Blüten-Ausstellung: Jede Blume ein Fenster zur Welt | ABC-Z

Neben allem anderen ist Frühling. Wie der Weltlage zum Trotz blüht die
Primel. Doch in die Tagesthemen schafft es das krautige Pflänzchen nur,
wenn nach Trump, Putin und der deutschen Deindustrialisierung noch ein
paar Sendesekunden für Wachstum bleiben. Wie ein Nice-to-have, so wirkt
der Frühling in Deutschland. Derart lieblos geht man hierzulande mit ihm
um, dass man ihn leicht für banal halten kann.
Doch es geht auch anders, jahreszeitensensibler, das zeigt eine kleine, feine
Wechselausstellung im Berliner Humboldtforum: Elegante Blüten.
Darstellung von Flora und Fauna in Kunst aus Japan heißt sie und wirkt auf
den ersten Blick so unscheinbar wie die deutsche Primel neben
der japanischen Sakura, der Kirschblüte: kein Katalog, nur einige Vitrinen,
die sich in der dortigen Sammlung für ostasiatische Kunst verlieren. Kurz:
Wer in dieser Ausstellung Masse sucht, wird enttäuscht. Dafür findet sich
etwas anderes hier: Ruhe. Auch wenn Alexander Hofmann, Kurator von
Elegante Blüten, lieber von Konzentration und Reduktion spricht.
Als Hofmann das sagt, sind wir fast schon einmal durch die Ausstellung
durch, haben vor Ogata Korins Blumen-Fächern im dekorativen Rimpa-Stil
höflich gestaunt (Gustav Klimt ließ sich von dem ganzen Gold angeblich
inspirieren) und sind endlich angekommen beim Höhepunkt der Schau,
bei Katsushika Hokusai (1760 bis 1849).
Dieser gilt wegen der Großen
Welle vor Kanagawa heute als Posterboy des japanischen Holzschnitts.
Sogar als Lego-Bastel-Set kann man sich die Große Welle mittlerweile
übers Sofa hängen.
Zum Glück wurden die Lilien, der schönste Hokusai im Humboldtforum,
nicht derart zu Tode reproduziert.
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Je länger man sie betrachtet, desto
näher kommt sie: die Natur. Rosa Blüten, grüne Blätter: Das war’s! Kein
kleinteiliger Hintergrund, nur diffus-blauer Freiraum. Man meint, nicht
mit der Weltkunst hinter Glas allein im Humboldtforum zu sein, sondern
steht plötzlich neben Hokusai im Garten und spürt den Wind, der wie auf
dem Bild die Blüten bewegt. Glaubt man dem Journalisten Lafcadio Hearn
(1850 bis 1904), ist ein japanischer Garten mehr als die Summe seiner Pflänzchen. Er sei Gemälde wie Gedicht. Ja, mehr Gedicht als Gemälde.
Deshalb sind die Lilien auch keine botanische Zeichnung im Stile
Alexander von Humboldts, kein strenger Naturalismus gedacht für die
Biologiebücher dieser Welt, sondern ästhetische Verfremdung, oder mit
einem Wort: Kunst.
Lafcadio Hearn, der als irisch-griechischer Journalist
1890 nach Japan kam, die Tochter eines Samurai heiratete und sich als
Koizumi Yakumo zum japanischen Nationalisten wandelte, sah es ähnlich:
“So ist mir die unsagbare Lieblichkeit eines einzelnen Blütenzweigs erst
aufgegangen, als ich ihn so angeordnet sah, wie ihn nur ein Japaner
anordnen kann.” Dies geschehe gerade nicht durch “Hineinpfropfen des
Zweigs in eine Vase, sondern durch wiederholtes, vielleicht eine Stunde
dauerndes liebevolles Mühen, zärtliches Probieren und Vergleichen, bis
mit dem Zweig die größtmögliche Schönheitswirkung erzielt wird”.
Text und Bild, das merkt man in der Ausstellung im Humboldtforum, spielen in Japan zusammen wie Instrumente in einem Orchester. Da
sind etwa die von Tawaraya Sotatsu (ca. 1600 bis 1640) wunderschön gestalteten Waka-Gedichte aus dem frühen 17.
Jahrhundert, etwa dieses mit einem Text von Sessho Dajodaijin (1169 bis 1206) : “Im schönen Yoshimo / liegen die Berge im Nebel, / wo Schnee lag, / ins alte, vergessene Dorf, / ist der Frühling gekommen.”
Waka, in der Kurzform auch Tanka genannt, gibt es in Japan seit der Nara-
und frühen Heian-Zeit, also seit mehr als 1.300 Jahren. Bereits Mitte des 9.
Jahrhunderts dichtete die große Ono no Komachi, die in Japan zu den
Sechsunddreißig Unsterblichen der Dichtkunst gehört: “Die Blütenfarben /
sind längst verblasst, derweil ich / gedankenverloren / mit Blick in den
endlosen Regen / leichtfertig durchs Leben ging.”