Bluttat in Herrsching: 17 Messerstiche – Angeklagter schweigt im Mordprozess in München – Starnberg | ABC-Z

„Ist da jemand?“ Es hat geklingelt, der 74 Jahre alte Hausbesitzer geht zur Gegensprechanlage. Draußen regnet es in Strömen, ein Sommergewitter. Vielleicht braucht jemand Hilfe? Aber es antwortet niemand. Was ist da los?
Ein knappes Jahr später wird Daniel W. (Name geändert) von zwei Polizeibeamten in den Gerichtssaal geführt. Er hält sich ein Blatt Papier vors Gesicht, als Schutz vor den Fotografen. An seinem 23. Geburtstag steht W., Trainingsjacke, das Haar streng gescheitelt, vor dem Landgericht München. Er ist des Mordes angeklagt.
Am Abend des 12. Juli vergangenen Jahres soll W. den 74-Jährigen in dessen Haus in Herrsching am Ammersee erstochen haben. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der damals 22-Jährige den Rentner unter anderem aus Habgier getötet hat. Er habe die „Arg- und Wehrlosigkeit“, seines Opfers ausgenutzt, erklärt Staatsanwalt Matthias Enzler. Laut der Anklage war W. aus seiner Heimat Serbien nach Bayern gekommen, um mit Diebstählen und Raubüberfällen an Geld zu kommen.
In seiner Heimat soll W. einer Bekannten seiner Familie mehrere Zehntausend Euro gestohlen und einen Großteil davon verprasst haben. Weil seine Familie ihn drängte, die Beute zurückzuzahlen und er die Verfolgung durch die serbische Polizei fürchtete, flog W. von Belgrad nach München, um in Deutschland das Geld aufzutreiben. Dafür fuhr W. am Nachmittag des 12. Juli von München nach Herrsching. Er nahm sich ein Hotelzimmer und begab sich auf die Suche nach Zielen. Dort entdeckte W. schließlich das Anwesen des späteren Opfers.
W. verschaffte sich Zugang zum Haus und stieß dort auf das Opfer. Mindestens 17 Mal stach er mit den beiden mitgebrachten Messern zu, so heißt es in der Anklage. Und weiter: W. attackierte den „wehrlos am Boden“ Liegenden, „um diesen zu töten“. Nach der Bluttat floh W. aus dem Haus und setzte sich über Österreich und die Schweiz nach Frankreich ab. Dort wurde er wenige Tage nach der Tat von französischen Spezialkräften in der Nähe von Paris verhaftet. Seit Anfang August 2024 sitzt W. in München in Untersuchungshaft. Er schweigt bislang zu den Vorwürfen.
Früh im kriminellen Milieu unterwegs
Lediglich mit dem psychiatrischen Sachverständigen hat W. gesprochen. Der Gutachter schildert ihn als einen jungen Mann, der früh mit dem kriminellen Milieu in Kontakt gekommen sei. In seiner Jugend in der serbischen Provinz habe W. wiederholt Diebstähle begangen, immer auf der Suche nach dem „schnellen Geld“, sagt der Experte. Immer wieder sei es zu Auseinandersetzungen, Streitereien und Schlägereien gekommen. Waffen seien „schon immer ein Hobby“ des Angeklagten gewesen. Zuletzt habe W., der zuvor als Schweißer tätig war, nur noch Gelegenheitsjobs gehabt.
Er habe zudem immer wieder zu Alkohol und Drogen gegriffen, täglich raucht W. zwischen einer und drei Schachteln Zigaretten. Am Tag der Tat soll er bis zu zwei Gramm Kokain konsumiert haben. So hat er es selbst dem Sachverständigen erzählt. Sein Anwalt ergänzt, W. habe die Messer nicht bei sich gehabt, um jemanden zu töten, sondern um die Fenster aufzuhebeln und sich so Zugang zum Haus zu verschaffen. Die Staatsanwaltschaft hält diese Schilderung für wenig glaubhaft. Sie ist überzeugt, W. habe die Messer auch deshalb mitgenommen.
Am ersten Prozesstag sagt die Ehefrau des Opfers aus. Sie schildert dem Richter, dass es an jenem Juliabend geklingelt habe und wie ihr Mann zur Gegensprechanlage gegangen sei. Es sei extrem ungewöhnlich, dass kurz nach 21 Uhr noch jemand bei ihnen klingele, sagt sie. Noch ungewöhnlicher sei gewesen, dass niemand geantwortet habe. Es sei eine „sehr beklemmende Situation“ gewesen. Sie und ihr Mann hätten sich unwohl gefühlt, bei Nachbarn angerufen. Plötzlich habe die Nachbarin am Telefon gesagt, es sei jemand im Haus. Kurz darauf kam es zur Attacke. „Das ging ja alles wahnsinnig schnell“, sagt die 66-Jährige. „Er stach mit beiden Armen auf den Oberkörper meines Mannes ein.“ Laut Anklage soll W. versucht haben, auch sie „in seine Gewalt zu bekommen“. Der Ehefrau des 74-Jährigen gelang es jedoch, über die Terrassentür zu fliehen. Für sie und die Familie hat die Tat bis heute Folgen. „Das war das Ende von allem“, sagt die 66-Jährige.
W. blickt zu Boden, während ihm die Dolmetscherin das übersetzt. Sein Mund zuckt, er atmet schwer. Manchmal wischt er sich über die Augen. Er weine jeden Tag, hat er dem psychiatrischen Sachverständigen gesagt. Daniel W. gibt zum Prozessauftakt keine Erklärung ab. Seine Anwälte kündigten an, er werde sich möglicherweise im Laufe der Verhandlung äußern. Das Gericht hat insgesamt sieben Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil wird für Anfang August erwartet.