zwischen beiden Männern brach aber bald ein Machtkampf aus, der bizarre Züge annahm. Arce warf Morales vor, an seinem Sturz zu arbeiten. Gegen Morales wurde ein Haftbefehl ausgestellt, basierend auf älteren Vorwürfen, denen zufolge er Geschlechtsverkehr mit einer 15-Jährigen gehabt haben soll, was nach bolivianischem Recht einer Vergewaltigung gleichkommt. Morales floh ein zweites Mal, diesmal ins bolivianische Tiefland. Er verbarrikadierte sich, umringt von Getreuen, in der Gewerkschaftszentrale der Kokabauern. Sein Plan, noch einmal bei der Präsidentschaftswahl anzutreten, wurde ihm gerichtlich verboten.

Der Machtkampf zwischen Arce und Morales hat den MAS an den Abgrund getrieben, ebenso wie die derzeit herrschende Wirtschaftskrise, welche die meisten Bolivianer der Dauer-Regierungspartei anlasten. Es mangelt unter anderem an Medikamenten und Benzin, an den Tankstellen wird von kilometerlangen Schlangen berichtet. „No más filas“, keine Schlangen mehr, war auch deshalb ein beliebter Wahlkampfslogan der Gegner des MAS.

Lebensmittel werden wöchentlich teurer, die Inflation lag zuletzt bei 25 Prozent. Der Staat musste auf seine Devisenreserven zurückgreifen, um sich Ausgaben wie etwa Lebensmittelsubventionen weiterhin leisten zu können. Dabei hat Bolivien eigentlich gute Voraussetzungen, um wirtschaftlich zu florieren. Es verfügt etwa über große Vorkommen an Lithium, das auf dem Weltmarkt sehr begehrt ist, weil es unter anderem für Smartphones, Laptops und E-Autos benötigt wird.

Entscheidend für den Ausgang der Stichwahl dürfte deshalb gewesen sein, wem die Bolivianer eher zutrauen, das Land aus der Krise zu führen. Sowohl Jorge Tuto Quiroga als auch Rodrigo Paz hatten im Wahlkampf heftige Kritik am MAS geübt und der Regierung unter Morales’ Nachfolger Arce die Schuld an den Missständen gegeben. Beide propagierten eine Öffnung der Wirtschaft: weniger Regulierung, Steuersenkungen und billigere Kredite etwa.

Dennoch gibt es Unterschiede: Paz propagierte im Wahlkampf einen eher moderaten Ansatz, und er versuchte, mit seinem Programm die eher ärmeren Schichten anzusprechen – indem er ihnen zum Beispiel in Aussicht stellte, ihre oft informellen Arbeitsverhältnisse schnell zu legalisieren.

Quirogas Programm mutete dagegen radikaler an. Ein Stück weit erinnerte es an die Politik des argentinischen Staatschefs Javier Milei, bei dem Quiroga im Wahlkampf auch rhetorisch Anleihen nahm. Er hatte den Staatshaushalt drastisch kürzen und die Wirtschaft weitgehend privatisieren wollen. Auch hatte er mehrere Freihandelsabkommen abschließen und mit dem Internationalen Währungsfonds zusammenarbeiten wollen. Paz hatte Letzteres abgelehnt.

Bolivien steht nun vor einem Rechtsruck, und dies wird vor allem einer für sich zu nutzen versuchen: Evo Morales. Um die Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen, wird die nächste Regierung sparen müssen; es wird darüber spekuliert, dass etwa die Subventionen für Benzin und Diesel wegfallen könnten. In jedem Fall werden die geplanten Liberalisierungen ärmeren Bolivianern zu schaffen machen. Morales strebt vor diesem Hintergrund an, die zerstrittene Linke wieder zu einen und den absehbaren Protest gegen den künftigen Präsidenten anzuführen. Er hat schon angekündigt: „Gemeinsam mit dem Volk werden wir den Kampf auf die Straße tragen.“

Back to top button