Bo Henriksen und der Klassenerhalt des FSV Mainz: Die dänische Energiequelle – Sport | ABC-Z
Wenn man so will, dann hat Bo Henriksen am Samstag mal wieder eine Art emotionalen Steigerungslauf hingelegt. Zuerst nahm Henriksen einen Mainzer Gegentreffer vergleichsweise gefasst zur Kenntnis, er spuckte auf den Boden, klatsche in die Hände und schnappte sich den Mittelfeldmann Brajan Gruda, um ihm einige offenbar prägnante Anweisungen ins Ohr zu flüstern. Worum es sich auch handelte, es schien zielführend zu sein: Jener Gruda traf wenig später zum Mainzer 1:1; Henriksen ballte die Fäuste und hüpfte mit zwar sperrangelweit geöffneten Augen, aber weiterhin relativ verhalten durch seine Coaching-Zone. Ein wenig höher hüpfte er da schon nach Sepp van den Bergs 2:1-Führungstreffer.
Dann die letzten Meter seines emotionalen Crescendos: Als Jonathan Burkardt den dritten und somit vorentscheidenden Treffer erzielte, zog Henriksen zu einem ganz realen Sprint entlang der Außenlinie an, ein kleiner Kraftakt, der in einer Jubeltraube aus glückseligen Mainzer Fußballern, Betreuern und Verantwortlichen endete. Und schließlich der Schlusspfiff zum 3:1-Sieg gegen den VfL Wolfsburg, der gleichbedeutend mit dem Klassenverbleib war. Ein Klassenverbleib, an den vor wenigen Wochen nicht mal die Mainzer selbst noch geglaubt hatten, weil ihre Lage aussichtsloser erschien als eine Trainersuche beim FC Bayern.
Henriksens bisherige Bilanz in Mainz wäre europapokaltauglich
Doch dann kam dieser Bo Henriksen, 49. Und deshalb wollten in der Wolfsburger Arena nun alle zu ihm: Der Mainzer Sportvorstand Christian Heidel knuddelte den Dänen ausgiebigst, während sie gemeinsam Freudenschreie ausstießen; von einigen Spielern wurde er in eine Art Schwitzkasten genommen, weil die Emotionen nicht mehr in geregelte Bahnen kanalisiert werden konnten; und dann versammelte sich die Mainzer Delegation vor dem den gesamten Tag über stimmungsgeladenen Auswärtsblock. “Niiieee meeehr zweite Liga”, schallte es von dort entgegen: “Niiieee meeehr, niiieee meeehr, niiieee meeehr.”
Wahrscheinlich steckte in diesem Nachmittag alles, was dieser unverwüstliche und auch ein wenig verrückte Trainer bei diesem Klub so bewerkstelligt hat. Denn so losgelöst, wie die Mainzer jubelten, spielten sie auch – zumindest von jenem Fastnachtssonntag an, an dem sich die Mainzer Verantwortlichen in einem Hotel zu einem Erstgespräch mit Henriksen verabredeten. Viele kleine Heldengeschichten hatte man von diesem unbekannten Coach gehört, beim FC Zürich hatte er mal ein Team in ähnlich mieser Lage übernommen und aus einem schwarzen Leistungsloch herausgeführt. So ein mittelgroßes Wunder, das war den Beteiligten klar, würden die Mainzer nun auch brauchen: Als Henriksen übernahm, hatten sie mickrige zwölf Punkte aus 21 Spielen geholt. Mit Henriksen kamen in 13 Spielen 23 Zähler hinzu – eine Bilanz, die in einem isolierten Wettbewerb für einen Europapokalplatz gereicht hätte.
Abstiegskampf in der Bundesliga
:Herr Heidel und sein Gespür für Trainer namens Bo
Wenn Fußballklubs in Abstiegsnot geraten, sind meistens die Trainer schuld. Aber welchen Anteil am Schlamassel haben eigentlich die Sportdirektoren? Ein paar prüfende Blicke nach Wolfsburg, Mönchengladbach, Bochum, Berlin, Mainz und Köln.
“Mein Ziel war es, den Glauben zurückzubringen”, sagte Henriksen und klang dabei genauso energiegeladen, wie er zuvor am Spielfeldrand herumgetigert war. Schließlich habe man es “hier mit Menschen zu tun”, ergänzte der Coach: “Es gibt keinen Spieler, der mit Absicht Böses tut oder mit Absicht schlecht spielt. Im Fußball geht es um Glauben. Glauben ist alles.” Eine schwungvolle Rede war das, Henriksen hätte sie auch problemlos vor dem Priesterseminar des Bistums Mainz halten können. Vermutlich würde sich der Däne aber eher als eine Art Lifecoach für Fußballer sehen, er versteht es wie sonst nur wenige, seine stets nach vorn gerichtete Leidenschaft an sein Team weiterzugeben – denn jene Leidenschaft ist unablässig, um den von ihm intendierten Trainereffekt zu erzielen: Wer nicht mehr ans Verlieren denkt, gewinnt häufiger. Und wer oft genug gewinnt, der merkt, dass es gerade im Kampf um den Klassenverbleib weniger entscheidend ist, in welchem Halbraum ein Sechser zu welchem Zeitpunkt asymmetrisch reinkippt. Entscheidend ist für Henriksen, mit welcher Energie die Spieler dieses oder jenes tun – und vor allem, mit welcher Energie sie die Fehler ihrer Teamkollegen ausbügeln.
Das Fundament für den Mainzer Klassenverbleib war Bo Svenssons Selbsteinsicht
“Be fucking brave”, das habe Henriksen laut Erzählung des Mainzer Sportdirektors Martin Schmidt circa “10 000 Mal” von seinen Spielern eingefordert. Jugendfreie Übersetzung: Seid mutig, verdammt nochmal! Jener Schmidt war selber mal Mainzer Trainer und weiß daher, dass der Name Jürgen Klopp als ständiger Referenzpunkt durch den Klub geistert, obwohl derlei Vergleiche bekanntlich zwecklos sind. Aber wenn klitzekleine Parallelen da sind, wieso diese dann verschweigen? Wie Henriksen hat Klopp ein bekanntlich von Grund auf positives Gemüt, das für seine Mannschaft als permanent anzapfbare Energiequelle bereitsteht. Wie Henriksen wurde Klopp an einer Fastnacht als Mainzer Chefcoach installiert, damals ebenfalls als dritter Trainer in einer bis dahin wirklich abstiegsreifen Saison. Was allerdings mit Blick auf diesen Klassenverbleib auch nicht untergehen sollt, ist die Leistung eines anderen Bo, die realistische und demütige Selbsteinschätzung von Bo Svensson nämlich.
Jener Bo Svensson war zweieinhalb Jahre lang ein höchst erfolgreicher Mainzer Coach gewesen, er übernahm den Klub in ähnlich unbequemer Lage und formte einen mehr als nur stabilen Erstligisten. Als sich in dieser Saison bedenkliche Verschleißerscheinungen bemerkbar machten, reagierte Svensson darauf anders als viele seiner Kollegen, die bis zuletzt an ihren hochdotierten Verträgen kleben, obwohl sie sich selber nicht mehr für den richtigen Vorgesetzten halten: Svensson verabschiedete sich aus freien Stücken, mit einem tränenreichen Abschiedsvideo. Und als es dann auch mit dem Interimscoach Jan Siewert nicht besser wurde, wurde mal eben ein weiterer Bo aus dem Hut gezaubert; ein Bo, dessen Heatmap an einem Spieltag ganz andere Laufwege aufzeigen würde als bei den meisten seiner Berufsgenossen.
Zumindest in Deutschland, denn in Dänemark sind Henriksens euphorische Aufstachelungsversuche vor der eigenen Fankurve eine Art Obligatorium, bevor ein Fußballspiel losgeht. Doch auch die Mainzer wissen: In Momenten der Stille kommen auch wenig schillernde Wahrheiten ans Licht. “Wenn wir in Ruhe analysieren”, sagte Kapitän Silvan Widmer, “dann werden wir merken, dass wir auch viel Glück hatten. Dessen müssen wir uns bewusst sein.” Emotionale Steigerungsläufe lassen sich nicht ewig durchhalten. Doch wenn es einer schafft, dann womöglich Bo Henriksen, das personifizierte Danish Dynamite.