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“Blauer Drache” an der Costa Blanca: marine Nacktschnecke sorgt für Aufregung – Wissen | ABC-Z

An der spanischen Costa Blanca bot sich in den vergangenen Tagen ein ungewohntes Bild: Wo sich sonst Badegäste tummeln, hissten die Behörden in Guardamar del Segura zeitweise die rote Flagge. Der Grund war winzig, leuchtend blau und trug den mythischen Namen „Blauer Drache“. Nachdem mehrere Exemplare dieser marinen Nacktschnecke mit dem wissenschaftlichen Namen Glaucus atlanticus gesichtet worden waren, lösten die Behörden Alarm aus. Inzwischen sind die meisten Strände wieder freigegeben, doch die Warnung bleibt: Baden nur mit besonderer Vorsicht.

Auslöser waren zunächst nur zwei Tiere nahe dem Badestrand Playa Vivers. Doch die Gemeinde reagierte schnell und sperrte vorsorglich den gesamten, elf Kilometer langen Küstenabschnitt. Patrouillen suchten das Ufer ab, bevor die Warnung am 26. August auf eine gelbe Flagge herabgestuft wurde. Medienberichten zufolge beschränkte sich das Phänomen nicht nur auf Guardamar. Auch aus anderen Teilen Spaniens, etwa aus der Provinz Valencia, aus Cádiz und sogar von den Kanareninseln, wurden Sichtungen gemeldet, die teils zu Strandsperrungen führten. Besonders bemerkenswert für die Fachwelt: Auf Mallorca wurde die Art erstmals seit Jahrhunderten wieder offiziell dokumentiert.

„Die sogenannten Blauen Drachen sind pelagische Nacktschnecken, die normalerweise auf dem offenen Meer treiben“, sagt Julia Sigwart, Leiterin der Sektion Malakologie am Senckenberg-Forschungsinstitut in Frankfurt am Main. Die Tiere sind Kosmopoliten und „vor allem in wärmeren, gemäßigten Gewässern zu finden, auch im Mittelmeer“. Sie werden von Strömungen und Winden transportiert und folgen dabei ihrer Hauptbeute, zu der auch die berüchtigte Portugiesische Galeere zählt, ein hochgiftiges Nesseltier.

Schön, schillernd und giftig

Optisch erinnern die Blauen Drachen an Fabelwesen: Ihre Oberseite schillert in einem intensiven Blau, die Unterseite silbrig. Ihre Färbung ist dabei eine doppelte Tarnung: Das Blau schützt sie vor Vögeln aus der Luft, das Silber vor Fressfeinden aus der Tiefe. Dabei sind sie, so Sigwart, „meist nur etwa zwei Zentimeter groß“. Doch ihr zartes Äußeres täuscht. „Trotz ihres eindrucksvollen Aussehens sollte man sie auf keinen Fall anfassen.“ Denn Glaucus atlanticus beherrscht eine raffinierte Form der Selbstverteidigung: Wenn der Blaue Drache hochgiftige Nesseltiere wie die Portugiesische Galeere frisst, verdaut er deren Nesselzellen nicht, sondern lagert sie hochkonzentriert in den farnartigen Fortsätzen an seinem Körper ein. Bei Berührung entladen sich diese gestohlenen Waffen und können einen äußerst schmerzhaften Stich verursachen.

Fachleute raten zur Vorsicht, sind aber nicht sonderlich besorgt. Der Meeresbiologe Juan Lucas Cervera von der Universität Cádiz sagte der spanischen Zeitung El País, dass Verletzungen durch die Schnecke in der Regel „mild und selten“ seien – weitaus weniger dramatisch als der Stich einer Portugiesischen Galeere. Aus seiner Sicht sei die pauschale Schließung ganzer Strände wegen weniger Exemplare daher nicht zwingend.

An den spanischen Stränden setzen die Behörden mittlerweile auf Aufklärung durch Warnschilder. Die Anweisungen sind eindeutig: Abstand halten und die Tiere unter keinen Umständen berühren. Wer dennoch gestochen wird, dem wird geraten, die Stelle mit Meerwasser abzuspülen, nicht zu reiben und bei starken Symptomen oder allergischen Reaktionen einen Arzt zu konsultieren. „Diese Tiere stellen keine allgemeine Gefahr dar, solange man sie in Ruhe lässt“, beruhigt Sigwart. „Öffentliches Bewusstsein ist der beste Schutz.“

Eine Folge des Klimawandels?

Bleibt die Frage, warum die Blauen Drachen gerade jetzt gehäuft auftreten. „Stürme und ungewöhnliche Windmuster können sie an die Küste treiben“, erläutert Sigwart. Als Bewohner der Wasseroberfläche sind sie den Launen des Wetters direkt ausgesetzt.  Winde und Strömungen können die Tiere aus dem Atlantik durch die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer spülen, wo Sichtungen seltener sind.

Ob die aktuelle Häufung ein neues, stabiles Muster darstellt, ist noch unklar. „Die Zahl der Beobachtungen nimmt zu, was teilweise an Veränderungen der Ozeanzirkulation und des Klimas liegen mag“, so Sigwart. „Vor allem aber erkennen heute mehr Menschen diese Tiere und teilen ihre Funde.“ Soziale Medien könnten den Eindruck einer Invasion verstärken, obwohl das Auftreten eher sporadisch sei. Cervera verweist gegenüber El País auf das in diesem Sommer ungewöhnlich warme Wasser des Mittelmeers, betont aber, dass für einen kausalen Zusammenhang noch belastbare Studien fehlen. Aus seiner Sicht könnte die Aufmerksamkeit für die faszinierend aussehenden Tieren auch der Wissenschaft nützen. Wenn Badegäste ihre Funde systematisch fotografieren und melden, entstehe ein wertvoller Datenschatz – Citizen Science, direkt vom Strandtuch aus. Bis dahin bleibt der Blaue Drache an Spaniens Küsten vor allem eines: eine spektakuläre, aber gut beherrschbare Laune der Natur.

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